Der vorliegende Beitrag behandelt die anwaltlicheVertretung der Eltern, des Kindes sowie der Pflegeeltern in Kinderschutzverfahren. Es geht in diesen Verfahren um Kinder, deren Wohl gefährdet ist, und es ist nun zu prüfen, wie dieser Gefährdung begegnet und das Kind geschützt werden kann. Die anwaltliche Vertretung einer/eines Beteiligten kann besonders herausfordernd sein, weil es zur Diskrepanz zwischen den Wünschen der Mandant*innen und dem Kindeswohl kommen kann.

1 Anwaltliche Vertretung der Eltern

In Kinderschutzverfahren geht es darum, ob das Kind durch Handeln oder Unterlassen der Eltern bereits massive Vernachlässigung, Missbrauch oder Misshandlung erlitten hat bzw. ob entsprechende Gefährdungen drohen. Es steht somit die Vermutung im Raum, dass die Eltern das Kind bereits erheblich geschädigt oder nicht hinreichend geschützt haben bzw. in Zukunft nicht schützen können und das Kind dadurch erhebliche Beeinträchtigungen erleidet. Eine streng parteiliche Vertretung der Eltern kann kindeswohlgefährdende Ergebnisse bewirken oder zur Folge haben.

1.1 Klärung des Sachverhalts

Suchen Eltern, denen die Gefährdung des Wohls ihres Kindes vorgeworfen wird, anwaltliche Beratung, sollten sich Anwält*innen zunächst einen guten Überblick über den Verfahrensstand und den Sachverhalt, insbesondere auch die gesamte Vorgeschichte, verschaffen.

Man wird davon ausgehen können, dass Zweifel des Jugendamtes an der Erziehungsfähigkeit und an einer angemessenen Erziehung und Versorgung des Kindes in der Familie meist nicht völlig unbegründet sind. Es wird aber zu klären sein, ob die Reaktion des Jugendamtes und gegebenenfalls die gerichtlichen Maßnahmen tatsächlich verhältnismäßig sind. Anwält*innen sollten daher die Vorgeschichte und die Einschätzungen des Jugendamtes zur elterlichen Erziehung genau erfragen sowie auch, welche Hilfen zur Erziehung (§§ 27 ff. SGB VIII) seitens des Jugendamtes bereits angeboten bzw. geleistet worden sind, gegebenenfalls wie diese Hilfen verlaufen sind, und ob auch andere Kinder der Mandant*innen betroffen oder bereits aus der Familie herausgenommen worden sind.

Um die Mandant*innen umfassend beraten zu können, sollten Anwält*innen vertieftes Wissen über das Kinder- und Jugendhilferecht (SGB VIII), insbesondere das Hilfeplanverfahren, haben.

1.2 Information über die Rechtslage

Die Mandantschaft sollte umfassend über die Rechtslage aufgeklärt werden. Dazu gehört auch die Information, unter welchen Voraussetzungen das Jugendamt ein Kind in Obhut nehmen darf oder gar muss (§ 42 SGB VIII) und unter welchen Voraussetzungen das Familiengericht kindesschutzrechtliche Maßnahmen nach den §§ 1666 f. BGB treffen kann und muss (s. a. [Kap. 7 und 15]). Ist bereits eine Inobhutnahme des Kindes vom Jugendamt vorgenommen worden, sollte erfragt werden, ob die Eltern der Inobhutnahme widersprochen haben (§ 42 Abs. 3 S. 2 SGB VIII), und gegebenenfalls die Abgabe einer Widerspruchserklärung gegenüber dem Jugendamt bzw. ein Antrag beim Familiengericht vorbereitet werden.

Es sollte auch über die Reichweite des Elternrechts nach Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, über das staatliche Wächteramt nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG sowie über das Recht des Kindes gegen den Staat auf Schutz vor Gefährdungen (Art. 6 Abs. 2 S. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 und 2 S. 1 GG) und das Recht des Kindes auf gewaltfreie Erziehung (vgl. § 1631 Abs. 2 BGB) informiert werden.

1.3 Informationen zum Gerichtsverfahren

Neben der Rechtslage sollten die Verfahrensgrundsätze und der Ablauf des Gerichtsverfahrens sowie die Beteiligten und deren Rollen erläutert werden. Es sollte über das Kindeswohlprinzip aufgeklärt und darauf hingewiesen werden, dass das Familiengericht einfachgesetzlich (§ 26 FamFG) und verfassungsrechtlich (Art. 6 Abs. 2, 3 GG) gehalten ist, den der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt aufzuklären, was in Kinderschutzverfahren häufig die Einholung eines Sachverständigengutachtens erfordert. Es sollte zudem zu den möglichen Folgen der Mitwirkung bzw. der Verweigerung der Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung bzw. der Begutachtung beraten werden.

1.4 Aufzeigen von Handlungsmöglichkeiten

Es sollten Handlungsmöglichkeiten zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung geklärt werden. Insbesondere sollte erklärt werden, dass, wenn der Verbleib bzw. die Rückkehr des Kindes begehrt wird, es darauf ankommen wird, die Erziehungsfähigkeit so schnell wie möglich zu verbessern.

