Der Beitrag behandelt die Aufgaben des Familiengerichts bei Einholung eines Sachverständigengutachtens in Kinderschutzverfahren und geht dabei vor allem folgenden Fragen nach: Wann ist die Einholung eines Gutachtens erforderlich? Auf welche Punkte ist bei der Abfassung des Beweisbeschlusses zu achten? Wie ist das Verfahren im Hinblick auf das Gutachten zu gestalten? Und was ist bei der Verwertung des Gutachtens zu beachten?

1 Einleitung

In Kinderschutzverfahren werden aufgrund der Gefährdungssituation häufig Schutzmaßnahmen bereits in einem einstweiligen Anordnungsverfahren getroffen (§ 49 FamFG), die allerdings auf einer summarischen Beurteilung und – durch den Zeitfaktor bedingt – auf begrenzten Erkenntnismöglichkeiten beruhen. Demgegenüber stellt das Hauptsacheverfahren verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, um eine etwaige Gefährdung des Kindeswohls prüfen bzw. feststellen zu können. Mit einer Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, die in der Regel nach einer Anhörung der Eltern, des Jugendamts sowie der/des Verfahrensbeiständin/-beistands erfolgt, beginnt ein neuer Verfahrensabschnitt, weil die Feststellungen der/des Sachverständigen sowie das Ergebnis des Gutachtens von zentraler Bedeutung für die gerichtliche Entscheidung sind.

Verfügt das Gericht nicht über die eigene Sachkenntnis, um eine Kindeswohlgefährdung abschließend beurteilen zu können, wird es in der Regel erforderlich sein, ein Sachverständigengutachten nach den §§ 402–414 ZPO (Zivilprozessordnung) einzuholen. Die Feststellungen der/des Sachverständigen stehen neben den weiteren Erkenntnismöglichkeiten, wie sie durch die Jugendamtsberichte, die Chronologie bereits erfolgter Jugendhilfemaßnahmen, insbesondere durch die Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH) nach § 31 SGB VIII, die Stellungnahme einer/eines Verfahrensbeiständin/-beistands oder ärztliche Atteste bzw. Krankenhausberichte bereits vorliegen können.

Die Bedeutung des Sachverständigengutachtens beruht auf der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundesgerichtshofs (BGH), wonach die verfassungsrechtliche Dimension des Elternrechts (Art. 6 Abs. 2 und 3 GG) das Verfahren in Kindschaftssachen beeinflusst und unter dem Gesichtspunkt des effektiven Grundrechtsschutzes gebietet, die zur Verfügung stehenden Aufklärungs- und Prüfungsmöglichkeiten auszuschöpfen, um durch die Verfahrensgestaltung den Elternrechten Rechnung zu tragen und dem Primat des Kindeswohls gerecht werden zu können. Daher sind die Gerichte verpflichtet, das Verfahren so zu gestalten, dass sie auf möglichst zuverlässiger Grundlage zu einer am Kindeswohl orientierten Entscheidung gelangen können.Footnote 1

Nach der gesetzlichen Konzeption ist die/der Sachverständige keine/kein Verfahrensbeteiligte*r im Sinne von § 7 FamFG, sondern Gehilfin/Gehilfe des Gerichts in der Weise, dass sie/er ihr/sein Fachwissen zur Feststellung bestimmter Tatsachen sowie für erforderliche Schlussfolgerungen zur Verfügung stellt. Hingegen ist es nicht Aufgabe einer/eines Sachverständigen, Rechtsfragen zu beantworten. Eine Delegation der gesetzlichen Aufgabenverteilung ist nicht zulässig und muss bereits bei der Formulierung des Beweisbeschlusses durch das Gericht beachtet werden. Gleichwohl bereitet die vielfach betonte Differenzierung zwischen Tatsachen einerseits und Rechtsfragen andererseits in Kinderschutzverfahren Schwierigkeiten, weil in § 1666 Abs. 1 BGB das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes als Tatbestandsvoraussetzung und die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen auf der Rechtsfolgenseite angeführt sind.

Die gesetzlichen Regelungen zur Beweiserhebung durch ein Sachverständigengutachten sind auf eine Kommunikation bzw. Kooperation zwischen Gericht und Sachverständigen ausgerichtet, in die auch die Verfahrensbeteiligten einbezogen werden. Diese Kommunikation dient dem Ziel einer möglichst präzisen Aufgabenstellung und -erfüllung sowie einer effektiven Tatsachenfeststellung. Sie ist vom Entschluss zur Beweiserhebung bis zur Entscheidungsreife des Verfahrens relevant.

