Zusammenfassung
This chapter discusses the first German translation of Paradise Lost, which was begun by Theodor Haak and revised, completed, and published by Ernst Gottlieb von Berg in 1682. After situating Haak and Berg in their social, political, and religious contexts, we consider the several processes of linguistic, political, and metrical translation involved in this publication – not only from Milton to Haak, but also from Haak to Berg’s revision. While Haak retains the political topicality of Milton’s poem, Berg’s version neutralises its republican dimension in favour of an aesthetic and religious interpretation, which was eventually also championed by Johann Jakob Bodmer in his influential prose translation of Paradise Lost (1732). Notably, Berg’s edition is also the first published work of blank verse in German literature. However, while Haak closely reproduces the liberties of Milton’s poetic form, Berg consistently regularises Haak’s metre in terms of Opitz’ principle of alternation.
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1 Einleitung
Paradise Lost von John Milton (erstmals gedruckt 1667) ist von unzweifelhaft überragender Bedeutung für die Literaturgeschichte: Im 18. Jahrhundert erlebt das Bibel-Epos in England doppelt so viele Neudrucke wie Shakespeares Dramen. Durch Übersetzungen wird es auch in Deutschland bekannt, wo Paradise Lost um die Mitte des 18. Jahrhunderts dann im Literaturstreit zwischen Zürich und Leipzig eine zentrale Rolle spielt.Footnote 1 Im Folgenden werden v. a. die Anfänge der deutschsprachigen Rezeption von Paradise Lost im 17. Jahrhundert rekonstruiert, und zwar durch einen Vergleich der beiden frühesten deutschen Vers-Übersetzungen mit Johann Jakob Bodmers etwas später entstandener Prosa-Fassung. Milton selbst stellt seinem epischen Gedicht die Notiz „The Verse“ voran, um seinen Verzicht auf den Endreim zu rechtfertigen und die ‚Englishness‘ des Blankverses zu konstruieren. Auch auf diese national-philologische Einordnung wird für die Verortung der drei frühen deutschsprachigen Übersetzungen im innereuropäischen Kulturtransfer einzugehen sein. Abschließend wird in einem kurzen Vergleich von Miltons Metrik mit der seiner beiden deutschen Vers-Übersetzer aufzuzeigen sein, inwiefern Miltons „ungebundene Freiheit der Poesie“ unterschiedlich ausgedeutet werden kann: erstens poetologisch, zweitens politisch oder drittens auch in einem religiösen Sinn.
2 Miltons Paradise Lost im Streitschriftenkrieg zwischen Zürich und Leipzig
1740 publiziert der Zürcher Theologe und Philologe Johann Jakob Bodmer seine von Leibnizʼ Theorie der möglichen Welten geprägte Critische Abhandlung von dem Wunderbaren in der Poesie und dessen Verbindung mit dem Wahrscheinlichen In einer Vertheidigung des Gedichtes Joh. Miltons von dem verlohrenen Paradiese. Dieser Text markiert den ersten Höhepunkt jenes Streitschriftenkrieges zwischen – grob vereinfacht – Johann Christoph Gottsched in Leipzig sowie den Anhängern seiner französisch-klassizistisch geprägten Normpoetik auf der einen und Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger in Zürich sowie den Befürwortern der von englisch-sensualistischen Einflüssen bestimmten „Ästhetik“ auf der anderen Seite. Dabei ist Miltons Epos über die biblische Geschichte von Adam und Eva und über den Kampf zwischen Engeln und Teufeln um die Herrschaft im Weltall, auf der Erde und in der Hölle von Bodmer bereits 1723/24 – angeblich in einem wahren Schaffensrausch binnen weniger Wochen – in Prosa übersetzt worden. Zwischen 1732 und 1769 erscheinen fünf verschiedene Überarbeitungen dieser Übersetzung. Der biblische Stoff bietet den Schweizern Gelegenheit, die ihnen so wichtige, „jenseits der Ratio angesiedelte emotionale Wirkung der Dichtung, […] die Rolle der Einbildungskraft im Prozess des Dichtens“ zu demonstrieren: Insofern wird Bodmers Milton-Übersetzung zu einem „bedeutenden Meilenstein auf dem Weg von der rationalen Normpoetik“, wie sie der Wolffianer Gottsched in Leipzig vertreten hatte, „hin zu einer affektiven Wirkungsästhetik.“Footnote 2 Gottsched strebt eine vernünftige Religion an, in der alle Glaubenssätze rational gerechtfertigt sind. Auch in der Poesie solle die Vernunft uneingeschränkt herrschen. Bodmer dagegen sieht das Besondere der Poesie gerade in ihrer Möglichkeit, vermittels der „dichterischen Einbildungskraft“ die Phantasie des Menschen anzuregen und Begeisterung auszulösen – vor allem in der religiösen Dichtung. Durch die Darstellung wunderbarer Begebenheiten sollen die Leser zu einem geistigen Höhenflug angeregt werden, in dem dann religiöse Erfahrungen möglich werden, die dem Zugriff der Vernunft letztlich entzogen bleiben.Footnote 3 Dazu eigne sich Miltons Epos vorzüglich, da er „in der Bibel topographisch nur vage beschrieben[e]“ Orte wie „Himmel, Hölle und Paradies […] sinnlich fassbar vor Augen“Footnote 4 führt und Wesen wie Engel und Teufel körperlich beschreibt. Dies alles muss Gottsched als „Elemente des Aberglaubens“ erscheinen, „die es zu tilgen gilt“, denn „[e]ine vernünftige Religion und eine vernünftige Dichtkunst bedingen nach seiner Meinung einander“.Footnote 5
Doch nicht nur kritische Rationalisten wie Gottsched lehnen Miltons Paradise Lost bzw. Bodmers Übersetzung desselben ab. Der Druck von Bodmers Arbeit verzögert sich zunächst um ganze neun Jahre, da auch den streng zwinglianischen Zensoren in Zürich der poetisch freie, fiktionalisierende Umgang mit einem derart heiligen Stoff (immerhin dem Sündenfall des Menschen und somit einem Kern christlicher Dogmatik) doch „allzu Romantisch […]“Footnote 6 (das heißt romanhaft, phantasievoll, frei über die biblisch-sakrosankte Vorlage hinaus ausgeschmückt) erscheint. Aber gerade diese gezielte Ansprache an „die Seele“ der Rezipienten, die durch die Lektüre in eine „heftige Gemütsbewegung versetzt“ und so „zur Intensivierung religiöser Empfindungen“ angeregt werden soll,Footnote 7 bildet den Kern von Bodmers (und auch von Breitingers) Affektpoetik, deretwegen der Literaturstreit zwischen Leipzig und Zürich letztlich eskaliert. Als Bodmers Prosa-Übersetzung schließlich erscheinen kann, begeistert sie schon bald junge Leser, darunter den Lateinschüler Friedrich Gottlieb Klopstock, der sich – damals noch des Englischen unkundig – von Bodmers Übersetzung des Paradise Lost zu den ersten Gesängen seines eigenen Bibel-Epos Der Messias anregen lässt.Footnote 8 Die Bedeutung Miltons für die Entwicklung der deutschsprachigen Literatur im 18. Jahrhundert kann also kaum überschätzt werden.
Wie aber beginnt die Milton-Rezeption in Deutschland? Zu Lebzeiten wird Milton in Deutschland vor allem als Publizist wahrgenommen – besonders mit seiner auf dem Kontinent berüchtigten Rechtfertigung des Regizids, der Hinrichtung König Karls I. Erst postum wird Milton vermehrt auch als Dichter rezipiert. Eine frühe Ausnahme bildet hier Daniel Georg Morhof, der auf Reisen in England mit dem in Deutschland noch völlig unbekannten dichterischen Werk Miltons in Kontakt kommt und es in seinem Unterricht von der deutschen Sprache und Poesie bereits 1682 mehrfach lobend erwähnt. Morhof als Komparatist avant la lettre bleibt aber eine Ausnahme. Erst in Joseph Addisons und Richard Steeles Spectator (1711/12) wird Milton dann in mehr als 20 Beiträgen für seine „Erfindungs- und Vorstellungskraft und [für] die Schönheiten“ von Paradise Lost gerühmt und mit „Vergil und Homer“ verglichen.Footnote 9 Vermittelt über die französische Übersetzung Le spectateur werden diese Lobeshymnen auf Miltons Vers-Epos u. a. dem Schweizer Bodmer bekannt, der daraufhin anfängt, vermittels eines Englisch-Lateinischen Wörterbuchs Englisch zu lernen, um Paradise Lost ins Deutsche übersetzen zu können.Footnote 10 Interessanterweise hat Bodmer bis dahin also keinen Bezug zu England, den dortigen Verhältnissen und zur englischen Dichtung. Miltons für die Epik innovativen Blankvers und seine theoretische Rechtfertigung der Reimlosigkeit im Vorwort „The Verse“ übergeht Bodmer daher auch völlig, indem er eine Prosaübersetzung liefert, deren Ziel es ist, möglichst wortgetreu die von Milton entworfenen enthusiastischen Bilder wiederzugeben. Damit ist Bodmer ab 1732 zwar zweifelsohne der in Deutschland wirkmächtigste Übersetzer von Paradise Lost, aber bei weitem nicht der früheste und auch nicht der ausgewiesenste.