Je nachdem, was die Ursache der Gefährdung ist und welche Möglichkeiten und Defizite der Eltern bestehen, kann eine beraterische oder therapeutische Unterstützung erforderlich sein. Möglicherweise können bereits Jugendhilfemaßnahmen oder Elternkurse hilfreich sein. Zur Verbesserung der Erziehungsfähigkeit kann es z. B. ratsam sein, dass sich die Eltern im Rahmen einer Therapie mit ihrer eigenen Biografie, dem eigenen Handeln und der eigenen Erziehungsfähigkeit auseinandersetzen; bei Sucht kann das Aufsuchen einer entsprechenden Beratungsstelle sowie einer Entzugsklinik erforderlich sein. Auf die mögliche Inanspruchnahme solcher Maßnahmen und die positiven Folgen für das Kind sollte von Seiten der Anwält*innen hingewiesen werden.

Gefährdet die Partnerin oder der Partner das Kind, ist möglicherweise die Trennung erforderlich, um eine Herausnahme des Kindes zu vermeiden. Auch dies sollte offen kommuniziert werden.

Ist das Kind bereits fremduntergebracht, sollte auf § 37 SGB VIII hingewiesen werden. Nach dieser Vorschrift soll das Jugendamt parallel zur Fremdunterbringung mit der Herkunftsfamilie arbeiten, um deren Erziehungsfähigkeit wiederherzustellen. Leider erfolgt die Hilfe nach § 37 Abs. 1 SGB VIII in der Praxis nur selten; meist enden die Hilfen des Jugendamtes für die Herkunftseltern mit der Herausnahme des Kindes. Daher – und auch in Ergänzung – sollte auf vom Jugendamt unabhängige Möglichkeiten beraterischer und psychologischer Unterstützung hingewiesen werden. Denn erfolgt die nachhaltige Verbesserung der Erziehungsfähigkeit nicht innerhalb eines „im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen vertretbaren Zeitraums, soll mit den beteiligten Personen eine andere, dem Wohl der/des Minderjährigen förderliche und auf Dauer angelegte Lebensperspektive erarbeitet werden (§ 37 Abs. 1 S. 2 und 3 SGB VIII). Dies trägt der kindlichen Entwicklung Rechnung, denn das Kind lebt auch in der Fremdunterbringung weiter und entwickelt Bindungen, deren Abbruch für das Kind sehr beeinträchtigend sein kann. Anwält*innen sollten daher nicht nur rechtlich beraten, sondern auch über Therapie-, Beratungs- und Unterstützungsangebote sowie § 37 SGB VIII informieren.

Ist das Kind fremduntergebracht, sollte erörtert werden, ob und wenn ja, wie Umgangskontakte stattfinden. Meist werden die Umgangskontakte in dieser Konstellation fachlich begleitet. Dauer und Umfang der Kontakte sollten sich daran orientieren, welche Vorerfahrung das Kind mit und welche Bindung/Beziehung es zu dem Elternteil hat, und wie das Kind auf die Umgangskontakte reagiert. Entscheidend ist auch, ob eine realistische Perspektive eines Wechsels des Kindes zu seinen leiblichen Eltern in absehbarer Zeit besteht oder nicht. Besteht diese Perspektive, soll der Umgang dem Erhalt und der Förderung der Bindung dienen und daher häufiger stattfinden. Besteht keine realistische Perspektive eines zeitnahen Wechsels, hat der Umgang den Sinn, dass die Eltern die Entwicklung des Kindes wahrnehmen können und dass das Kind ein realistisches Bild von seinen Eltern entwickeln kann. Der Fokus liegt dann aber auf der Integration des Kindes in die Pflegefamilie.Footnote 1 Oft werden in solchen Konstellationen monatliche Umgangskontakte für das Kind angesetzt. Anwält*innen sollten hierüber umfassend aufklären.

Zeigt sich ein Elternteil ambivalent hinsichtlich der Aufnahme des Kindes in seinen Haushalt oder erscheint der Wechsel nahezu aussichtslos und dem Kind nicht (mehr) zumutbar, kann es wichtig sein, dem Elternteil zu signalisieren, dass auch die Zustimmung zur Fremdunterbringung eine verantwortungsvolle elterliche Entscheidung sein kann. Geregelt werden kann und sollte dann der Kontakt der Eltern zum Kind sowie die Ausübung des Sorgerechts (z. B. § 1630 Abs. 3 BGB).

1.5 Umgang mit strafrechtlich relevanten Handlungen

Stehen Gewalttaten, Misshandlungen oder Missbrauch gegenüber dem Kind im Raum, sollte über Schnittstellen zum Strafrecht aufgeklärt werden. Die unterschiedlichen Zielrichtungen des Strafverfahrens (Bestrafung der Täterin/des Täters, in dubio pro reo) und des Kinderschutzes (Schutz des Kindes vor Gefährdung) sollten erläutert werden.

Eine/ein Strafverteidiger*in wird im Strafverfahren meist raten, zu schweigen – was teils auch Familienrechtsanwält*innen im Kinderschutzverfahren raten. Im Kinderschutzverfahren stellt sich aber das Problem, dass, wenn die Eltern im Falle einer erlittenen Verletzung des Kindes in ihrer Obhut keine plausible Erklärung für die Verletzung haben und den Sachverhalt nicht aufklären, keine sichere Prognose getroffen werden kann, dass und wie Gefährdungen für das Kind im Haushalt der Eltern verhindert werden können. Die Eltern machen zudem deutlich, dass ihre Priorität in der Verfolgung eigener Interessen (Straffreiheit) liegt und nicht das Wohl ihres Kindes handlungsleitend ist. Dies führt zu Zweifeln an ihrer Erziehungsfähigkeit. Ein Leugnen stattgefundener Verletzungshandlungen kann somit dazu führen, dass keine strafrechtlichen Konsequenzen drohen, aber wohl auch eine Rückkehr des Kindes versagt bleibt.