2 Sachverständigengutachten im Verfahrensverlauf

2.1 Erforderlichkeit eines Gutachtens

Das Gericht ist auch im Rahmen des Amtsermittlungsgrundsatzes nicht verpflichtet, in jedem Kinderschutzverfahren ein Sachverständigengutachten einzuholen. Allerdings muss die Verfahrensgestaltung dafür Sorge tragen, eine möglichst zuverlässige Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung zu erhalten. Von einem Gutachten kann abgesehen werden, wenn die Feststellung der relevanten Tatsachen in gleicher Weise zuverlässig erfolgen kann.Footnote 2 Ein Gutachten, das in einem Vorverfahren erstattet wurde, macht bereits wegen des zeitlichen Abstands und der Beurteilung der aktuellen familiären Situation häufig ein neues Gutachten nicht entbehrlich. Gutachten aus einem Betreuungs- oder Strafverfahren oder einer anderen Kindschaftssache können jedoch nach § 411a ZPO verwertet werden.

Wegen der hohen Grundrechtsrelevanz, wie sie mit der Trennung eines Kindes von seinen Eltern verbunden ist (Art. 6 Abs. 2 und 3 GG), sind hohe Anforderungen an die Ermittlung der Entscheidungsgrundlage zu stellen, die umso höher sind, desto schwerwiegender die Folgen der gerichtlichen Entscheidung für die einzelnen Beteiligten sein können. Die (teilweise) Entziehung der elterlichen Sorge stellt einen schwerwiegenden Eingriff in das durch Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG geschützte Elternrecht dar, sodass wegen der zu erwartenden zusätzlichen Erkenntnisse in der Praxis sehr häufig ein Sachverständigengutachten eingeholt wird, auch wenn dies zu einer nicht unerheblichen Verfahrensverzögerung führt und daher mit dem gesetzlichen Beschleunigungsgebot (§ 155 Abs. 1 FamFG) in Widerspruch stehen kann.Footnote 3 Demgegenüber erfolgt im einstweiligen Anordnungsverfahren in der Regel keine förmliche Beweisaufnahme.Footnote 4

2.2 Beweisbeschluss

Mit einem Beweisbeschluss (§§ 358, 359 ZPO) tritt das Gericht auf der Grundlage der bisher gewonnenen Überzeugung in die förmliche Beweiserhebung nach § 30 Abs. 1 FamFG ein.

2.2.1 Anhörung der Beteiligten

Der gesetzliche Verfahrensverlauf gibt dem Gericht die Möglichkeit, im Termin, wie er nach den §§ 157 Abs. 1, 155 Abs. 2 FamFG vorgeschrieben ist, nicht nur die Eltern zu den Fragen einer etwaigen Kindeswohlgefährdung anzuhören, sondern zugleich die Notwendigkeit eines Sachverständigengutachtens mit den Verfahrensbeteiligten zu erörtern und ihnen Gelegenheit zu geben, zum Inhalt sowie zur Person der/des Sachverständigen Stellung zu nehmen (§ 404 Abs. 2 ZPO). Darüber hinaus können im Vermerk (bzw. der Sitzungsniederschrift i. S. v. § 28 Abs. 4 S. 1 FamFG) dieses Termins Erklärungen der Beteiligten festgehalten werden. Hier kommt insbesondere die Entbindung von Lehrer*innen, Ärzt*innen oder Therapeut*innen von ihrer Schweigepflicht gegenüber der/dem Sachverständigen in Betracht. Wurde die Notwendigkeit eines Sachverständigengutachtens im Termin nicht erörtert, können die Beteiligten auch schriftlich angehört werden.

2.2.2 Beweisbeschluss

Die Formulierung des Beweisbeschlusses bildet die Grundlage für die Aufgabenstellung der/des Sachverständigen und des Gutachtens; der Beschluss ermächtigt und bindet die/den Sachverständige*n in gleichem Maße. Zugleich bringt das Gericht damit zum Ausdruck, welches Fachwissen es von der/dem Sachverständigen in Anspruch nehmen will und in welcher Weise das Gericht gedenkt, die Feststellung einer möglichen Kindeswohlgefährdung aufzuklären. Eine erste Klärung der Fragestellungen bzw. Erläuterung des Auftrags kann bereits vor Erlass des Beweisbeschlusses zwischen dem Gericht und der/dem Sachverständigen nach § 404a Abs. 2 ZPO erfolgen. Für die Verfahrensbeteiligten, insbesondere die Eltern, wird mit der Beweisfrage deutlich, welche Mitwirkung das Gericht im Rahmen des § 27 FamFG von ihnen erwartet.

