1 Datenschutz auch im Kinderschutz(verfahren)

Im familiengerichtlichen Verfahren wegen Kindeswohlgefährdung gehen naturgemäß unzählige Daten zwischen allen Beteiligten hin und her. Das bedeutet, Informationen werden im Vorfeld sowie im Verfahren selbst, schriftlich sowie mündlich und sogar nonverbal aufgenommen – also erhoben –, verarbeitet und weitergegeben. Ein Beispiel: Berichtet die Verfahrensbeiständin im mündlichen Termin über ihre Gespräche mit den Eltern des betroffenen Kindes oder mit weiteren Bezugspersonen wie z. B. einer Erzieherin des Kindes, hat sie zuvor nicht nur eine Vielzahl von (oft vertraulichen) Informationen erhoben und durch Zusammenstellung, Gewichtung und Bewertung verarbeitet, sie gibt sie nun auch schriftlich durch ihren Bericht und mündlich im Verhandlungstermin weiter, wodurch eine Vielzahl anderer Personen – wie Richter*in, Rechtsanwält*in, Fachkräfte des Jugendamtes, Eltern, gegebenenfalls weitere Mitwirkende – allein durch das Zuhören diese (verarbeiteten) Daten wiederum erheben. Dies macht die Komplexität des Themas „Datenschutz im Kinderschutzverfahren“ deutlich.

Nun könnte man der Auffassung sein, bei Fällen von Kinderschutz habe der Datenschutz zurückzustehen. Dem ist entgegenzuhalten, dass das zu schützende Wohl von Kindern und Jugendlichen nicht allein deren körperliche Unversehrtheit, sondern ebenso ihre Freiheits- und Persönlichkeitsrechte umfasst. Kinder und Jugendliche haben einen grundrechtlich verbrieften Anspruch darauf, dass diese Rechte respektiert werden – von denjenigen, die in erster Linie für das Wohl des Kindes verantwortlich sind, wie von Eltern und anderen Familienangehörigen, und erst recht von Menschen, die beruflichen Kontakt mit ihnen haben. Hierzu gehören beispielsweise Lehrkräfte, Trainer*innen, Sozialpädagog*innen und Ärzt*innen ebenso wie Jugendamtsmitarbeiter*innen, Familienrichter*innen oder andere Beteiligte in Kinderschutzverfahren.

Zu den Freiheits- und Persönlichkeitsrechten gehört auch das in Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Allgemeine Persönlichkeitsrecht, aus dem das BVerfG in seinem wegweisenden Volkszählungsurteil (BVerfG 15.12.1983 – 1 BvR 209/83 et al.) ein Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als konkretisierte Einzelverbürgung ableitete: „Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen“ (ebd., Leitsatz). Gemeint sind hier alle personenbezogenen Informationen unabhängig von dem Grad ihrer Intimität, da es „unter den Bedingungen der automatischen Datenverarbeitung kein ‚belangloses‘ Datum mehr [gibt]“ (ebd.). Das BVerfG legte in seinem Urteil fest, dass personenbezogene Daten von öffentlichen Stellen nur dann erhoben werden dürfen, wenn sie zur Erfüllung der jeweiligen hoheitlichen Aufgabe erforderlich sind (Erforderlichkeitsgrundsatz). Die erhebende Stelle hat die betroffene Person weiterhin darüber aufzuklären, was mit ihren Daten geschieht und zu welchem Zweck sie verwendet bzw. offenbart werden können (Transparenzgebot) und dass die Informationen außerdem nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie erhoben worden sind (Zweckbindungsprinzip; vgl. Goerdeler 2005).

Für den Umgang mit Daten gilt gleichsam der Grundsatz: Es ist alles verboten, solange es nicht ausdrücklich erlaubt ist (Tab. 42.1).