Offenbaren die Eltern die Verletzungs- bzw. Missbrauchshandlung, können Schutz- und Risikofaktoren erarbeitet werden. Es kann dann konkreter geprüft werden, ob und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen eine Rückkehr des Kindes verantwortet werden kann. Das Zugeben der Verletzungshandlungen kann die Chance der Rückkehr des Kindes erhöhen, strafrechtliche Konsequenzen sind aber nicht ausgeschlossen. Gleichwohl können ein Geständnis und die konsequente Bearbeitung der Ereignisse auch entlastend wirken. Zudem kann dies dazu führen, dass die Eltern Hilfe- bzw. Therapieprozesse beginnen.

Daher ist es wichtig, die Eltern über die verschiedenen Handlungsoptionen und ihre möglichen Folgen im Hinblick auf ein Strafverfahren einerseits und das Kinderschutzverfahren andererseits umfassend aufzuklären.

1.6 Umgang mit dem Jugendamt

Es kann sich anbieten, als anwaltliche Vertretung auch Rücksprache mit dem Jugendamt zu halten sowie die Mandantschaft zum Hilfeplangespräch zu begleiten. Alle Beteiligten haben das Recht, sich im jugendamtlichen Verfahren anwaltlich vertreten zu lassen (§ 13 Abs. 1 SGB X). Jugendämter sehen es zwar nicht immer gern, wenn Eltern mit anwaltlicher Begleitung beim Jugendamt erscheinen, dabei kann die anwaltliche Begleitung zur Versachlichung des Konflikts und zur rechtlichen Klärung beitragen. Erforderlich ist dabei, dass Anwält*innen tiefer gehende Kenntnis über das Verfahren sowie die Kompetenzen und Möglichkeiten des Jugendamtes haben.

Gegenüber dem Jugendamt (und auch im frühen Termin gemäß den §§ 155 Abs. 2, 157 FamFG) sollten Anwält*innen unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und die Regelung des § 37 Abs. 1 SGB VIII darauf hinwirken, dass die Gefährdungsaspekte konkret benannt und gegebenenfalls auch schriftlich festgehalten werden, sowie dass kommuniziert wird, was von den Eltern erwartet wird, um eine Inobhutnahme des Kindes zu vermeiden bzw. um auf eine Rückführung des Kindes hinzuarbeiten. Es sollte festgehalten werden, welche Ermittlungsschritte im Einzelnen geplant sind, wann ein neuer Termin stattfinden und welche Vereinbarungen und Regelungen bis zum nächsten Termin getroffen werden.Footnote 2

1.7 Besonderheiten bei der Ausübung des Mandats in Kinderschutzverfahren

Der Fokus der anwaltlichen Vorgehensweise sollte auf dem Schutz des Kindes vor Gefährdungen liegen. Dies kann zur Folge haben, dass es zu einem Konflikt zwischen dem Wunsch und Willen der Mandant*innen einerseits und dem Kindeswohl andererseits kommt, wenn die Eltern ein Ziel verfolgen, bei dem eine Kindeswohlgefährdung nicht auszuschließen ist. Es kann dann zu einem Dilemma kommen: Anwält*innen haben zwar die originäre Aufgabe, ihre Mandantschaft unabhängig zu beraten und zu vertreten (§ 3 Abs. 1 Bundesrechtsanwaltsordnung [BRAO]). Gleichzeitig sind sie aber auch Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO). Sie müssen also am Funktionieren des Rechtsstaats mitwirken. Dazu gehört auch, dass im Kindschaftsrecht das Kindeswohl als das Leitprinzip (§ 1697a BGB, Art. 3 UN-Kinderrechtskonvention) gilt, und dass das Elternrecht bei der Gefährdung des Kindeswohls gegebenenfalls eingeschränkt werden muss. Es ist daher immer zu überlegen, wie die Interessenvertretung der Eltern erfolgen kann. Auf Fachlich- und Sachlichkeit wird ein besonderes Augenmerk zu richten sein.

Auch beim anwaltlichen Vortrag sollte darauf geachtet werden, dass das Kind im familiengerichtlichen Verfahren nicht als Zeug*in vernommen werden darf (§ 163a FamFG) oder als Mittel zum Zweck „benutzt“ wird. Von Druckausübung auf das Kind und Infragestellen von Äußerungen des Kindes sollte abgesehen werden. Äußerungen des Kindes sollten niemals als „Lügen“ bezeichnet werden. Das Kind wird einen Grund für seine Äußerungen haben. Diesen Grund gilt es gegebenenfalls zu erkunden. In der Mehrzahl der Fälle wird es dabei ohnehin nicht zwingend auf den Wahrheitsgehalt ankommen, da selbst eine unberechtigte Äußerung des Kindes, wie z. B. es werde von seinen Eltern misshandelt, eine Ursache hat, die es aus Gründen des Kindeswohls zu klären gilt.