Auch wenn die frühere gerichtliche Praxis häufig zu allgemeinen bzw. offenen Formulierungen im Beweisbeschluss neigte und dabei nicht selten Rechtsbegriffe verwandte, geht die überwiegende Auffassung dahin, dass der Beweisbeschluss konkret und am jeweiligen (gesetzlichen) Kindeswohlmaßstab orientiert formuliert werden sollte.Footnote 5 Es sind daher konkrete Tatsachen und prognostische Bewertungen zu formulieren. Hierzu muss sich das Gericht bewusst machen, in welcher Weise die im Raum stehende Kindeswohlgefährdung durch welche außerjuristische Sachkunde aufgeklärt werden soll.Footnote 6 Auf abstrakte Rechtsbegriffe wie Kindeswohl oder Kindeswohlgefährdung soll dabei verzichtet werden; allerdings kann im Beweisbeschluss auf die Tatbestandselemente des § 1666 Abs. 1 BGB Bezug genommen werden.

In den „Inhaltliche[n] Anforderungen an Sachverständigengutachten in Kindschaftssachen: Empfehlungen einer Arbeitsgruppe von Richterinnen und Richtern der Familiensenate des OLG Celle“Footnote 7 werden folgende Formulierungen vorgeschlagen: „Ist bereits eine Schädigung des Kindes eingetreten oder besteht gegenwärtig schon eine Gefahr in einem solchen Maß, dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt? Von welcher Art, Schwere und Wahrscheinlichkeit sind die befürchteten Beeinträchtigungen des Kindes?“ Mit dieser Formulierung wird auf die ständige Rechtsprechung des BVerfGFootnote 8 Bezug genommen, in der die Eingriffsvoraussetzungen in das Elternrecht konkretisiert sind. Näher am gesetzlichen Tatbestand sind die von Bergmann vorgeschlagenen Formulierungen: „Sind Schäden bezüglich der psychischen, seelischen oder körperlichen Gesundheit des Kindes feststellbar? Wenn ja, worauf sind diese zurückzuführen? Ist zu erwarten, dass bei unverändertem Fortbestehen der Situation ein Schaden für […] eintreten wird?“Footnote 9 Neben die Feststellung beim Kind bereits eingetretener Schäden tritt eine sachverständige Prognose, ob eine solche Schädigung künftig mit „ziemlicher Sicherheit“ zu erwarten ist. Weiterhin ist im Gutachten auch dazu Stellung zu nehmen, welche Maßnahmen zur Beseitigung der Gefährdung geeignet und erforderlich sind. Schließlich bedarf es einer sachverständigen Beurteilung, dass auch unter Berücksichtigung der negativen Folgen einer Trennung des Kindes von seinen Eltern eine hinreichende Aussicht auf Beseitigung der drohenden Kindeswohlgefährdung besteht und sich seine Situation in der Gesamtbetrachtung damit verbessert.Footnote 10

Konkrete Tatsachen, die die/der Sachverständige dem Gutachten zugrunde legen soll (sogenannte Anknüpfungstatsachen; § 404a Abs. 3 ZPO), werden im Beweisbeschluss nur selten aufgeführt, weil die Darstellungen der Beteiligten häufig streitig sind und im Gutachten entscheidungserhebliche Umstände gerade festgestellt werden sollen. Daher trifft die/den Sachverständige*n regelmäßig auch die Aufgabe, bestimmte Tatsachen festzustellen. Der dadurch bedingten Offenheit kann durch alternative Fragestellungen Rechnung getragen werden.

Der nach § 163 Abs. 2 FamFG eröffneten Möglichkeit, ein lösungsorientiertes Gutachten zu erstellen, in dessen Rahmen die/der Sachverständige auf eine einvernehmliche Regelung der Verfahrensbeteiligten hinwirken soll, kommt im Kinderschutzverfahren keine praktische Bedeutung zu.Footnote 11

2.2.3 Auswahl der/des Sachverständigen

Im Beweisbeschluss ist die Person der/des Sachverständigen namentlich zu benennen. Nach § 163 Abs. 1 S. 1 FamFG ist das Gutachten „durch einen geeigneten Sachverständigen zu erstatten“. Maßgeblich für die Auswahl sind die konkrete Gefährdungssituation sowie die daraus resultierenden aufklärungsbedürftigen Umstände. Ob primär eine ärztliche Diagnostik (z. B. bei psychiatrischen Erkrankungen oder bei körperlichen Misshandlungen) oder eine psychologische Expertise (z. B. bei Fragen der Erziehungsfähigkeit) erforderlich ist, ist im Einzelfall zu beurteilen.Footnote 12 Je nach den auf Seiten der Eltern zutage getretenen Defiziten oder beim Kind bestehenden Beeinträchtigungen kommt die Bestellung einer Psychologin/eines Psychologen, einer/eines Psychotherapeutin/-therapeuten, einer Psychiaterin/eines Psychiaters, einer/eines Fachärztin/-arztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie/-Psychotherapie oder Pädiatrie oder einer/eines Rechtsmedizinerin/-mediziners in Betracht.Footnote 13 Erwägt das Gericht die Bestellung einer (Sozial-) Pädagogin/eines (Sozial-) Pädagogen zur/zum Sachverständigen, so ist nach § 163 Abs. 1 S. 2 FamFG „der Erwerb ausreichender diagnostischer und analytischer Kenntnisse durch eine anerkannte Zusatzqualifikation nachzuweisen.“ Von der dadurch begründeten fachlichen Qualifikation hat sich das Gericht zuvor zu überzeugen und diese zur Vermeidung eines Verfahrensfehlers in seiner Endentscheidung darzulegen.Footnote 14