3 Die beiden frühen Übersetzungen von Haak und Berg im Vergleich
Bereits 1682 erscheint die erste deutsche Vers-Übersetzung Das verlustigte Paradeis – eine Co-Produktion zweier anglophiler Gelehrter, die in England mit Milton persönlich bekannt geworden sind. Dabei geht die im Druck erschienene Fassung, die unter dem Namen des späteren brandenburgischen Beamten Ernst Gottlieb von Berg (1649–1722) erscheint, auf eine ältere, nur privat vorgetragene Teil-Übersetzung eines Pfälzer Exilanten in London namens Theodor Haak (1605–1690) zurück.
Haak, mütterlicherseits aus der bekannten hugenottischen Gelehrten-Familie Toussaint/ Tossanus in Heidelberg stammend und gebürtig aus Worms, studiert seit 1625 in Oxford, später in Cambridge und geht 1633 (ohne akademischen Abschluss) nach Heidelberg, um sich am Wiederaufbau des Landes zu beteiligen. Nach der Niederlage der Schweden bei Nördlingen 1634 kehrt er aber bereits nach England zurück und verkehrt fortan in London im Kreis europäischer Intellektueller um den Netzwerker und Reformer Samuel Hartlib, wo er auch ein enger Freund des württembergischen Dichters und englischen Sekretärs Georg Rodolf Weckherlin wird.Footnote 11 1638 erscheint in Basel Haaks deutsche Übersetzung von Daniel Dykes Traktat über Sünde und Selbstbetrug, The Mystery of Self-deceiving (1615), einem Klassiker puritanischer Spiritualität im 17. Jahrhundert, der in Haaks Übersetzung zu immerhin sechs Auflagen bis 1691 kommt. Während des englischen Bürgerkriegs arbeitet Haak für das Parlament, für das er u. a. auf politische Missionen nach Dänemark und in die Schweiz geschickt wird und in dessen Auftrag er eine kommentierte niederländische Ausgabe der Bibel ins Englische übersetzt. In dieser Zeit lernt Haak auch Milton kennen. „H[aak], religiös und politisch liberal,“ kann während der Restauration seine Tätigkeit als Übersetzer naturphilosophischer Schriften vom Kontinent für Hartlibs Kreis fortführen und „seit 1661 an der Gründung der daraus entstehenden Royal Society mitwirken, die 1662/63 von König Karl II. privilegiert“ wird.Footnote 12 Er ist vor allem als internationaler Korrespondent gut vernetzt unter europäischen Naturforschern und erarbeitet für sie zahlreiche wissenschaftliche Übersetzungen. Zeitnah zur Erstpublikation von Paradise Lost erstellt er die erste (Teil-)Übersetzung dieses Epos in eine andere europäische Landessprache überhaupt,Footnote 13 wofür er mit der ersten Fassung von 1667 arbeitet (die noch keine Vorreden enthält). Das Manuskript bleibt zwar unpubliziert, wird jedoch mehreren mit Haak befreundeten Gelehrten vorgelesen und befindet sich heute in der Landesbibliothek Kassel.Footnote 14
Wie die Forschung gezeigt hat, erkennt Haak, als im englischen Kontext der Zeit verankerter Übersetzer, die eminent politische Dimension von Paradise Lost, welche später im Zuge romantischer Milton-Rezeption gerne ausgeklammert wird: „Milton’s epic was not concerned with the loss of Eden so much as the loss of the English ‚Paradise‘ at the Restoration.“Footnote 15 Die bei Milton an mehreren Stellen intendierte „dual identity of Satan, republican hero and monarchical or imperial pretender“, aber auch „the connection between Satan and Interregnum statesmen, such as Cromwell or Vane“, werden von Haak genauso übersetzt, wie sie in Miltons Text zu finden sind.Footnote 16 Smith führt dazu den Vergleich der Verse 119–124 des ersten Buchs an, in denen die „anti-tyrannical sentiments of Milton’s Satan“ zum Ausdruck kommen und die mit folgender Beschreibung Gottes enden:
Who now triumphs, and in the excess of joy
Sole reigning holds the tyranny of heaven.Footnote 17
Haak übersetzt sie sehr genau als
Wie frewdig Er auch triumfierend ietzt
allein im Himmel alss Tyrann, regieret.Footnote 18
Als 1682 die erste Druckfassung erscheint, in welcher der Übersetzer Berg für die ersten dreieinhalb Gesänge diese Version Haaks überarbeitet, sind interessanterweise gerade diese beiden Verse komplett weggefallen.Footnote 19 Und in der späteren Prosa-Fassung Bodmers ist die Passage zwar übersetzt, doch fehlt ihr der Hinweis auf die Rebellion gegen einen Tyrannen:
[…] welcher jezo triumphiert, und voller ungemessenen Freude die Herrschaft in dem Himmel ohne einen Nebenbuhler besitzet.Footnote 20
Auch eine weitere einschlägige Stelle, deretwegen Miltons Paradise Lost fast an der Zensur im England der Restauration unter Karl II. gescheitert wäre, wird von Haak mit der bei Milton enthaltenen politischen Implikation übersetzt:
[...] As when the sun new ris’n
Looks through the horizontal misty Air
Shorn of his beams, or from behind the moon
In dim eclipse disastrous twilight sheds
On half the nations, and with fear of change
Perplexes Monarchs. [...]Footnote 21
Bei Haak bleibt die mögliche Anspielung auf die Sonnenfinsternis bei der Geburt Karls II. am 29. Mai 1630, von der er in London sicherlich wusste, erhalten:
[...] wie die Son,
Wenn durch den Morgen Nebel ihre Strahlen
verhüllet, oder hinder Newen Mond
verfinstert Sie die halb’ Erd bleich anscheindt
[...]