Kinderschutzverfahren können im Übrigen auch für die/den Rechtsanwältin/-anwalt belastend sein. Die Erkenntnis, was die Mandant*innen ihren Kindern gegebenenfalls angetan haben, aber auch das Miterleben des Schmerzes der Eltern, dass ihr Kind womöglich fremduntergebracht wird bzw. bleibt, können für Anwält*innen schwer zu ertragen sein. Zudem können die Verfahren auch persönliche Erfahrungen und Emotionen der/des Rechtsanwältin/-anwalts triggern. Es kann daher erforderlich und ratsam sein, Supervisionen wahrzunehmen und für eine gute „Psychohygiene“ zu sorgen.

2 Anwaltliche Vertretung des Kindes

Im Kinderschutzverfahren hat das Gericht dem Kind in den Fällen des § 158 Abs. 2 Nr. 1 FamFG eine Verfahrensbeistandschaft für die Wahrnehmung seiner Interessen zu bestellen. Aufgabe einer Verfahrensbeistandschaft ist einerseits die Geltendmachung der subjektiven Interessen des Kindes und andererseits eine eigene Einschätzung des Kindeswohls. Die/der Verfahrensbeiständin/-beistand ist keine Vertretung des Kindes im Verfahren, sondern selbst Verfahrensbeteiligte*r (§ 158b Abs. 3 S. 1 FamFG). Das Kind kann sich die Person der/des Verfahrensbeiständin/-beistands nicht aussuchen und diese/dieser ist nicht an die Wünsche des Kindes gebunden. Die Verfahrensbeistandschaft besteht ab der Bestellung bis zur Beendigung des Gerichtsverfahrens (oder der Bestellung). Ist eine Verfahrensbeistandschaft bestellt, ist es auch bei groben Pflichtverstößen, z. B. wenn die/der Verfahrensbeiständin/-beistand das Kind nicht kennenlernt, sich mit dem Kind nicht auseinandersetzt oder etwas völlig anderes berichtet als das Kind in der Kindesanhörung, für die Beteiligten häufig nicht möglich, ihre/seine Entlassung zu erwirken (s. a. Aufgaben und Stellung der Verfahrensbeistandschaft im Kinderschutzverfahren [Kap. 37]).

Eine zusätzliche anwaltliche Vertretung kann für das Kind beispielsweise dann erforderlich sein, wenn das Kind bereits vor bzw. für die Einleitung des Verfahrens anwaltliche Unterstützung benötigt, gegebenenfalls auch außergerichtlich in der Kommunikation mit dem Jugendamt, oder wenn es mit der/dem vom Gericht bestellten Verfahrensbeiständin/-beistand nicht klarkommt und sich nicht gut vertreten fühlt.Footnote 3

2.1 Vertretung eines mindestens 14 Jahre alten Kindes

Fraglich ist, ob ein mindestens 14 Jahre altes Kind ohne seine/seinen gesetzliche/gesetzlichen Vertreter*in anwaltliche Beratung in Anspruch nehmen kann, wenn es um kinderschutzrechtliche Fragen geht und es sich gegen Entscheidungen seiner gesetzlichen Vertretung (sorgeberechtigte Eltern oder Vormund*in/Ergänzungspfleger*in) wenden oder ein Handeln erwirken möchte. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn zwischen dem Kind und der für das Kind sorgeberechtigten, jedenfalls aufenthaltsbestimmungsberechtigten, Person Uneinigkeit hinsichtlich des Lebensmittelpunktes des Kindes oder anderer sorgerechtlicher Entscheidungen besteht oder das Sorgerecht nicht ausgeübt wird.

Voraussetzung für die Beauftragung einer/eines Rechtsanwältin/-anwalts durch das Kind und die Beantragung von Verfahrenskostenhilfe und der Beiordnung einer/eines Rechtsanwältin/-anwalts für das Kind ist, dass das Kind „verfahrensfähig“ ist. Die Verfahrensfähigkeit bedeutet die Fähigkeit, in einem Verfahren Verfahrenshandlungen selbst oder durch eine selbst bestellte Vertretung vornehmen zu können.Footnote 4 Zwecks Gewährung effektiven Rechtsschutzes beinhaltet die Verfahrensfähigkeit dann auch die Geschäftsfähigkeit zur Bevollmächtigung einer/eines Rechtsanwältin/-anwalts sowie zur Erteilung einer Verfahrensvollmacht.Footnote 5

2.1.1 Verfahrensfähigkeit des Kindes

Kinder sind in Kindschaftssachen materiell betroffene Muss-Beteiligte (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 FamFG).

Die Verfahrensfähigkeit, also die Möglichkeit, rechtlich wirksame Verfahrenshandlungen im Gerichtsverfahren vornehmen zu können, bestimmt sich nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG. Hiernach ist eine/ein nach bürgerlichem Recht beschränkt Geschäftsfähige*r verfahrensfähig, soweit sie/er das 14. Lebensjahr vollendet hat und in einem Verfahren ein ihr/ihm nach bürgerlichem Recht zustehendes Recht geltend macht.