2.2.4 Frist zur Erstellung des Gutachtens

Im Beweisbeschluss setzt das Gericht eine Frist zur Erstattung des Gutachtens (§ 411 Abs. 1 ZPO), um Verzögerungen möglichst zu vermeiden. Die Frist sollte mit Blick auf den Beschleunigungsgrundsatz in Kindschaftssachen (§ 155 Abs. 1 FamFG) drei bis vier Monate betragen; in der Praxis wird hingegen nicht selten mit mindestens sechs Monaten zu rechnen sein. Das Gericht wird mit der/dem Sachverständigen den Zeitrahmen, der maßgeblich durch deren/dessen Kapazitäten vorgegeben ist, i. d. R. zuvor absprechen. Dass bei einer Fristüberschreitung nach vorheriger Nachfristsetzung sowie Androhung gegen die/den Sachverständige*n ein Ordnungsgeld festgesetzt werden kann, ist in der Praxis eine eher selten genutzte Möglichkeit. Dies beruht auch darauf, dass die Ursachen für eine Verzögerung häufig im Verhalten der Beteiligten liegen und damit nicht in die Verantwortung der/des Sachverständigen fallen. Darüber hinaus wird das Gericht den direkten Kontakt zur/zum Sachverständigen suchen, um eine zeitlich vertretbare Lösung zur Erstellung des Gutachtens zu finden, zumal der Entzug des Gutachtenauftrags und die Bestellung einer/eines anderen Sachverständigen ebenfalls mit einer erheblichen Verzögerung verbunden wären.

Der Beweisbeschluss kann von den Beteiligten grundsätzlich nicht angefochten werden (§ 355 Abs. 2 ZPO). Eine Ausnahme wird nur bei schwerwiegenden Eingriffen in das Persönlichkeitsrecht anerkannt, wenn etwa im Beschluss die Mitwirkung einer/eines Beteiligten an einer konkreten Untersuchung angeordnet wird.Footnote 15

2.3 Verfahrensverlauf bis zur Vorlage des Gutachtens

Mit der Übersendung des Beweisbeschlusses sowie der Gerichtsakte an die/den Sachverständige*n beginnt deren/dessen Tätigkeit. In diesem Abschnitt können die Kommunikation und Kooperation zwischen Gericht und der/dem Sachverständigen relevant werden.

2.3.1 Begutachtung

Das Gutachten ist von der/dem bestellten Sachverständigen in Person zu erbringen und sie/er ist nicht befugt, den Auftrag anderen Personen zu übertragen (§ 407a Abs. 3 S. 1 ZPO). Allerdings kann sie/er sich für einzelne Aufgabenbereiche der Unterstützung von Hilfspersonen bedienen. Zu Beginn der Tätigkeit hat die/der Sachverständige nach § 407a Abs. 1 ZPO unverzüglich zu prüfen, ob die Beweisfrage in ihr/sein Sachgebiet fällt und „ohne die Hinzuziehung weiterer Sachverständiger sowie innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist erledigt werden kann.“ Auch inhaltliche Zweifel oder Unklarheiten der Fragestellungen hat die/der Sachverständige frühzeitig mit dem Gericht zu klären. Soweit aus Sicht der/des Sachverständigen Korrekturen oder Ergänzungen der Beweisfragen geboten erscheinen (z. B. wenn neben der Erziehungsfähigkeit auch eine psychiatrische Diagnostik erforderlich ist), hat sie/er das Gericht darauf hinzuweisen. Auf diese Aspekte soll das Gericht die/den Sachverständige*n bei Übersendung des Beweisbeschlusses hinweisen (§ 407a Abs. 6 ZPO).