u. macht Monarchen bang für Änderung. (1.592-6)Footnote 22
Bisweilen werden jedoch auch Unterschiede deutlich: Wo Milton ganz „Renaissance visionary“ ist, zeigt sich der Übersetzer Haak als „natural philosopher“, der die oftmals mythologischen Beschreibungen Miltons gelegentlich auf bloße Astronomie bzw. Physik reduziert.Footnote 23
Auch Ernst Gottlieb von Berg kann als einer der gelehrten Akteure im Kulturtransfer des späten 17. Jahrhunderts fasslich gemacht werden, doch scheint er bei Weitem nicht über Haaks Netzwerk und politische Ambitionen zu verfügen. Er stammt aus alteingesessener Adelsfamilie im Fürstentum Anhalt-Zerbst. Nach einer soliden humanistischen Ausbildung am Gymnasium in Zerbst hält er sich als junger Mann acht Jahre lang in Russland auf. Von dort kommt er mit dem englischen Gesandten nach London, wo er sich in jenen literarischen Zirkeln bewegt, in denen auch Theodor Haak „sowie andere Milton-Anhänger und engl[ische] Intellektuelle“ verkehren. Als Berg London verlässt, hat er das Manuskript von Haaks Anfängen der Übersetzung von Paradise Lost bei sich.Footnote 24 Seit 1680 ist er in Berlin nachweisbar. 1682 erscheint in Zerbst bei Johann Ernst Betzel, dem Drucker jenes „Gymnasium Illustre“, das Berg besucht hat,Footnote 25 die erste Druckfassung einer deutschen Übersetzung von Paradise Lost, Bergs Das Verlustigte Paradeis/ Auß Johann Miltons Zeit seiner Blindheit/ In englischer Sprache abgefaßten unvergleichlichen Gedicht/ In Unser gemein Teutsch/ Übertragen […]. Das Werk ist Dorothea Sophie von Brandenburg, der zweiten Gemahlin des ‚Großen Kurfürsten‘ Friedrich Wilhelm, gewidmet. Dorothea kann in ihrer glücklichen Ehe mit Friedrich Wilhelm „einen nicht geringen politischen Einfluß“ entfalten.Footnote 26 Als Lutheranerin ist sie 1668 für die Eheschließung mit dem Kurfürsten zum reformierten Glauben übergetreten. Berg bietet sich Dorothea, die als „böse Stiefmutter“ am Berliner Hof einen schweren Stand gegen den Kurprinzen aus Friedrich Wilhelms erster Ehe hatte, mit diesem Buch offenbar als Unterstützer an. Tatsächlich wird Berg im Herbst 1682, also noch im Jahr der Drucklegung, auf Dorotheas Fürsprache hin, als Dolmetscher und Sekretär eingestellt. Sich ausgerechnet mit einer Übersetzung des „Königsmord“-Verteidigers Milton bei der Kurfürstin zu empfehlen, ist nicht ganz unheikel. So betont Berg auch direkt in der Widmungsadresse, dass es sich bei dem überreichten Geschenk mitnichten um ein revolutionäres Werk handele. Vielmehr lobe Das Verlustigte Paradeis die „Heilige […] Regierung Gottes/ wie selbige […] ebenfalls heutiges Tages in denen Hohen Häuptern/ zur allgemeinen Wohlfahrt des Menschlichen Geschlechts/ wunderbarlich außgeführet wird“.Footnote 27 Von etwaigen Zweifeln am Gottesgnadentum der weltlichen Obrigkeit will Berg in dieser Widmung explizit nichts wissen. Vielmehr entpolitisiert Berg in seiner Übersetzung Miltons Paradise Lost zugunsten einer primär erbaulichen Lesart.Footnote 28 Sowie bei Haak, der sich bereits seit jungen Jahren als Übersetzer englischer Erbauungsliteratur betätigt, kann also auch bei Berg von einer religiösen Motivation ausgegangen werden – oder zumindest davon, dass er den substanziellen deutschen Markt für englische Erbauungsliteratur im Sinn hat.Footnote 29
4 Miltons English heroic verse und seine nationalliterarischen Konnotationen
Bei der Milton-Übersetzung, die Haak beginnt und Berg schließlich in den Druck bringt, handelt es sich um die erste bekannte veröffentlichte Kostprobe des Blankverses in der deutschen Literatur.Footnote 30 Berg setzt sich somit über den in der deutschen Epik des 17. Jahrhunderts geläufigen Alexandriner hinweg. Ein dritter Übersetzungsversuch, der die ersten 195 Verse von Paradise Lost umfasst, wird zwischen 1685 und 1688 von Christoph Wegleiter in 190 paargereimten Alexandrinern abgefasst.Footnote 31 Berg dagegen orientiert sich in seiner Wahl des Metrums offensichtlich an Haak, der in seiner fragmentarischen Übersetzung von Paradise Lost sowohl inhaltliche wie auch formelle Treue zu Miltons Original anstrebt und ebenfalls bereits den Blankvers übernimmt.Footnote 32 Dieser auf Haak gestützten Übersetzung von Berg wird allerdings, nicht zuletzt aufgrund ihrer beschränkten Verbreitung,Footnote 33 keine große Bedeutung für die deutsche Literaturgeschichte zugemessen. Zudem wird sie von der Forschung eher als Ausnahmeerscheinung aufgefasst, deren Urheber sich aufgrund ihres bescheidenen literarischen Geltungsanspruchs nicht den vorherrschenden Normen und Konventionen deutscher Barockdichtung verpflichtet gefühlt hätten.Footnote 34 Wenn auch der religiös-didaktische Aspekt bei Haak wie bei Berg sicherlich eine wichtige Rolle spielt, wie die Forschung immer wieder betont, lässt sich daraus allerdings keineswegs auf ästhetische Naivität oder Indifferenz schließen. Obwohl sowohl Bodmer als auch Gottsched schlussendlich zu einem negativen Urteil über Das verlustigte Paradeis gelangen, wird die Übersetzung auch im 18. Jahrhundert offenbar als ästhetische Provokation aufgefasst, die für literarische Reformprojekte anschlussfähig bleibt. So ist ein erstes Interesse an der Berg-Ausgabe bezeichnenderweise bei Reimskeptikern im frühen 18. Jahrhunderts nachzuweisen.Footnote 35
Haaks Entscheidung, den Blankvers in seiner Übersetzung von Paradise Lost beizubehalten, ist wohl ein bewusster Normbruch und nicht Ausdruck literarischer Unwissenheit. Haak tritt zwar kaum als eigenständiger Dichter in Erscheinung, wird aber in England nebst Milton mit weiteren namhaften Dichtern bekannt und scheint für epische Dichtung auch über Paradise Lost hinaus empfänglich zu sein. Zu erwähnen ist in dieser Hinsicht seine Wertschätzung der unvollendeten Elisaeis (c. 1590), eines lateinischen Epos über Elisabeth I. aus der Feder seines älteren Freundes William Alabaster, welche er gemäß Benthem „als einen sonderbaren Schatz seines verstorbenen Freundes in Manuscripto bey sich mit grosser Achtung verwahrete“Footnote 36. Auch befindet sich in Haaks bruchstückhaft erhaltener Bibliothek ein Exemplar von Tobias Hübners Übersetzung von Guillaume du Bartas’ Seconde Semaine in alexandrinischen Reimpaaren (Köthen 1622), die Haak ein thematisch eng verwandtes und für die deutschsprachige Epik übrigens stilbildendes Beispiel gegeben hätte, dem er offenbar aber bewusst nicht folgt.Footnote 37 Durch seine Freundschaft mit Weckherlin wird er sich zudem der poetologischen Spannungen zwischen der Opitz’schen Poeterey und der freieren Versifikation seiner eigenen Übersetzung (auf welche wir noch zurückkommen) wohl bewusst sein. In diesem Zusammenhang gilt es auch hervorzuheben, dass Haak offenbar den Druck von Weckherlins Gaistlichen und Weltlichen Gedichten (Amsterdam 1641) wie auch deren Neuauflage (Amsterdam 1648) arrangiert und zu letzterer übrigens auch drei eigene Lobgedichte beisteuert.Footnote 38 Benthem schreibt Haak zudem eine englische Übersetzung der Paraphrase des 104. Psalms von Weckherlin zu.Footnote 39
Von Haak sind keine eigenen poetologischen Reflexionen überliefert, geschweige denn eine Rechtfertigung seiner Abweichung von deutschsprachigen literarischen Normen und Konventionen in seiner Übersetzung. Bergs Ausgabe allerdings ist reich an Paratexten, von denen einige aus Bergs eigener Feder stammen und andere aus den englischen Ausgaben übernommen sind, in denen formelle Aspekte von Paradise Lost bzw. von Bergs Übersetzung angesprochen und gerechtfertigt werden. Es handelt sich hierbei also um ein gutes Beispiel für den Paratext als Lokus alternativer poetologischer Theoriebildung.Footnote 40 Darüber hinaus kündigt Berg Ambitionen an, auch Miltons Paradise Regained zu übersetzen und Das Verlustigte Paradeis in einer illustrierten und mit Anmerkungen versehenen Ausgabe neu aufzulegen.Footnote 41 Wenn aus diesen Plänen auch nichts werden sollte, lässt Bergs Ausgabe dennoch einen gewissen literarischen Geltungsanspruch erkennen sowie ein Bedürfnis, die eigene Übersetzung im Rahmen deutschsprachiger literarischer Normen zu rechtfertigen.
Bevor Bergs Ausgabe jedoch eingehender besprochen wird, muss zunächst auf Miltons Rechtfertigung des Gebrauchs des Blankverses in der Epik eingegangen werden, die ebenfalls bereits als literarischer Übersetzungsakt aufzufassen ist. Anschließend soll aufgezeigt werden, wie Berg in seiner Übersetzung der Notiz „The Verse“ Miltons nationalliterarische Einordnung des Blankverses mit deutschsprachigen poetologischen Normen in Einklang zu bringen versucht. Über Haaks und Bergs Behandlung von Miltons Metrik werden schließlich ausgewählte Beispiele aus Haaks Übersetzung und Bergs Bearbeitung derselben weiter Aufschluss geben.