Streitig ist, wie es um die Verfahrensfähigkeit des Kindes in Kinderschutzverfahren steht.Footnote 6

Teilweise wird die Verfahrensfähigkeit des Kindes in allen Kindschaftssachen, die die Person des KindesFootnote 7 oder die Personensorge nach § 1631 Abs. 1 BGBFootnote 8 sowie den Antrag auf Entlassung der/des Vormundin/Vormunds nach § 1887 Abs. 2 S. 2 BGBFootnote 9 betreffen, bejaht. Es wird auch das Recht des Kindes auf eine gewaltfreie Erziehung nach § 1631 Abs. 2 BGB als subjektives Recht des Kindes angesehenFootnote 10 oder ein Gefahrenabwehranspruch des Kindes aus den §§ 1626 Abs. 1, 1631 Abs. 1 BGB abgeleitet.Footnote 11 Das Kind ist dann in dem hierauf eingeleiteten Kinderschutzverfahren verfahrensfähig und zum selbstständigen Abschluss eines Anwaltsvertrages fähig. Ihm ist bei Vorliegen der Voraussetzungen Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung einer/eines Rechtsanwältin/-anwalts zu bewilligen.Footnote 12

Eine weitere Ansicht bejaht die Verfahrensfähigkeit des Kindes in Kinderschutzverfahren mit dem Argument, dass es widersprüchlich wäre, wenn ein mindestens 14 Jahre altes Kind in vielen Sorge- und Umgangsverfahren, nicht aber in Kinderschutzverfahren als verfahrensfähig anerkannt würde, obwohl die Auswirkungen einer kindesschutzrechtlichen Maßnahme häufig viel einschneidender für das Leben einer/eines Jugendlichen sind. Zudem kann ein mindestens 14-jähriges Kind gemäß § 60 FamFG gegen eine erstinstanzliche Gerichtsentscheidung in allen seine Person betreffenden Angelegenheiten ohne Mitwirkung seiner gesetzlichen Vertretung Beschwerde einlegen,Footnote 13 wenn es durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist (§ 59 Abs. 1 FamFG). Bei einem engen Verständnis des § 9 Abs. 1 Nr. 3 FamFG wäre die/der Jugendliche in erster Instanz nicht verfahrensfähig und müsste den Erlass der amtsgerichtlichen Entscheidung abwarten, um dann Beschwerde einzulegen.Footnote 14 Es erscheint daher auch verfahrensökonomisch sinnvoll, dem beschwerdeberechtigten Kind bereits erstinstanzlich eine effektive Verfahrensbeteiligung zu ermöglichen, inklusive der Möglichkeit, eine/einen Rechtsanwältin/-anwalt zu beauftragen und Verfahrenskostenhilfe zu beantragen.

Nach anderer Ansicht wird die Verfahrensfähigkeit des mindestens 14 Jahre alten Kindes im Kinderschutzverfahren verneint. Dieser Meinung hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit seinem Beschluss vom 12.05.2021Footnote 15 angeschlossen. Das Kind sei nur dann verfahrensfähig, wenn es ein ihm nach bürgerlichem Recht zustehendes Recht geltend mache (z. B. § 1671 Abs. 2 Nr. 1, 1684 Abs. 1, § 1746 Abs. 1 BGB), was in Kinderschutzverfahren nicht der Fall sei. Der BGH erklärt, dass ein mindestens 14 Jahre altes Kind ohne Mitwirkung seiner gesetzlichen Vertretung Beschwerde gegen eine erstinstanzliche Entscheidung einlegen, jedoch im Verfahren selbst weder davor noch danach eigene Rechte geltend machen könne. Der Schutz der Grundrechte des mindestens 14 Jahre alten Kindes sei durch die/den vom Gericht bestellte/bestellten Verfahrensbeiständin/-beistand gewahrt.

Diese Entscheidung schwächt erheblich die Rechte eines bereits 14 Jahre alten und älteren Kindes in einem für es in der Regel sehr einschneidenden Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung. Gegen die Entscheidung des BGH ist einzuwenden, dass das Kind möglicherweise mit seiner/seinem vom Gericht bestellten Verfahrensbeiständin/-beistand nicht zurechtkommt und die Bestellung auch nicht aufgehoben wird. Es kommt hinzu, dass Aufgabe einer/eines Verfahrensbeiständin/-beistands eben nicht allein die Interessenvertretung des Kindes ist – es besteht schließlich auch keine Weisungsbefugnis des Kindes –, sondern eine/ein Verfahrensbeiständin/-beistand soll auch zum Kindeswohl Stellung nehmen, was mit dem Kindeswillen durchaus auch auseinanderfallen kann. Mit der Argumentation des BGH vereinfacht sich ein Gericht die Arbeit, da es sich auf diese Weise lediglich mit der/dem vom Gericht selbst ausgewählten Verfahrensbeiständin/-beistand auseinandersetzen muss. Gleichzeitig wird dem bereits mindestens 14 Jahre alten und mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits stark vorbelasteten Kind die Möglichkeit genommen, sich in einer für es schwierigen Situation von einer selbst gewählten anwaltlichen Vertretung beraten und vertreten zu lassen. Eine/ein Verfahrensbeiständin/-beistand ersetzt keine/keinen Rechtsanwältin/-anwalt.

In Kinderschutzverfahren nach den §§ 1666, 1666a BGB wird es – so wie in dem Verfahren vor dem BGH – oftmals um den Aufenthalt des Kindes oder um andere die Zukunft des Kindes grundlegend betreffenden Entscheidungen gehen. In Verfahren wegen der freiheitsentziehenden Unterbringung Minderjähriger nach § 167 FamFG bestimmt § 167 Abs. 3 FamFG, dass das Kind ohne Rücksicht auf seine Geschäftsfähigkeit verfahrensfähig ist, wenn es das 14. Lebensjahr vollendet hat. Diese Chance sollten auch Kinder in Kinderschutzverfahren erhalten, wenn sie sich schützen, stärken und beraten lassen wollen.