Inhaltlich steht das konkrete Vorgehen wie z. B. die Methodenwahl im Ermessen der/des Sachverständigen und unterliegt keinen Vorgaben des Gerichts.Footnote 16 Allerdings müssen die anerkannten Grundsätze der Fachdisziplin dem Gutachten zugrunde gelegt werden. Die/der Sachverständige leitet aus den juristischen Fragestellungen die für das Fachgebiet spezifischen Fragestellungen ab. Den Anforderungen an eine psychologische Fragestellung wird es z. B. nicht gerecht, wenn die/der Sachverständige die Erziehungsfähigkeit von Eltern „anhand der acht Herausforderungen des Lebens“Footnote 17 überprüfen will und davon ausgeht, dass die Eltern ihre Erziehungsfähigkeit positiv unter Beweis stellen müssten, während nach verfassungs- und familienrechtlichem Verständnis von deren primärer Erziehungszuständigkeit auszugehen ist.Footnote 18

Unklarheiten zwischen der/dem Sachverständigen und den Verfahrensbeteiligten können dann entstehen, wenn die/der Sachverständige ohne ausdrückliche Regelung im Beweisbeschluss Kontakt zu Dritten aufnimmt. Denn nach § 404a Abs. 4 ZPO bestimmt das Gericht, in welchem Umfang die/der Sachverständige zur Aufklärung der Beweisfrage befugt ist und inwieweit sie/er mit den Beteiligten in Verbindung treten darf. Gleichwohl ist die/der Sachverständige in Kindschaftssachen grundsätzlich ohne ausdrücklichen Hinweis im Beweisbeschluss – vorbehaltlich einer erforderlichen Schweigepflichtentbindung – befugt, Auskünfte von Dritten einzuholen. Insoweit überlässt das Gericht es der/dem Sachverständigen, in welchem Umfang diese/r für das Gutachten Anknüpfungstatsachen ermittelt und den Sachverhalt weiter aufklärt. Daher kann diese/r zu weiteren Bezugspersonen des Kindes, zu denen Erzieher*innen, Lehrer*innen, Betreuungspersonen, Pflegeeltern, Ärzt*innen usw. gehören können, Kontakt aufnehmen. Dies ist im Gutachten später entsprechend deutlich zu machen.Footnote 19

2.3.2 Verhalten der Beteiligten

Auch wenn in Kinderschutzverfahren nach § 26 FamFG der Amtsermittlungsgrundsatz gilt, sollen die Beteiligten bei der Ermittlung des Sachverhalts mitwirken (§ 27 Abs. 1 FamFG). Dadurch können die Beteiligten auf Umstände hinweisen, von denen das Gericht anderenfalls eventuell keine Kenntnis erlangen würde. Ob einem Elternteil, der im Rahmen einer medizinischen oder psychologischen Begutachtung die Anwesenheit einer weiteren Person bei Gesprächen oder Terminen zur Interaktionsbeobachtung wünscht, dies von der/dem Sachverständigen zu gestatten ist, wird unterschiedlich beurteilt.Footnote 20 Über einen Antrag eines Elternteils auf Anwesenheit einer Vertrauensperson im Termin entscheidet das Gericht.Footnote 21 Ein Anspruch auf eine Videoübertragung während der Anhörung des Kindes besteht nicht.Footnote 22 Nur in seltenen Ausnahmefällen wird ein Bedürfnis für eine gerichtliche Entscheidung (etwa zur Anwesenheit einer Begleitperson bei der Exploration, zu Video- oder Tonaufzeichnungen oder zu Fragen an die/den Sachverständige*n) bestehen.Footnote 23

Eine Verpflichtung zur Mitwirkung folgt aus der gesetzlichen Regelung indes nicht. Vielmehr ist die Weigerung einer/eines Verfahrensbeteiligten, an einer Untersuchung, einem Testverfahren oder einer Exploration durch die/den Sachverständige*n mitzuwirken, Ausfluss des grundgesetzlich geschützten Persönlichkeitsrechts und daher hinzunehmen. Mangels gesetzlicher Grundlage kann eine Mitwirkung nicht erzwungen werden; auch die Grundsätze einer Beweisvereitelung sind ohne vorwerfbares Verhalten nicht heranzuziehen.Footnote 24 Allerdings kann die Zustimmung konkludent erteilt werden, indem sich ein Elternteil auf das Gespräch oder die Interaktionsbeobachtung einlässt, womit zugleich auch die Zustimmung zu einer solchen für das Kind als erteilt anzusehen ist.