Bereits Milton ist bahnbrechend in seiner Entscheidung, Paradise Lost in ungereimten jambischen Pentametern abzufassen. In der englischen epischen Dichtung, auch in Übersetzungen antiker Epen, war der Reim die Regel.Footnote 42 Im vierten Druck der ersten Ausgabe (1667) erscheint Paradise Lost mit einer kurzen Erläuterung zur Versifikation des Gedichts. Obwohl Milton das Versmaß seines Gedichts hier als „English heroic verse without rhyme“ bezeichnet, ist diese Charakterisierung irreführend:Footnote 43 Miltons Metrik ist besser in einer kontinentalen (und vor allem romanischen) literarischen Tradition zu verstehen und kann als Polemik gegen zeitgenössische englische literarische Normen aufgefasst werden. „The measure is English heroic verse without rhyme, as that of Homer in Greek and of Virgil in Latin“Footnote 44 – bereits zu Beginn von Miltons Erläuterungen wird damit die fundamentale Spannung zwischen klassisch-romanischen Vorbildern und einem Anspruch auf Englishness deutlich. Diese Spannung ist auch evident, wenn Milton in der Folge die Polemik der Humanisten des sechzehnten Jahrhunderts gegen den Reim wiederaufleben lässt:Footnote 45 Der Reim sei, so Milton, „the invention of a barbarous age“.Footnote 46 In den Augen seiner Renaissancekritiker war der Reim in der Tat eine gotische Verfallserscheinung. In seinem Scholemaster von 1570 etwa beklagt Roger Ascham „our rude beggerly ryming, brought first into Italie by Gothes and Hunnes, whan all good verses and all good learning to, were destroyed by them“.Footnote 47 Die poetischen Reformbemühungen von Ascham und anderen Humanisten blieben jedoch fruchtlos und konnten den Reim in der englischen Literatur, auch in der epischen Dichtung, nicht zurückdrängen.
Miltons „English heroic verse without rhyme“ ist also eigentlich ein Oxymoron und paradoxerweise mit der Ablehnung des in der englischen Literatur weitestgehend unangefochtenen Reims verbunden. Stattdessen knüpft Milton nebst Homer und Vergil an romanische Vorbilder an: „[S]ome both Italian and Spanish poets of prime note have rejected rhyme both in longer and shorter works“.Footnote 48 Womöglich hat Milton hierbei Autoren wie Trissino, Alamanni oder Tasso im Sinn, die epische Dichtung und Drama in ungereimten Versen verfassten.Footnote 49 Es bleibt also rätselhaft, wie Milton von einem „English heroic verse without rhyme“ sprechen kann, als ob es sich dabei um ein geläufiges englisches Versmaß handele. Milton zitiert als Autorität für den Blankvers zwar auch „our best English tragedies“.Footnote 50 Allerdings bestehen durchaus metrische Unterschiede zwischen Miltons Blankvers und dem Blankvers des frühneuzeitlichen Dramas. Bereits Marlowe, aber vor allem der späte Shakespeare und nachfolgende Dramatiker wie John Webster behandeln den Blankvers mit beträchtlicher Freiheit in der Variation der Versfüße, wie auch der absoluten Silbenzahl pro Vers, die etwa durch den Gebrauch der epic caesura (eine Zäsur zwischen zwei unbetonten Silben innerhalb eines jambischen Verses) oder den gelegentlichen Wechsel zwischen jambischen und trisyllabischen Füßen durchaus variieren kann. Der Blankvers des frühneuzeitlichen Dramas ist also nur begrenzt an ein strikt silbenzählendes Versifikationsprinzip gebunden.Footnote 51 Auch Milton variiert die Abfolge betonter und unbetonter Silben, vermeidet aber trisyllabische Füße und ist bemerkenswert regelmäßig in der absoluten Silbenzahl seiner Verse. Miltons Verse sind in der Regel zehnsilbig oder, im seltenen und meist bedeutungstragenden Fall weiblicher Kadenzen, elfsilbig.Footnote 52 Zudem ist Miltons Verweis auf „our best English tragedies“ nicht frei von Polemik, denn das Drama der Restaurationszeit war, anders als im elisabethanischen oder jakobinischen Zeitalter, durch das heroic couplet, also durch einen strikten Paarreim, geprägt. Gerade zur Zeit der Veröffentlichung von Paradise Lost fand der Reim, nicht nur in der Epik, sondern auch im heroic drama, seinen eloquentesten Verteidiger in John Dryden, dessen Essay of Dramatick Poesy (1668) kurz nach Paradise Lost erschien.Footnote 53 Miltons Verweis auf „our best English tragedies“ als Vorbild für den Blankvers dient also wohl nicht zuletzt dazu, die Differenz zwischen seinem Ideal der reimlosen Dichtung und zeitgleichen Tendenzen in der englischen Literatur aufzuzeigen.
Die Differenz zwischen „our best English tragedies“ und Paradise Lost besteht schließlich vor allem in der Gattungsfrage, die auch für Miltons Metrik relevant ist. So vermeidet Milton den im Drama bereits seit dem 16. Jahrhundert geläufigen Begriff blank verse und spricht stattdessen von heroic verse, womit er suggeriert, dass es sich bei seinem Versmaß um ein in der Epik gebräuchliches, wenn nicht gar spezifisch episches Versmaß handelt. Diese gattungspoetische Differenz spielt in der Frühen Neuzeit eine wichtige Rolle, wie sich etwa am Beispiel Trissinos zeigt, der seinen metrisch identischen versi sciolti in der Epik und Dramatik jeweils unterschiedliche (deskriptive bzw. expressive) prosodische Funktionen zuweist.Footnote 54 Gerade in der epischen Gattung aber sieht sich Milton in einer Pionierrolle, bezeichnet er Paradise Lost doch als „an example set, the first in English, of ancient liberty recovered to heroic poem from the troublesome and modern bondage of rhyming“.Footnote 55 Miltons Anspruch, als Innovator metrischer Formen aufzutreten, wird auch dadurch deutlich, dass er englische Beispiele für den Blankvers außerhalb des Dramas, wenn ihm diese denn bekannt waren, stillschweigend übergeht.Footnote 56 Hätte sich Milton tatsächlich in eine englische Tradition des epischen Blankverses einordnen wollen, so hätte er sich etwa auf die Vergil-Übersetzungen des Earl of Surrey berufen können, die in den 1550er Jahren veröffentlicht wurden (Buch 2 und 4), bei denen es sich übrigens um die ersten in Blankversen verfassten literarischen Werke in englischer Sprache überhaupt handelt. Weiter hätte Milton auch Christopher Marlowes Übersetzung des ersten Buchs von Lucans Pharsalia (postum veröffentlicht im Jahr 1600) erwähnen können, die ebenfalls in Blankversen abgefasst ist. Es lässt sich also festhalten, dass Milton die Englishness des Blankverses in der epischen Dichtung nicht im Sinne einer nationalliterarischen Kontinuität versteht. Wenn Milton von der Existenz eines „English heroic verse without rhyme“ ausgeht, dann nur insofern er sich selbst zum Begründer eben dieses Versmaßes stilisiert.Footnote 57 Englisch ist Miltons Blankvers dementsprechend nur insofern, als Milton seine Einführung in die englische Epik als Willensakt eines einzelnen Individuums – also seiner selbst – und als literaturhistorischen Übersetzungsakt aus klassischen und romanischen Traditionen darstellt.
5 Miltons Versmaß in den Paratexten der Berg-Ausgabe (1682)
Wie geht nun Berg mit Miltons Übersetzungsanspruch um, und wie vereint er Miltons metrische Erläuterungen mit deutschsprachigen poetologischen Diskursen? Bergs zentrale Legitimationsstrategie ist Originaltreue. Wie er in der Vorrede „an den wohlgeneygten Leser“ betont, habe er sich eng an den englischen Text gehalten, sodass Original und Übersetzung geradezu synoptisch lesbar seien. Dass es hierbei nicht zuletzt darum geht, Milton quasi als Schutzschirm zu benutzen, lässt sich daraus erahnen, dass Berg es in der Praxis mit der Originaltreue dann doch nicht so ernst nimmt.Footnote 58 In den Paratexten hält sich Berg allerdings tatsächlich eng an die englische Vorlage. So übernimmt er, nebst seiner eigenen Vorrede und seiner Widmung an Dorothea von Brandenburg, notabene alle Paratexte, die seit der zweiten Ausgabe von Paradise Lost von 1674 Miltons Gedicht beigefügt sind: zwei Gedichte von Samuel Barrow und Andrew Marvell, die arguments, die jedem der zwölf Bücher vorangestellt sind, und schließlich auch Miltons Notiz „The Verse“. Auffallend ist aber, dass Berg, anders als in den englischen Ausgaben, „The Verse“ vor die Gedichte stellt, in seiner amplifizierenden Übersetzung auf gut zweieinhalb Oktavo-Seiten erweitert und Miltons eher provisorisch wirkender Verteidigung des Blankverses dadurch einen programmatischen Anstrich verleiht.Footnote 59 Während Milton in den englischen Ausgaben nicht explizit als Verfasser von „The Verse“ genannt wird, macht Berg zudem in der Überschrift des kurzen Texts deutlich, dass Milton, nicht er selbst, der Urheber dieser Verteidigung des Blankverses ist: „Folget des Poeten Grund die Art und Maass Seiner Versen betreffend.“ Berg nimmt Miltons Autorität somit für seine eigene reimlose Übersetzung in Anspruch.