Tab. 42.1 Es ist alles verboten, solange es nicht ausdrücklich erlaubt ist

Um einen Eingriff in das Recht auf InformationelleSelbstbestimmung legitimieren zu können, muss eine gesetzliche Grundlage so gestaltet sein, dass „sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkung klar und für den Bürger erkennbar ergeben“ (BVerfG 15.12.1983 – 1 BvR 209/83 et al.). Die Vorschriften, die den Umgang mit personenbezogenen Informationen durch die verschiedensten Berufsgruppen und insbesondere durch öffentliche Stellen regeln, sind vielfältig. Zuvörderst zu nennen ist hier die 2018 in Deutschland in Kraft getretene „Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG“, kurz die Datenschutz-Grundverordnung oder DSGVO. Sie normiert den grundlegenden Schutz von Daten und gilt in Deutschland unmittelbar. Hinzu kommen das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) und die einzelnen Landesdatenschutzgesetze (LDSG), welche an die DSGVO bereits angepasst sind, sodass die Regelungswerke nicht miteinander kollidieren. Gibt es bereichs- und berufsgruppenspezifische Gesetze (z. B. §§ 61 ff. SGB VIII, §§ 67 ff. SGB X), gehen diese den allgemeinen Regelungen vor. Auch Arbeits- und Tarifverträge beinhalten oftmals entsprechende Vorgaben.

2 Schweigepflicht von Berufsgeheimnisträger*innen (auch) im Kinderschutzverfahren

Die strafrechtliche Schweigepflicht gemäß § 203 Strafgesetzbuch (StGB) nimmt eine gesonderte Stellung im Zusammenhang mit Kinderschutzverfahren ein, da die am Verfahren beteiligten Berufsgruppen in aller Regel Berufsgeheimnisträger*innen sind. Die Vorschrift stellt das unbefugte Offenbaren eines im beruflichen Zusammenhang erlangten Geheimnisses, also die Weitergabe von Informationen ohne Einwilligung der betroffenen Person oder eine gültige Rechtsgrundlage, unter Strafe. Das gilt für Rechtsanwält*innen (Abs. 1 Nr. 3), Sozialarbeiter*innen und Sozialpädagog*innen (Abs. 1 Nr. 6), Ärzt*innenFootnote 1 (Abs. 1 Nr. 1) und Berufspsycholog*innen (Abs. 1 Nr. 2) ebenso wie für Angestellte des Öffentlichen DienstesFootnote 2 (Abs. 2 Nr. 2) und alle Beamt*innen (Abs. 2 Nr. 1), wie beispielsweise öffentlich bedienstete Lehrkräfte oder Kita-Erzieher*innen. Geheimnisse sind alle persönlichen Informationen, an denen Betroffene ein Geheimhaltungsinteresse haben. Also z. B. Gedanken, Meinungen, familiäre und berufliche Verhältnisse, aber auch bereits die Tatsache der Beratung oder Behandlung sowie die bloße Vereinbarung eines Termins (OLG Karlsruhe 23.6.2006 – AK 14 U 45/04). Die Pflicht zur Verschwiegenheit gilt gegenüber „jedermann“. d. h. gegenüber Kolleg*innen und anderen schweigepflichtigen Personen, gegenüber Mitarbeiter*innen von Behörden (z. B. des Jugendamtes) oder Gerichten, Kliniken, Schulen, Kindergärten und ebenso gegenüber Privatpersonen – und grundsätzlich auch gegenüber den Angehörigen minderjähriger Personen. Zwar steht den Sorgeberechtigten des Kindes oder Jugendlichen ein aus dem Erziehungsrecht (§§ 1626, 1631 BGB) resultierendes „Informationsrecht“ zu; mit wachsender Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Kindes muss dieses Recht jedoch zurückweichen. Denn beim Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung handelt es sich um ein höchstpersönliches Rechtsgut. Schweigepflichtige Personen haben aus ihrer professionellen Perspektive in jedem Einzelfall zu prüfen, ob die/der minderjährige Geheimnisträger*in tatsächlich (noch) nicht in der Lage ist, Entscheidungen hinsichtlich dieses Grundrechtes selbst auszuüben, wenn sie vertrauliche Informationen weitergeben möchten.Footnote 3