Verweigert ein Elternteil die Mitwirkung, so hat die/der Sachverständige das Gericht hiervon zu unterrichten, damit dieses im Rahmen der Amtsermittlung weitere Maßnahmen veranlassen kann. Das Gericht kann einen Anhörungstermin anberaumen, hierzu das persönliche Erscheinen des Elternteils anordnen und dessen Anwesenheit auch gegebenenfalls zwangsweise durchsetzen (§ 33 Abs. 3 FamFG). In dem Anhörungstermin ist der Elternteil zwar nicht verpflichtet, auf Fragen zu antworten. Allerdings besteht die Möglichkeit, dass die/der Sachverständige aus Äußerungen, Verhaltensweisen sowie weiteren Anknüpfungstatsachen, wie sie sich aus den Ermittlungen ergeben, Rückschlüsse für die Beweisfrage ziehen kann.Footnote 25 Jedoch muss man sich der begrenzten Möglichkeiten dieser Maßnahmen bewusst sein.

Für die Begutachtung des minderjährigen Kindes ist die Zustimmung der Sorgeberechtigten erforderlich, soweit das Kind unter Berücksichtigung seines Alters nicht hinreichend einsichts- und urteilsfähig ist und damit die Zustimmung selbst erteilen kann.Footnote 26 Verweigern die Eltern ihre Zustimmung, so darf die/der Sachverständige Untersuchungen oder Beobachtungen nicht beginnen oder fortsetzen und muss hiervon wiederum das Gericht in Kenntnis setzen. Dieses kann in zweifacher Weise vorgehen: Zum einen besteht die Möglichkeit, kurzfristig einen erneuten Anhörungstermin anzuberaumen, um die Kindeseltern von der Notwendigkeit der Begutachtung zu überzeugen und auf ihr Einverständnis hinzuwirken. Darüber hinaus kann das Gericht das betroffene Kind in Anwesenheit der/des Sachverständigen anhören (§ 159 FamFG), ohne dass dem die Weigerung der Eltern entgegensteht.Footnote 27 Erscheinen diese Maßnahmen wenig aussichtsreich, besteht zum anderen die Möglichkeit, durch eine – von den Beteiligten anfechtbare – einstweilige Anordnung (§ 49 FamFG) die Zustimmung der Eltern und erforderliche Schweigepflichtentbindungen zu ersetzen.Footnote 28 Hält die/der Sachverständige eine Interaktionsbeobachtung mit dem Vater des Kindes, dessen Umgangsrecht durch einstweilige Anordnung vorläufig ausgeschlossen war, für erforderlich, kann eine solche als Informationsquelle genutzt werden (s. a. Anhörung und Mitwirkungspflichten der Beteiligten [Kap. 4]).Footnote 29

2.3.3 Befangenheitsanträge

Eine/ein Sachverständige*r kann wegen der Besorgnis der Befangenheit gemäß § 406 Abs. 1 ZPO abgelehnt werden, wenn Gründe bestehen, die geeignet sind, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit der/des Sachverständigen zu rechtfertigen. Es muss sich um objektive Umstände aus Sicht der/des Beteiligten handeln, die bei vernünftiger Betrachtung bereits eine dahin gehende Besorgnis wecken können. Es ist hingegen nicht erforderlich, dass die/der Sachverständige tatsächlich befangen ist. Ein transparentes, am Gutachtenauftrag orientiertes und nicht einseitiges Verhalten bzw. Vorgehen der/des Sachverständigen wird in der Regel einem solchen Vorwurf entgegenstehen. Folgende Konstellationen wurden in der Rechtsprechung als mögliche Befangenheitsgründe anerkannt:Footnote 30

  • Bewertung der Persönlichkeit einer/eines Beteiligten oder von Kommunikationsproblemen vor Abschluss des Gutachtens; nicht hingegen bei erkennbar vorläufigen Äußerungen,Footnote 31

  • Überschreiten des Gutachtenauftrags nach den Umständen des Einzelfalls sowie Einflussnahme auf das Gericht,Footnote 32

  • einseitig geführte Ermittlungen durch Übernahme von Vorgaben einer/eines Verfahrensbeteiligten für das Setting der Begutachtung bei negativer Bewertung von Verhaltensweisen aufgrund ihrer/seiner (afrikanischen) Herkunft,Footnote 33

  • Exploration des Kindes trotz verweigerter Zustimmung des Elternteils,Footnote 34

  • Bewertung der Glaubhaftigkeit von streitigen Aussagen über Gewaltanwendung.Footnote 35

Demgegenüber wurde in folgenden Konstellationen die Besorgnis der Befangenheit nicht angenommen:

  • Erstattung eines Gutachtens im Vorverfahren,

  • fehlende Sachkunde oder Fehler im Gutachten,Footnote 36

  • Ablehnung einer Begleitperson bei Explorationsgesprächen oder Tonbandaufnahmen,Footnote 37

  • Einbeziehung von Äußerungen Dritter sowie eine Beurteilung der Wohnsituation eines Elternteils,Footnote 38

  • Mitteilung an das Gericht über eine mögliche Kindeswohlgefährdung,

  • scharfe Formulierungen der/des Sachverständigen auf provozierende Angriffe eines Elternteils.