Allerdings setzt Berg in seiner Übersetzung von Miltons Rechtfertigung in „The Verse“ auch eigene Akzente, indem er die nationalliterarischen Aspekte, die bei Milton so zentral sind, herunterspielt. Den „English heroic verse without rhyme“ etwa lässt Berg unübersetzt. Stattdessen definiert er Miltons Versmaß ex negativo: „Ich enthalte mich allerdings des gemeinen End-reimens in meinen Versen.“Footnote 60 Ebenso übergeht Berg Miltons expliziten Anspruch, eine antike Freiheit für die englische Literatur wiederentdeckt zu haben, wenn er Paradise Lost als „an example set, the first in English, of ancient liberty recovered to heroic poem from the troublesome and modern bondage of rhyming“ charakterisiert.Footnote 61 Stattdessen heißt es bei Berg wesentlich neutraler, wie „die Unterlassung des Reimens“ die „heroisch-Poetischen Gemüehter endlich einmal von der so liederlichen und fast Sclavischen Gewohnheit des Reimen-geklaeppers wieder befreyet“ habe.Footnote 62 Diese „heroisch-Poetischen Gemüehter“ wollen bei Berg nicht als spezifisch englisch (oder deutsch) verstanden werden. Ebenso fehlt der explizite Antikeverweis von Miltons „ancient liberty“.
Anders als für Milton ist für Berg die reimlose Dichtung nicht an einen bestimmten historischen Moment oder eine kulturelle Eigenheit gebunden. Das wird auch deutlich in seiner Übersetzung von Miltons Charakterisierung des Reims als „a fault avoided by the learned ancients both in poetry and all good oratory“.Footnote 63 Im Gegensatz zu Milton suggeriert Berg, dass es sich bei der Einsicht in die Mangelhaftigkeit des Reims nicht um ein Spezifikum der Antike, sondern um ein universelles Phänomen handle: „Dahero [haben] auch die gelehrten jederzeit“ – also eben nicht nur die „ancients“ wie bei Milton – „sowohl Redner als Poeten solchen gleich-endenden Laut/ als ein verkleinerlich und Ihrem frbringen bel-anstndig Ding“ vermieden.Footnote 64 Bei Berg zeichnet sich die Reimskepsis somit zumindest in der Theorie, wenn auch nicht unbedingt in der Praxis, durch eine Kontinuität von der Antike bis zur Gegenwart aus, die nicht zwangsläufig auf die Vermittlungsleistung romanischer oder englischer Pioniere angewiesen ist. Miltons Anspruch, aus dem Fundus klassischer Vorbilder eine spezifisch englische, reimlose Epik zu begründen, findet bei Berg mithin kein deutsches Äquivalent.
Es lässt sich konstatieren, dass Berg den Weg für die Einführung des Blankverses in die deutsche Literatur ebnet, indem er die Frage des Reims gerade nicht als differenzierendes Merkmal verschiedener Nationalliteraturen darstellt. Damit steht Berg im Gegensatz zu jener anderen Tendenz in den frühen 1680er Jahren, die zunehmend die ‚Deutschheit‘ des Reims betont:Footnote 65 Zwei Jahre vor Berg etwa erklärt Johann Ludwig Prasch in seiner Gründlichen Anzeige von Fürtrefflichkeit und Verbesserung Teutscher Poesie (1680), dass der Reim deutschen Ursprungs sei, dass „die Teutsche Sprache im reimen einen sonderbaren Vorzug/ Reichthum/ Wolstand/ Lieblichkeit/ und Regelmässige Geschicklichkeit erlanget“ habe und dass man in deutscher Sprache überhaupt „ohne Reim kein Gedicht erkennen/ schreiben oder loben“ könne.Footnote 66 Durch seine Denationalisierung der Reimfrage greift Berg dagegen dem potentiellen Vorwurf der Kultur- oder Sprachfremdheit des Blankverses vor.
Bergs Bemühungen, Miltons reimloses Vers-Epos einem deutschen Publikum schmackhaft zu machen, äußern sich auch in seiner Entschärfung der politischen Implikationen von „ancient liberty“ und „bondage of rhyming“.Footnote 67 Der Begriff „ancient liberty“ hat in der Frühen Neuzeit republikanische Konnotationen und wird in diesem Sinne von Milton auch in seinen politischen Schriften verwendet. In Eikonoklastes (1649) zum Beispiel spricht Milton davon, „how great a loss we fell into of our ancient liberty“.Footnote 68 Wie bereits erwähnt, scheut sich Berg allerdings, die republikanischen Züge von Paradise Lost, die Haak aufgreift und die in der deutschen Rezeption des Gedichts bis ins 18. Jahrhundert fortwirken, so deutlich wie sein Vorgänger Haak wiederzugeben.Footnote 69 Bei Berg ist dementsprechend keine Rede von einer politisch aufzufassenden „ancient liberty“. Gemäß Berg ist die Unterlassung des Reimens nicht als Ausdruck einer republikanisch-freiheitlichen Poetik zu verstehen, sondern ermuntert, im Sinne eines ausladenden epischen Stils, „zu weit höhern und herrlichern Erfindungen/ und lebhafteren Sinn-gefälligern Fürbildungen“. Schließlich betont Berg zusätzlich, dass es sich hierbei um „der Poeten einigen Zweck und werthesten Ruhm“ handle.Footnote 70 Die Reimlosigkeit wird von Berg also lediglich als ästhetische und nicht als politische Freiheit verstanden.
Zweifelsohne ist diese Entschärfung von Miltons politisch-poetologischem Paradigma der „ancient liberty“ vor dem Hintergrund der frühen Milton-Rezeption in Deutschland zu sehen. Milton wird dort seit der Veröffentlichung seiner Defensio pro populo anglicano 1651 in erster Linie als Apologet des englischen Königsmordes wahrgenommen und deswegen mehrheitlich verurteilt. Auf dem Regensburger Reichstag von 1653/54 ist gar von einem Verbot von Miltons Schriften die Rede.Footnote 71 Es wird also kaum in Bergs Interesse liegen, seine Widmungsträgerin, Dorothea von Brandenburg, an die radikalen politischen Ansichten von Cromwells secretary of foreign tongues zu erinnern. Berg unterdrückt somit nicht nur Miltons Anspruch, den Blankvers als spezifisch englisches Versmaß in der Epik zu kanonisieren, sondern neutralisiert zugleich auch die republikanischen Implikationen, welche dem Blankvers, gerade vor dem Hintergrund des englischen Interregnums, bei Milton zukommen.