Die Praxis zeigt, dass Kinder in Kinderschutzverfahren gut vertreten werden können und sie einen großen Bedarf an Unterstützung und rechtlicher Beratung haben. In vielen Verfahren konnte auch die zweite Instanz vermieden werden. Zudem sollte der psychologische Aspekt der Selbstwirksamkeit beachtet werden, der das Kind in dieser schwierigen Situation stabilisieren kann. Kindern, die sich in einem Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung selbst behaupten müssen und sich gegen grundlegende Entscheidungen ihrer gesetzlichen Vertretung für ihre Zukunft wehren, sodass sie sogar die gerichtliche Auseinandersetzung nicht scheuen, sollte die Verfahrensfähigkeit mit den oben genannten Gründen anerkannt werden. Andernfalls werden sie in ihrer Not allein gelassen.

2.1.2 Verfahrenskostenhilfe

Ist das Kind verfahrensfähig, hat es das Recht, Verfahrenskostenhilfe und die Beiordnung einer/eines Rechtsanwältin/-anwalts zu beantragen (§ 76 FamFG). Die erforderliche Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage (§ 78 Abs. 2 FamFG) wird in Kinderschutzverfahren aufgrund der besonderen Bedeutung des Verfahrens für das Kind grundsätzlich zu bejahen sein.Footnote 16

Hieran ändert die Amtsermittlungspflicht (§ 26 FamFG) des Gerichts in Kinderschutzverfahren nichts. Denn die Aufklärungs- und Beratungspflicht der/des Rechtsanwältin/-anwalts geht über die Reichweite der Amtsermittlungspflicht der/des Richterin/Richters hinaus. Zudem kann die/der Rechtsanwältin/-anwalt Ermittlungen anregen und fördern, welche die/der Richter*in von sich aus nicht vornimmt.Footnote 17

An der Erforderlichkeit der Beiordnung einer/eines Rechtsanwältin/-anwalts ändert auch die Bestellung einer/eines Verfahrensbeiständin/-beistands nichts, denn die Funktionen sind unterschiedlich.Footnote 18

2.2 Beauftragung einer anwaltlichen Vertretung durch die Eltern

Für ein jüngeres Kind können die/der sorgeberechtigte/n Elternteil/e eine anwaltliche Vertretung bestellen. Hier wird die/der Rechtsanwältin/-anwalt auch bei Beauftragung durch die Eltern deutlich machen müssen, dass sie/er die Interessen des Kindes und nicht die der ihn beauftragenden Eltern wahrnimmt. Das Kind könnte dann sowohl anwaltlich als auch durch eine Verfahrensbeistandschaft vertreten sein.

2.3 Besonderheiten bei der Ausübung des Mandats in Kinderschutzverfahren

Auch bei der anwaltlichen Vertretung des Kindes stellt sich die Problematik der möglichen Diskrepanz zwischen parteilicher Vertretung und Berücksichtigung des Kindeswohls. Gleichwohl ist eine anwaltliche Vertretung des Kindes klar in der Pflicht, das Kind zu beraten und aufzuklären sowie dessen Interessen zu vertreten. Bei Verfahrensbeiständ*innen geschieht es oft, dass sie eine Art Vermittler- oder Sachverständigenrolle einnehmen, womit aber dem Kind keine eigene Interessenvertretung mehr bleibt. Eine anwaltliche Vertretung sollte daher sich und dem Kind gegenüber die eigene Rolle immer wieder klar machen.

Von besonderer Wichtigkeit sind auch fundierte Kenntnisse des Kinder- und Jugendhilferechts, der Abläufe im Jugendamt und der möglichen Maßnahmen und Hilfen, um das Kind hier umfassend beraten und vertreten zu können, sowie natürlich auch über die Gesprächsführung mit Kindern.

3 Anwaltliche Vertretung der Pflegeeltern

Lebt ein Kind von seinen Eltern getrennt in einer Pflegefamilie, erhalten auch die Pflegeeltern eine Rolle im Kinderschutzverfahren. Sie geben dem Kind ein Zuhause, übernehmen seine Betreuung Tag und Nacht und korrigieren gegebenenfalls bisherige defizitäre Entwicklungsverläufe. Die Pflegeeltern werden zwangsläufig wichtiger Bestandteil der Erlebniswelt des Kindes und allein sie können aus erster Hand über die Entwicklung des Kindes berichten. Der Bedeutung der Pflegeeltern für das Kind trägt auch das Gesetz Rechnung. Da diese Normen oft übersehen werden, kann eine anwaltliche Beratung sinnvoll sein.

3.1 Pflegeperson als Verfahrensbeteiligte

Das Gericht kann in Verfahren, die die Person des Kindes betreffen, die Pflegeperson im Interesse des Kindes als Beteiligte*r zum Verfahren hinzuziehen, wenn das Kind seit längerer Zeit in der Pflegefamilie lebt (§ 161 Abs. 1 S. 1 FamFG). Im Verfahren wegen Verbleib des Kindes in der Pflegefamilie (§ 1632 Abs. 4 BGB) sind die Pflegeeltern sog. „Muss-Beteiligte“, § 7 Abs. 1 Nr. 1 FamFG.Footnote 19