Bei Eingang eines Befangenheitsantrags ist der/dem Sachverständigen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und vor diesem Hintergrund über den Antrag zu befinden.

2.4 Verfahrensverlauf nach Vorlage des Gutachtens

Mit der Fertigstellung des Gutachtens und dessen Übersendung findet das gerichtliche Verfahren seinen Fortgang.

2.4.1 Inhaltliche Prüfung

In einem ersten Schritt erfolgt eine inhaltliche Prüfung des Gutachtens, für dessen Aufbau keine gesetzlichen Vorgaben bestehen. Jedoch wurden Mindestanforderungen formuliert,Footnote 39 deren Einhaltung vom Gericht beachtet werden sollten. Hierzu gehören insbesondere, welche Fachfragen die/der Sachverständige aus den Beweisfragen abgeleitet und welche Tatsachen die/der Sachverständige aufgrund welcher Erkenntnisquellen festgestellt hat (Untersuchungsergebnisse). In der Praxis richtet das Gericht sein Hauptaugenmerk darauf, welche Schlussfolgerungen (Interpretationen) die/der Sachverständige aus den konkret dargestellten Untersuchungsergebnissen (Tatsachen) herleitet.Footnote 40 Zwischen beiden muss ein konkreter Zusammenhang ersichtlich sein und daher müssen sich die Schlussfolgerungen unmittelbar auf die festgestellten Untersuchungsergebnisse zurückführen lassen. In den Mindestanforderungen des OLG Celle heißt es hierzu unter Ziff. 7: „Jede Interpretation hat eine Grundlage in einem Untersuchungsergebnis. Grundsätzlich ist jedes Untersuchungsergebnis zu diskutieren.“Footnote 41 Die Interpretationen der/des Sachverständigen müssen mit den weiteren im Verfahren festgestellten Tatsachen insgesamt ein widerspruchsfreies und in sich schlüssiges Ergebnis bilden.

2.4.2 Rechtliches Gehör

Den Beteiligten ist sodann das Gutachten zu übersenden und gemäß den §§ 402, 411 Abs. 4 S. 2 ZPO Gelegenheit zu geben, Einwendungen gegen die Feststellungen der/des Sachverständigen oder deren/dessen Schlussfolgerungen binnen einer angemessenen Frist zu erheben. Die/der Sachverständige hat hierzu schriftlich Stellung zu nehmen oder das Gericht beraumt – was dem Regelfall entspricht – einen erneuten Termin an, in dem die/der Sachverständige das Gutachten mündlich erläutert (§§ 402, 397 ZPO). Zu diesem Zweck sollte bereits mit der Versendung des Gutachtens an die Verfahrensbeteiligten ein eventueller Anhörungstermin mit der/dem Sachverständigen abgesprochen werden. In dem Termin steht den Beteiligten ein Fragerecht zu, wobei die wesentlichen Inhalte im Vermerk bzw. in der Niederschrift festgehalten werden sollten.

2.4.3 Bedeutung von Privatgutachten

Die Eltern können einem für sie nicht günstigen Sachverständigengutachten vor einem Erörterungstermin oder im Beschwerdeverfahren mit einem Privatgutachten entgegentreten, um damit die Ergebnisse der/des Sachverständigen in Zweifel zu ziehen. Dabei können dem vom Gericht eingeholten Gutachten eigene Feststellungen im Privatgutachten entgegengesetzt oder – häufiger – eine lediglich methodenkritische Analyse vorgelegt werden. In beiden Fällen handelt es sich bei dem Privatgutachten um Beteiligtenvorbringen, das vom Gericht nicht übergangen werden darf.Footnote 42

Allerdings ist den Privatgutachten in der Praxis häufig nicht zu entnehmen, auf welcher Tatsachengrundlage diese erstellt wurden. Darüber hinaus ist das Gericht gesetzlich zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts verpflichtet. Daher besteht in der Regel auch kein Anspruch einer/eines verfahrenskostenhilfeberechtigten Beteiligten auf einen Auslagenvorschuss zur Einholung eines Privatgutachtens.Footnote 43