Wie nun behandelt Berg die Reimfrage in seinen eigenen Paratexten? Trotz des beträchtlichen Reibungspotentials, das seiner reimlosen Milton-Übersetzung in dieser Hinsicht innewohnt, spricht er in seinen selbst verfassten Paratexten die Reimfrage erstaunlicherweise überhaupt nicht an. In seiner Vorrede „an den wohlgeneygten Leser“ warnt Berg, dass Miltons „Art zu schreiben in Deutschland fast nicht gebräuchlich/ oder doch ungemein“ sei.Footnote 72 Damit meint Berg allerdings nicht die Reimlosigkeit von Paradise Lost, sondern Miltons oft jeglichen Rahmen sprengende Enjambements. „[D]ie ungebundene Freyheit der Poesie“ lokalisiert Berg nicht in der Reimlosigkeit von Miltons Versen, sondern in deren expansiver Syntax, „woraus der Sinn mehrern theils von einem in den andern Vers geleitet“ und über die Versgrenzen hinaus „als ein ungebundener Spruch fortgelesen sein will“.Footnote 73
Damit ergibt sich der überraschende Befund, dass Berg den primären literarischen Kulturschock für Miltons deutsche Leser nicht in der Reimlosigkeit, sondern in Miltons liberalem Gebrauch des Enjambements antizipiert. Dies mutet umso merkwürdiger an, wenn man bedenkt, dass das Enjambement bereits von Opitz unter gewissen Bedingungen gutgeheißen wird und in der Praxis längst gebräuchlich ist.Footnote 74 Allerdings lässt sich dieser Befund möglicherweise dadurch erklären, dass bereits für Milton ein enger Zusammenhang zwischen Reimlosigkeit und Enjambement zu bestehen scheint. In „The Verse“ sieht Milton das Enjambement geradezu als einen Gegensatz zum Endreim: „True musical delight […] consists only in apt numbers, fit quantity of syllables, and the sense various drawn out from one verse into another, not in the jingling sound of like endings.“Footnote 75 Dieser Zusammenhang zwischen Enjambement und Reimlosigkeit wird in den früheren 1680er Jahren, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen, auch von deutschsprachigen Verteidigern des Reims aufgegriffen. Morhof und Prasch etwa nehmen eine Unverträglichkeit von Endreim und Enjambement wahr, da sie den Reim nicht nur als klangliches, sondern auch als auf den Inhalt wirkendes Strukturelement begreifen. Gemäß Prasch etwa „Sollen demnach die Reime/ so viel müglich/ dergestalt ausgesucht werden/ dass sie nicht allein die Verse zierlich binden/ sondern auch der Sache einen Nachdruck und Ausschlag geben. […] Darum sind auch die besten Reime/ so den sensum gantz oder halb endigen.“Footnote 76 Bergs Verteidigung des Milton’schen Enjambements, welches sich so offensichtlich über den Vers als semantische Einheit hinwegsetzt, lässt sich also auch im Kontext der Reimfrage um 1680 verstehen. Aber anstatt in eigenen Worten die Vorherrschaft des Reims anzugreifen – wozu er gewissermaßen Milton vorschickt –, geht Berg die „ungebundene Freiheit der Poesie“ aus der Perspektive der weniger kontroversen, aber als komplementär zu begreifenden Frage des Enjambements an.
Wie nun aber versteht Berg die metrische Gesetzmäßigkeit des Milton’schen Blankverses, insbesondere vor dem Hintergrund der Opitz’schen Versreform? Dass Berg überhaupt ein Bewusstsein für den Blankvers als eigenständigen Verstypus hat, kann nicht unbedingt vorausgesetzt werden. Falls Berg das grundsätzlich jambische Metrum in Miltons Gedicht erkannt bzw. aus Haaks Fassung erschlossen hat, hätte für ihn etwa der fünfhebige und jambische vers commun (allerdings mit Zäsur nach der vierten Silbe) einen Bezugspunkt darstellen können.Footnote 77 Aber ohne genauere Kenntnisse der englischen Literatur, über deren Stand sich bei Berg keine eindeutigen Aussagen treffen lassen, wäre Miltons Versmaß auch als eine Spielart der in der italienischen Renaissance-Epik geläufigen hendekasyllabischen und ungereimten versi sciolti aufzufassen, auf welche Milton in seiner Notiz anzuspielen scheint. Dies scheint Bodmer in der Vorrede seiner Prosaübersetzung fünfzig Jahre später immer noch zu tun:
Das Metrum ist ein reimfreyer zehensylbigter Vers; Shakespear, der Engelländische Sophocles, hat diese Gattung zuerst in Engelland eingeführet, und sie von Trissino dem Italienischen Poeten abgesehen. Der Unterscheid ist allein, dass die Engelländer mit einem männlichen, wie die Italiener mit einem weiblichen Fusse den Vers endigen.Footnote 78
Bodmer leitet hier von Miltons Beispiel nicht nur fälschlicherweise ab, dass die Endungen des Blankverses, wie bei den versi sciolti, durch das Versmaß bestimmt seien, sondern kommt in seiner romanisch geprägten metrischen Analyse von Paradise Lost notabene auch nicht auf das jambische Grundmuster des Blankverses zu sprechen.Footnote 79
Die Frage nach den Spezifika von Miltons Versmaß wird nicht einfacher dadurch, dass es sich bei Miltons wichtigsten Passus zur metrischen Gesetzmäßigkeit seines Verses in „The Verse“ auch um den interpretationsbedürftigsten handelt. Gerade deshalb aber ist Bergs Übersetzung desselben besonders aufschlussreich. Gemäß Milton bestehe „true musical delight“ nicht im Reim, sondern „only in apt numbers, fit quantity of syllables, and the sense variously drawn out from one verse into another.“Footnote 81 Bei Letzterem handelt es sich natürlich um Miltons Enjambement. Schwieriger zu übersetzen sind dagegen Miltons „apt numbers“ und „fit quantity of syllables“, wobei es sich um durchaus mehrdeutige Begriffe in den englischen Poetiken der Frühen Neuzeit handelt.Footnote 82 Mit „numbers“ könnte die Silbenzahl pro Vers gemeint sein, aber auch die Art des Versfußes oder die Anzahl der Füße pro Vers. Mit „quantity“ könnte ebenfalls die Silbenzahl gemeint sein – allerdings auch der Akzent oder gar die Silbenlänge.
Damit stellt sich auch die Frage nach Miltons Verhältnis zur quantitierenden Metrik der Antike, die auf langen und kurzen Silben beruht und nicht auf dem Wortakzent. „Quantity“ wird in diesem antikisierenden Sinn etwa in Philip Sidneys Defence of Poesy (c. 1580) verwendet.Footnote 83 Insbesondere in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts hatten namhafte englische Dichter wie etwa Abraham Fraunce, Edmund Spenser, Thomas Campion und Mary und Philip Sidney versucht, die quantitierende Metrik der Antike in die englische Dichtung zu übertragen.Footnote 84 Die neuere Milton-Forschung geht nicht davon aus, dass Milton in Paradise Lost tatsächlich das antike Versifikationsprinzip der Silbenlängen anwendet. Vielmehr berücksichtige Milton die Silbenlänge als subsidiäres, expressives Stilmittel, das lokal sinnstiftend oder -stützend wirkt.Footnote 85 Allerdings sind Bestrebungen, die quantitierende Metrik der Antike in die Volkssprache einzuführen, im englischen Kontext auch mit der von Milton aufgegriffenen humanistischen Polemik gegen den Reim verbunden.Footnote 86 Miltons Kritik am „lame metre“ des „barbarous age“ erinnert etwa an Aschams Charakterisierung der akzentbasierten Metrik, welche dieser ebenfalls als „lame“ verurteilt, weil sie nicht nach Längen und Kürzen geordnet ist.Footnote 87 Die Deutung von Miltons „quantity of syllables“ als Ankündigung antikisierender metrischer Experimente wäre vor dem literaturgeschichtlichen Hintergrund von Paradise Lost also durchaus naheliegend gewesen. Auch aus seiner deutschen Perspektive hätte Berg Miltons „quantity of syllables“ durchaus als Bekenntnis zur quantitierenden Metrik interpretieren können. Versuche, diese ins Deutsche zu übertragen, werden von Conrad Gessner, Johann Clajus, oder Adam Bythner unternommen.Footnote 88 Gessner allerdings tut dies nur, um vorzuführen, dass es gänzlich unmöglich sei, die „prosodischen und metrischen Prinzipien der antiken Quantitätsmessung“ „auf die barbarische deutsche Sprache“ zu übertragen.Footnote 89 Zudem spricht sich Opitz 1624 deutlich zugunsten des Wortakzents als Maßstab der deutschen Metrik aus. Auch wenn nachfolgende Prosodie-Theoretiker wie Schottel immer noch Begriffe wie „Quantitas syllabarum“ oder „Wortzeit“ verwenden, beschreiben sie damit eine akzentbasierte Metrik.Footnote 90 Miltons „quantity“ wäre für Berg also nicht zwingend ein Indiz für eine antikisierende Metrik gewesen.