3 Datenschutzregelungen im Kinderschutzverfahren

Für eine Kommunikation der beteiligten Akteur*innen im Kinderschutzverfahren finden sich Datenschutzregelungen für das Familiengericht in der DSGVO (vgl. auch Bieresborn DRiZ 2019, S. 18) sowie ergänzend im FamFG (Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit) und in der ZPO (Zivilprozessordnung) (Tab. 42.2); für die Jugendhilfe in den Sozialgesetzbüchern (SGB VIII und SGB X) (Tab. 42.3). Für die Tätigkeit von Verfahrensbeiständen fehlen bislang spezielle Regelungen, weshalb hier die Vorgaben der DSGVO und des BDSG anwendbar sind (vgl. Heilmann/Keuter 2020, § 158 FamFG, Rn. 54) (Tab. 42.4). Sachverständige haben als Gehilfen des Gerichts sorgsam mit den für ihre Aufgabenerfüllung notwendigerweise erhobenen Daten umzugehen (s. Tab. 42.5). Für andere Berufsgruppen wie Erzieher*innen, Kinderärzt*innen, Mitarbeitende bei freien Jugendhilfeträgern etc. gibt es – neben den oben dargestellten Schweigepflichten – keine speziell auf familiengerichtliche Verfahren gerichtete Datenschutzregelungen (was nicht heißt, dass es keine Regelungen zum Umgang mit Sozialdaten gäbe, s. Tab. 42.6.).

Tab. 42.2 a. Familiengericht
Tab. 42.3 b. Jugendamt
Tab. 42.4 c. Verfahrensbeistände
Tab. 42.5 d. Sachverständige
Tab. 42.6 e. Fachkräfte freier Jugendhilfeträger und Berufsgeheimnisträger*innen

4 Und wie ist das jetzt genau …? Fragen aus der Praxis

Der dargestellte Überblick über die verschiedenen datenschutzrechtlichen Regelungen und Regelungsbereiche gibt bereits Antworten auf datenschutzrechtliche Praxisfragen, die im Zusammenhang mit Kinderschutzverfahren relevant sind. Weiterführend sei hier auch auf den aktuellen Beitrag von Birgit Hoffmann verwiesen: „Ausgewählte Fragestellungen zum Datenschutz in familiengerichtlichen Kindesschutzverfahren“ (ZKJ 2/2020, S. 45 ff.).

Tab. 42.7 soll helfen, sich hinsichtlich bestimmter Fragestellungen zum Informationsaustausch der professionellen Akteur*innen im Kinderschutzverfahren schnell informieren zu können.

Tab. 42.7 Informationsaustausch der professionellen Akteur*innen im Kinderschutzverfahren

5 Fazit

Auch im Kinderschutz (-verfahren) sind personenbezogene Daten umfassend geschützt. Das Grundrecht auf Informationelle Selbstbestimmung ist ein Persönlichkeitsrecht (auch) von Kindern und Jugendlichen, in das deshalb auch bei einer schwerwiegenden Kindeswohlgefährdung nur mit Einwilligung der Betroffenen oder aufgrund eines förmlichen Gesetzes eingegriffen werden darf. Denn: Im Datenschutz ist alles verboten, es sei denn, es ist ausdrücklich erlaubt. Gesetze, die hinsichtlich des familiengerichtlichen Verfahrens bzw. für die unterschiedlichen Akteur*innen sowohl das Erheben als auch das Speichern, Nutzen und Weitergeben von Informationen regeln, sind entsprechend zahlreich vorhanden – was es für die Praxis oft schwierig macht. Der vorliegende Text sollte mit seiner Strukturierung der zentralsten Vorschriften zu Datenschutz und Schweigepflicht nach den beteiligten Akteur*innen sowie den Praxisfragen eine Hilfestellung bieten, sich einen Überblick über die für die eigene Profession bzw. den eigenen Tätigkeitsbereich relevanten Regelungen zu verschaffen. Dabei ist deutlich geworden, dass die deutsche Gesetzgebung den Schutz personenbezogener Daten äußerst ernst nimmt – vor allem, wenn, wie im familiengerichtlichen Verfahren, staatliche Stellen, verschiedene Träger und Berufsgeheimnisträger*innen mit (oft sensiblen) Informationen von Privatpersonen hantieren. Auch im Kinderschutzverfahren ist und bleibt deshalb – flankiert von gesetzlichen Vorgaben – die Einwilligung der Königsweg im Umgang mit Daten.