In sämtlichen anderen die Person des Kindes betreffenden Verfahren sind Pflegeeltern sog. „Kann-Beteiligte“ nach § 7 Abs. 3 i. V. m. § 161 Abs. 1 S. 1 FamFG. Aus dieser Möglichkeit, von Amts wegen zum Verfahren hinzugezogen werden zu können, ergibt sich das Antragsrecht der Pflegeeltern auf Hinzuziehung zum Verfahren. Denn soweit jemand vom Gericht zum Verfahren hinzugezogen werden kann, muss ihm die Möglichkeit eröffnet werden, die Initiative auch selbst zu ergreifen.Footnote 20 Der/dem potenziell zu Beteiligenden wird hierdurch kein Anspruch auf Beteiligung eingeräumt, denn die Hinzuziehung liegt allein im Ermessen des Gerichts. Aber die/der potenziell Beteiligte hat einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung des Gerichts über ihre/seine Hinzuziehung. Diese Ermessensentscheidung wird durch das Interesse des Kindes begrenzt. Ein entsprechendes Interesse liegt vor, wenn eine Hinzuziehung dem Kindeswohl dienen kann. Eine Betroffenheit der Pflegeeltern in eigenen Rechten ist irrelevant.

Sinn und Zweck der formellen Beteiligung der Pflegeperson ist, dass die Pflegeperson über den Fortgang des Verfahrens und über die Beweisergebnisse informiert wird und aktiv auf den Verlauf des Verfahrens Einfluss nehmen kann. Zugleich kann sie unmittelbar in die Entscheidung des Gerichts mit einbezogen werden.Footnote 21

Der Begriff „seit längerer Zeit“ richtet sich nach dem kindlichen Zeitempfinden und ist am Alter und der bisherigen Biografie des Kindes zu orientieren. Die „längere Zeit“ wird bei einem Lebensalter des Kindes von bis zu drei Jahren nach ca. drei Monaten, bei einem Lebensalter von vier bis neun Jahren nach ca. sechs Monaten und bei einem Lebensalter ab zehn Jahren nach ca. zwölf Monaten gegeben sein.Footnote 22 Irrelevant ist, wie das Jugendamt das Pflegeverhältnis einordnet, ob als Bereitschafts- oder Dauerpflege bzw. ob ein Pflegevertrag überhaupt vorliegt. Entscheidend ist, ob ein tatsächliches Pflegeverhältnis familienähnlicher Art besteht. Das Gericht darf von der Beteiligung der Pflegeeltern nicht absehen, wenn eine Hinzuziehung dem Kindeswohl dienen kann. Dies muss gerade in den Fällen, in denen das Pflegekind seine Pflegeeltern als seine „Familie“ definiert, angenommen werden.Footnote 23 Für die Beteiligung spricht, dass die Pflegeeltern diejenigen sind, die das Kind am besten kennen. „Dementsprechend sind sie am ehesten dazu berufen, sich unter Berücksichtigung der bisherigen Entwicklung des Kindes in das Verfahren einzubringen und dort die Interessen des Kindes zur Geltung zu bringen. Das ist aber nur dann möglich, wenn sie über den bisherigen Verlauf des Verfahrens vollumfänglich unterrichtet sind. Allein durch eine Anhörung gemäß § 161 Abs. 2 FamFG ist dies nicht hinreichend gewährleistet.“Footnote 24

Über das Recht, nach § 161 Abs. 1 FamFG die Hinzuziehung als Beteiligte*r zu beantragen, hat das Gericht die Pflegeperson zu informieren (§ 7 Abs. 4 FamFG). Die Hinzuziehung als Beteiligte*r kann inkognito erfolgen,Footnote 25 insbesondere wenn die Pflegeeltern anwaltlich vertreten werden. Die Beteiligung durch das Gericht kann konkludent (z. B. durch Gewährung der Akteneinsicht) oder durch Beschluss erfolgen. Die Ablehnung der Hinzuziehung muss durch einen beschwerdefähigen Beschluss ergehen (§ 7 Abs. 5 FamFG).

3.2 Anhörung der Pflegeperson

Gemäß § 161 Abs. 2 FamFG ist die Pflegeperson anzuhören, wenn das Kind „seit längerer Zeit“ in der Pflegefamilie lebt. Das Gericht ist also im Rahmen der Amtsermittlung zur Anhörung der Pflegeperson verpflichtet (vgl. § 26 FamFG). Die Anhörung der Pflegeeltern kann inkognito erfolgen, also ohne Bekanntgabe des (vollen) Namens und der Adresse an alle Beteiligten.Footnote 26 Die Ladung kann über die anwaltliche Vertretung oder auch über das Jugendamt bzw. den Pflegekinderdienst erfolgen. Erfolgt die verfahrensabschließende Entscheidung ohne Anhörung der Pflegeperson, ist die Entscheidung verfahrensfehlerhaft.Footnote 27

3.3 Information der Pflegeperson über rechtliche Handlungsmöglichkeiten

Verfahrensrechtlich haben die Pflegeeltern das Recht, die Hinzuziehung als Beteiligte am Verfahren betreffend die Person des Pflegekindes, also bei Sorgerechts-, Kinderschutz- und Umgangsrechtsverfahren, zu beantragen (§ 7 Abs. 3 i. V. m. § 161 Abs. 1 S. 1 FamFG). Es sollte auch auf das Anhörungsrecht nach § 161 Abs. 2 FamFG hingewiesen werden.

Materiell-rechtlich haben Pflegeeltern das Recht, einen Antrag auf Anordnung des Verbleibs des Kindes in der Pflegefamilie nach § 1632 Abs. 4 BGB zu stellen, wenn das Kind seit längerer Zeit in der Pflegefamilie lebt und durch die Wegnahme des Kindes von der Pflegeperson das Kindeswohl gefährdet würde. Die Gefährdung des Kindes kann infolge von Erziehungsdefiziten bei den Eltern in Bezug auf das Kind oder infolge der Trennung des Kindes von den Pflegeeltern bestehen.