Unabhängig hiervon kann ein Elternteil beantragen, dass die/der „Privatsachverständige“ im Erörterungstermin anwesend sein soll, um der/dem gerichtlichen Sachverständigen sachdienliche Fragen stellen zu können. Die hiermit verbundenen verfahrensrechtlichen Fragen, z. B. ob die/der „Privatsachverständige“ als Beiständin/Beistand i. S. v. § 12 FamFG anzusehen ist, sind nicht geklärt, sodass auch noch nicht entschieden ist, ob dieser/diesem in dem gemäß § 170 Abs. 1 S. 1 GVG (Gerichtsverfassungsgesetz) nicht öffentlich durchzuführenden Termin die Anwesenheit zu gestatten ist. Soweit hiergegen seitens der weiteren Verfahrensbeteiligten keine Einwendungen erhoben werden, kann das Gericht die Teilnahme an der Anhörung erlauben. Ein eigenes Fragerecht steht der/dem „Privatsachverständigen“ nicht zu; allerdings kann diese/r der/dem Beteiligten, zu deren/dessen Unterstützung sie/er hinzugezogen wird, Anhaltspunkte für konkrete Fragen an die/den Sachverständige*n geben.

2.5 Ergänzungsgutachten/Zweitgutachten

Vor diesem Hintergrund hat das Gericht zu entscheiden, ob das Gutachten der/des gerichtlich bestellten Sachverständigen nach kritischer Würdigung verwertbar ist. Weist das Gutachten wesentliche Mängel auf, kann dies zur Unverwertbarkeit führen und das Gericht wird die Frage zu beantworten haben, ob es auf der Grundlage der verwertbar festgestellten Tatsachen und Schlussfolgerungen sowie der weiteren Erkenntnisquellen eine ausreichend zuverlässige Entscheidungsgrundlage hat. Anderenfalls muss es die Einholung eines neuen Sachverständigengutachtens in Erwägung ziehen. Für eine zivilrechtliche Haftung einer/eines Sachverständigen auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld gemäß §§ 839a, 249, 253 BGB bestehen sehr hohe Hürden, weil der Elternteil konkret nachweisen muss, dass das Gutachten aufgrund eines vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Handelns unrichtig ist, d. h. der objektiven Sachsachlage nicht entspricht, und bei Erstattung eines richtigen Gutachtens die familiengerichtliche Entscheidung anders ausgefallen wäre.Footnote 44

Die bisher dargestellten Grundlagen gelten sowohl im Beschwerdeverfahren als auch in einem späteren Abänderungsverfahren (§ 1696 BGB i. V. m. § 166 Abs. 1 FamFG) mit der Besonderheit, dass ein im Vorverfahren eingeholtes Sachverständigengutachten ein weiteres Gutachten im aktuellen Verfahren in der Regel nicht entbehrlich macht und darüber hinaus sich sowohl die Verfahrensbeteiligten als auch die/der Sachverständige mit den im vorangegangenen Gutachten erlangten Erkenntnissen und Schlussfolgerungen inhaltlich auseinandersetzen müssen.

3 Endentscheidung des Gerichts

Ist das Kinderschutzverfahren danach entscheidungsreif, hat das Gericht neben den weiteren festgestellten Tatsachen das eingeholte Sachverständigengutachten inhaltlich kritisch zu würdigen und in seiner Entscheidung konkret darzulegen, aufgrund welcher Tatsachen die/der Sachverständige welche Schlussfolgerungen gezogen hat. Diese sind vom Gericht mit den weiteren Tatsachen abzugleichen und dabei auch mit einem gegebenenfalls vorgelegten Privatgutachten inhaltlich zu würdigen. In seiner Entscheidung muss das Gericht die insgesamt ermittelten Tatsachen inhaltlich widerspruchsfrei abwägen und auf dieser Grundlage zu seiner Entscheidung gelangen. Will das Gericht in seiner Entscheidung den Schlussfolgerungen/Interpretationen der/des Sachverständigen, an die es nicht gebunden ist, nicht folgen, hat es dies in seiner Entscheidung ausführlich zu begründen.Footnote 45 Dies gilt in gleicher Weise, wenn Beweisanträgen einer/eines Beteiligten nicht nachgegangen wurde.

4 Fazit

Das Sachverständigengutachten ist in Kinderschutzverfahren eine unverzichtbare Erkenntnisquelle für das Gericht und bildet eine zentrale Grundlage für die zu treffende gerichtliche Entscheidung. Damit wird der/dem Sachverständigen eine große Verantwortung bei der Erstellung ihres/seines Gutachtens im Hinblick auf die Feststellung der relevanten Tatsachen und die hieraus zu ziehenden Schlussfolgerungen auferlegt. Dem Gericht obliegt es sodann, die im Gutachten zugrunde gelegten oder festgestellten Tatsachen unter Berücksichtigung des Vorbringens der Verfahrensbeteiligten zu überprüfen und die hieraus seitens der/des Sachverständigen gezogenen Schlussfolgerungen kritisch nachzuvollziehen.