Eine gewisse Verlegenheit bezüglich Miltons mehrdeutiger Terminologie kann Berg allerdings dennoch nicht verbergen. Miltons „lame metre“ übergeht Berg stillschweigend, und Miltons „apt numbers“ und „fit quantity of syllables“ haben ihre Entsprechung in „der Sylben richtigen Zahl und eigenen gemein-gltigen und gangbarem [sic] Gewicht“.Footnote 91 Berg versteht Miltons „apt numbers“ also (durchaus legitim) als Silbenzahl. Wie bereits erwähnt, ist Miltons Blankvers in dieser Hinsicht regelmäßiger als derjenige der „tragedians“. Auch in der Haak/Berg-Übersetzung von Paradise Lost beschränkt sich die Silbenzahl pro Vers in der Regel auf zehn oder, im Fall weiblicher Kadenzen, auf elf Silben, was im stärker flektierenden Deutschen aufgrund der höheren Anzahl an Nebensilben naturgemäß häufiger der Fall ist als bei Milton. Ganz offensichtlich interpretiert Berg allerdings die „quantity of syllables“ nicht im antiken Sinn als Silbenlänge, sondern als „Gewicht“, womit wohl der Akzent gemeint ist. Der Begriff „Gewicht“ geht womöglich auf Andrew Marvells Widmungsgedicht zurück, welches Berg ja ebenfalls mitübersetzt.Footnote 92 Dass dieses Gewicht „eigen gemein-gültig und gangbar“ sei, ist dann aber doch eine unhaltbare Übersetzung von Miltons Adjektiv „fit“ – selbst wenn man Miltons „quantity“ nicht auf die Silbenlänge, sondern, wie Berg, auf den Akzent bezieht.
Auch wenn sich Milton um große Regelmäßigkeit in der Silbenzahl bemüht, nimmt er sich häufig die Freiheit heraus, die Versfüße innerhalb des Verses zu variieren. Es kann also keine Rede von „gemein-gültigen“ und „gangbaren“ Versakzenten sein. „Fit“ sind Miltons „quantities of syllables“, seien sie nun als Silbenlänge oder -gewicht aufgefasst, insofern sie durch bewusste Variation die Entwicklung der Milton’schen Gedankengänge expressiv stützen. Im Gegensatz dazu scheint Berg Milton so zu deuten, dass das Versmaß des jambischen Pentameters ganz allgemein „fit“ – also passend – für den heroischen Stoff des Gedichtes sei. Man kann Berg für diese Deutung keinen Vorwurf machen, denn auf die Idee, dass das Versmaß, über das Kriterium des allgemeinen aptum der Metrik zum gattungsspezifischen Inhalt hinaus, eine expressive Funktion zu erfüllen habe, sei laut Volkhard Wels in der deutschen Literatur vor Klopstock niemand gekommen.Footnote 93 Weiter hat die Akzentverteilung innerhalb des Verses gemäß Berg offenbar regelmäßig zu erfolgen. Berg bestätigt somit das Alternationsprinzip, die strikte Abwechslung von betonter und unbetonter Silbe, die Opitz vorgeschrieben hatte. Gerade das Adjektiv „gangbar“ verdient Beachtung hinsichtlich des Zusammenhangs, welchen Nicola Kaminski zwischen dem Opitz’schen Alternationsprinzip und der Oranischen Heeresreform mit ihrer Insistenz auf dem Marschieren im Gleichschritt rekonstruiert.Footnote 94 Wenn auch nach Opitz August Buchner und Philipp von Zesen trisyllabische Füße salonfähig machten, kann man in den 1680er Jahren wohl kaum ein Verständnis für Miltons freie rhythmische Handhabung des Blankverses voraussetzen.Footnote 95
6 Der Blankvers bei Haak und Berg
Es bestätigt sich auch in der Praxis, dass Berg in seinem Verlustigten Paradeis das Alternationsprinzip in seinen jambischen Versen, mit Ausnahme von spondeisch deutbaren Füßen, weitestgehend zu befolgen versucht.Footnote 96 Das wird besonders deutlich aus dem Vergleich zwischen seiner Übersetzung und Haaks unvollendetem Fragment, welches Berg stellenweise metrisch überarbeitet. Allerdings tut Hans-Dieter Kreuder Haak wohl unrecht, wenn er ihm metrische „Regelwidrigkeiten“ ankreidet,Footnote 97 denn diese Unregelmäßigkeiten entsprechen zum Teil durchaus der Flexibilität des englischen Blankverses. In Haaks metrischen Freiheiten ist zudem auch der mögliche Einfluss Weckherlins zu beachten, dessen Gaistliche und Weltliche Gedichte Haak 1641 und 1648 ja in den Druck bringt. Von Interesse ist diese Sammlung insbesondere, da Weckherlin sich in seiner Vorrede (sowohl 1641 als auch 1648) kritisch zum Opitz’schen Alternationsprinzip äußert, welches den Dichter dazu verleite, dass er
viel schöne/ und insonderheit die vielsyllabige/ und zusamen vereinigte Wort von einander abschaide/ oder jämerlich zusamen quetsche/ oder gar verbanne/ und in das ellend vnd die ewige Vergessenheit verstoße: Vnd also dem so lieblich fallenden / vnd (meiner meinung nach) gantz künstlichen Abbruch in der mitten der langen Versen/ sein merckliches wehrt vielleicht gar benehme.Footnote 98
Wie bereits erwähnt, steuerte Haak zur Neuauflage von 1648 drei eigene Gedichte bei, in denen er das Alternationsprinzip nicht immer strikt befolgt.Footnote 99 Während Haak in seiner Milton-Übersetzung den jambischen Pentameter bisweilen ebenfalls recht frei handhabt, stellt Berg dagegen das Opitz’sche Alternationsprinzip nicht infrage und will, zumindest in dieser Hinsicht, von metrischer Freiheit genau so wenig wissen wie von republikanischer Freiheit.
Ein beträchtlicher Anteil von Bergs Abweichungen von Haak geht darauf zurück, dass Berg offensichtlich darum bemüht ist, die Version seines Vorgängers metrisch zu glätten. Das bedeutet mitunter, dass Berg die bei Haak manchmal variierende Silbenzahl pro Vers auf ein regelmäßiges Maß von zehn bzw. elf Silben zu bringen versucht.Footnote 100 Auch überführt Berg die variierenden Versfüße bei Haak immer wieder in regelmäßige Jamben. Die Prosodien des 17. Jahrhunderts lassen in der Regel zwar in zahlreichen Fällen mehrdeutige, also positionsbezogene Betonungen zu, weshalb sich auch viele von Haaks scheinbar unregelmäßigen Versen theoretisch jambisch skandieren lassen.Footnote 101 Bergs Überarbeitungen tendieren jedoch zweifelsohne dazu, eine jambische Rezitation von Haaks Versen zu erleichtern. In diesem Sinne ersetzt Berg diejenigen Füße in initialer Position, welche bei Haak eine trochäische Rezitation nahelegen (auch wenn sie eine jambische Skansion erlauben würden), oftmals durch eindeutige jambische Füße.Footnote 102 Typisch zu diesem Zweck ist etwa Bergs Gebrauch des bedeutungsschwachen Flickworts „nu“ am Versbeginn:
Haak
Hier nu tritt Satan keck herfür und spricht;Footnote 103
Berg
nu trat der Satan keck herfür/ und sprach.Footnote 104
Haak
weckt sein Gewissen die Verzweiflung aussFootnote 105
Berg
nu weckt verzweyflung sein Gewissen aussFootnote 106
Es lassen sich allerdings auch mehrere Beispiele nennen, in denen Berg Verse seines Vorgängers überarbeitet, welche kaum eine jambische Skansion zulassen:
Haak
Sondern Böss immerhin, nach hertzenslust,Footnote 107
Berg
und wir ja nichts als böses stiften können;Footnote 108
Haak
diesem Vermumten Trieger zu aufrichtig:Footnote 109
Berg
war hier dem schnöden Trieger zu aufrichtig:Footnote 110
Berg hält sich somit strikt an die Richtlinien von Poetiken wie Buchners Anleitung zur Deutschen Poeterey, gemäß welcher „der Trochäus in einem Jambischen Verse nimmermehr stehen“ kann.Footnote 111 Bei Haak dagegen schleicht sich auch mal ein Daktylus ein, den Berg wieder ausbügelt:
Haak
Ihn zu beklagen ein langen Sommertag,Footnote 112
Berg
ein Sommer-langen Tag/ Ihn zu beklagen;Footnote 113