Gemäß der seit dem 10.06.2021 geltenden Fassung des § 1632 Abs. 4 BGB kann der Verbleib auch auf Dauer angeordnet werden, wenn sich innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes vertretbaren Zeitraums trotz angebotener geeigneter Beratungs- und Unterstützungsmaßnahmen die Erziehungsverhältnisse bei den Eltern nicht nachhaltig verbessert haben, eine derartige Verbesserung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch zukünftig nicht zu erwarten und die Anordnung zum Wohl des Kindes erforderlich ist. Angemerkt sei, dass auch eine befristete Anordnung des Verbleibs nicht bedeutet, dass das Kind nach Ablauf der Frist automatisch herauszugeben ist, sondern dass für die Dauer der Befristung der Verbleib nicht in Frage gestellt werden kann, also für einen Herausgabeantrag das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Wenn nach Ablauf der Frist die Herausgabe des Kindes gefordert wird, müsste erneut geprüft und entschieden werden, welche Folgen ein Wechsel für das Kind zu dem aktuellen Zeitpunkt hätte.

Das Verfahren nach § 1632 Abs. 4 BGB mit dem Ziel einer Verbleibensanordnung ist ein gesondertes Verfahren. Ist z. B. in einem Verfahren nach den §§ 1666 f. BGB ein Sorgerechtsentzug abgelehnt bzw. die Rückführung des Kindes geprüft worden und waren die Pflegeeltern an diesem Verfahren nicht beteiligt, hat diese Entscheidung keine Bindungswirkung gegenüber den Pflegeeltern. Der Antrag nach § 1632 Abs. 4 BGB bleibt statthaft.Footnote 28

3.4 Besonderheiten bei der Vertretung der Pflegeeltern in Kinderschutzverfahren

Auch für die Vertretung der Pflegeeltern gilt, dass eine rein parteiische Vertretung der Interessen der Pflegeeltern dem Kindeswohl zuwiderlaufen kann. Das Kindeswohl und die Rechte des Kindes sollten im Blick behalten werden. Im Fokus stehen das Recht des Kindes auf Zusammenleben mit seinen Eltern, sein Recht auf Schutz vor Gefährdungen durch die Eltern sowie sein Recht auf Schutz der in der Pflegefamilie aufgebauten Bindungen.

Pflegeeltern sollten darüber aufgeklärt werden, dass ein Wechsel des Kindes in den Haushalt der leiblichen Eltern letztlich nur dann nicht stattfindet, wenn der Wechsel für das Kind eine Gefährdung darstellt. Klarzustellen ist aber auch, dass die Voraussetzungen für eine Verbleibensanordnung bereits während des (ersten) Kinderschutzverfahrens gegeben sein können, insbesondere wenn Kindeswohlgefährdungen bereits stattgefunden und die Erziehungsfähigkeit der Eltern noch nicht überprüft ist, das Kind sehr klein ist bzw. das Verfahren lange dauert.

Pflegeeltern sollten auch darüber aufgeklärt werden, dass einem geplanten Wechsel des Kindes in eine andere Fremdunterbringung mit einem Verbleibensantrag entgegengetreten werden kann, wenn nicht auszuschließen ist, dass für das Kind Beeinträchtigungen infolge des Wechsels drohen.Footnote 29

Die Pflegeeltern sollten auch über das Umgangsrecht der leiblichen Eltern aufgeklärt werden, über die Möglichkeiten und Voraussetzungen begleiteten Umgangs sowie die Grundsätze zu Dauer, Frequenz und Ziel der Umgangskontakte (s. o. 41.1.4).

Pflegeeltern sollte zudem geraten werden, die Entwicklung des Kindes seit Aufnahme in die Pflegefamilie zu dokumentieren.

Hinsichtlich der Verfahrenskosten sollte die/der Rechtsanwältin/-anwalt darauf hinwirken, dass den Pflegeeltern diese nicht auferlegt werden.Footnote 30

4 Fazit

Kinderschutzverfahren sind anfällig für Emotionalität und Ideologien. Auch Anwält*innen sollten sich im Kinderschutzverfahren ein Bild über den Sachverhalt und die Perspektive des Kindes machen und sich um sachliches Vorgehen bemühen. Nur dann können sie sich eine eigene fachliche Meinung darüber bilden, ob das Handeln des Jugendamtes oder des Gerichts unverhältnismäßig oder angemessen bzw. erforderlich erscheint. Haben erhebliche Beeinträchtigungen und Schädigungen des Kindes stattgefunden, kann es auch für Anwält*innen nicht immer einfach sein, sich mit schwer zu ertragenden Sachverhalten auseinanderzusetzen. Zum Schutz der Grundrechte von Eltern und Kindern ist es die beste Garantie, wenn auch die Anwält*innen darauf hinwirken, dass der Sachverhalt umfassend aufgeklärt, eine hinreichende Grundlage für eine verlässliche Prognose und eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung erarbeitet werden. Die/der Rechtsanwältin/-anwalt kann zudem auf ihre/seine Mandantschaft einwirken, erforderliche, gegebenenfalls auch therapeutische, Hilfen und Unterstützung anzunehmen.