Auch wenn in Einzelfällen nicht immer klar ist, ob es sich bei Haaks Unregelmäßigkeiten um ein Versehen oder um Absicht handelt, legen einige Fälle Letzteres nahe. Im folgenden Beispiel etwa scheint Haak nach der vierten Silbe bewusst eine Zäsur zu setzen, um mit einem Rhythmuswechsel das wiederholte „ewig“ als Trochäus nochmals besonders zu betonen. Berg dagegen glättet den Vers wiederum:
Haak
Ein-ewig-währ-ewig-verzehrender
Pech-Hartz u. Schwefel-Brand [...]Footnote 114
Berg
ein Ewig währ-und gleichverzehr-ender
Pech-Schwebl-Hitz-Dampfs-Brand [...]Footnote 115
Auch im folgenden Vers suggeriert Haaks Übersetzung eine deutliche Zäsur (allerdings nach der sechsten Silbe) durch die Betonung der siebten Silbe („pfuy!“), welche Satans Auflehnung mit der Brechung des alternierenden Rhythmus expressiv Nachdruck verleiht. Bergs Vers dagegen lässt sich ohne Weiteres als regelmäßiger Jambus lesen:
Haak
In Leyden oder Thun? pfuy! Weissstu nichtFootnote 116
Berg
zu Leiden oder Thun? Du weisst ja wohl /Footnote 117
Eine signifikante Tendenz in Bergs Überarbeitung von Haaks Vorlage liegt also im Bestreben, Haaks Übersetzung strikt an die grundlegenden Versifikationsprinzipien der deutschen Barockdichtung, wie sie von Opitz kodifiziert wurden, anzugleichen. Haaks rhythmische Freiheiten dagegen erinnern in den oben zitierten Versen wiederholt an Weckherlins „Vorliebe für kräftige Einsätze am Anfang von Alexandrinern und unmittelbar nach der Zäsur“.Footnote 118 Zudem dürfte auch Haaks langer Aufenthalt in England sein Ohr für die rhythmische Flexibilität des englischen Blankverses und Miltons Metrik im Besonderen geschärft haben. Es ist deshalb in Betracht zu ziehen, dass Haak sich womöglich nicht (nur) aufgrund technischen Unvermögens, sondern bewusst über das Alternationsprinzip hinwegsetzt, welchem sich Berg offensichtlich stärker verpflichtet fühlt. Es bleibt daher auch eine offene Frage, ob Haaks Übersetzung in Bodmers Zürich, wo rhythmische Variation ebenfalls zur Tugend erhoben wurde, nicht wohlwollender aufgenommen worden wäre als die von Berg in den Druck gebrachten Überarbeitung.Footnote 119
Wie sich gezeigt hat, übersetzt Berg Miltons Verteidigung des Blankverses nicht nur der Vollständigkeit halber mit. Genauso wie in der englischen epischen Dichtung herrscht der Reim auch in der deutschen Literatur des späten 17. Jahrhunderts weitestgehend unangefochten. Berg führt also Miltons Autorität für die reimlose Dichtung ins Feld, aber passt dessen Argumentation an den eigenen, deutschen Kontext an. Das heißt, dass er Miltons Anspruch, ein spezifisch englisches heroisches Versmaß ohne Reim zu begründen, selbstverständlich unterdrückt. Gleichermaßen fehlt bei Berg aber auch Miltons Rückbezug auf klassische und romanische Vorbilder. Da zeitgenössische deutsche Poetiken gerade die ‚Deutschheit‘ des Reims und seine Unentbehrlichkeit in der deutschen Dichtung betonten, ist eine derart ‚ungermanische‘ Genealogie der Reimlosigkeit nicht in Bergs Sinne. Stattdessen kann er nur auf freundliche Aufnahme seiner Übersetzung hoffen, indem er die Reimfrage universalisiert und ihrer poetologischen Verortung im Rahmen spezifischer Nationalliteraturen enthebt.
Allerdings findet Bergs dichterische Eigenständigkeit in seiner politischen und metrischen Auffassung von Paradise Lost ihre Grenzen. Zum einen will er die „ungebundene Freiheit der Poesie“ nicht wie Milton in einem republikanischen Sinn verstanden wissen, sondern entschärft das politisch radikale Potential von Paradise Lost, welches in Haaks zeitlebens unveröffentlichter Übersetzung nach wie vor greifbar ist, bewusst zugunsten einer ästhetischen und religiös-erbaulichen Lesart. Bergs Neutralisierung freiheitlich-republikanischer Tendenzen entspricht auch seine partielle metrische Disziplinierung des Übersetzungsversuchs von Haak. Während Haak, womöglich von Miltons wie auch Weckherlins poetologisch-politischem Freiheitsverständnis geprägt,Footnote 120 die rhythmisch relativ freien Versakzente des englischen Blankverses imitiert, beharrt Berg strikt auf dem Opitz’schen Alternationsprinzip. Bergs Übersetzung vermag sich also trotz ihrer mutigen und zu ihrer Zeit radikalen Reimlosigkeit – es handelt sich immerhin um die erste gedruckte deutsche Kostprobe des Blankverses – dennoch nicht vollständig aus einem spezifisch deutschen realpolitischen, literarischen und konfessionspolitischen Erwartungshorizont zu lösen.
Aber auch wenn Bergs Übersetzung weder von seinen Zeitgenossen noch von der Nachwelt sonderlich positiv aufgenommen wurde, ist sie dennoch ein bemerkenswertes Zeugnis der deutschen Milton-Rezeption auf dem Kontinent und ihres einsetzenden Interesses für Milton als Dichter – und nicht mehr nur als politischer Publizist – gegen Ende des 17. Jahrhunderts.Footnote 121 Nicht nur macht Berg Paradise Lost erstmals in deutscher Sprache zugänglich, er löst das Gedicht auch aus seinem radikalen politischen Kontext, der einer wohlwollenden Rezeption in Deutschland bis ins 18. Jahrhundert im Weg steht. Und dadurch nimmt Berg letztlich die spätere deutsche Würdigung Miltons als Dichter vorweg. Als Bodmer 1723 in der von einigen Patrizier-Familien geleiteten Stadt-Republik Zürich seine Prosa-Übersetzung von Paradise Lost beginnt – also diejenige Übersetzung, die für die deutsche Literatur des 18. Jahrhunderts dann so wirkmächtig wird –, spielen die Rechtfertigung weltlicher Herrschaft des Adels oder die Hinrichtung eines vom Parlament verurteilten Königs keine Rolle mehr.Footnote 122 Auch der Zwang, Miltons Blankvers mit dem Opitz’schen Alternationsprinzip in Einklang zu bringen, unter dem Berg noch steht, ist inzwischen weggefallen. Bodmer wählt die Prosa und umgeht damit alle Debatten um Endreim und Versmaß. Durch die Freiheit von Reim und metrischen Zwängen kann Bodmer Miltons enthusiastische Bildsprache viel wortgetreuer wiedergeben. Für Bodmer besteht Miltons „ungebundene Freiheit der Poesie“ also in einer Entfesselung der Einbildungskraft aus den Grenzen des Wirklichen oder zumindest Wahrscheinlichen – und zwar im Dienst einer gefühlsbetonten Religiosität. Auch wenn Bodmer Bergs Übersetzung schließlich ablehnt, folgt er Berg dennoch darin, dass er Milton ausschließlich als Dichter, nicht als Publizisten im Dienst des englischen Republikanismus versteht.
Notes
- 1.
Vgl. Meier (2008).
- 2.
Kohler (2007), S. 461.
- 3.
Vgl. Kohler (2007), S. 441–442.
- 4.
Kohler (2007), S. 452.
- 5.
Döring (2009), S. 91. Vgl. auch Döring (2009), S. 94: „Wunderbares ohne Wahrscheinlichkeit ist Gottsched undenkbar, ‚Miltons Erfindungen‘ sind ihm abgeschmackte Kindermärchen, die in aufgeklärten Zeiten keinen Platz haben. Tod, Hölle, Sünde, Hexen und Teufel sind ihm, dem generell alle widervernünftigen Elemente der Religion Ausgeburten der Dummheit sind, ‚ungeheure Einbildungen‘, für die er nur Verachtung empfinden kann. Ihm erscheinen in der Forderung, dem Wunderbaren in der Dichtung Raum zu gewähren, nur die alten Gegner [nämlich die orthodox-lutherischen Theologen; Anm. v. S.K. und K.S.] in neuer Gewandung.“ – Es wäre also falsch, im Literaturstreit nur „eine Kontroverse um literarische oder poetologische Fragen“ zu sehen: Er wurde vielmehr „angetrieben“ und bestimmt „durch die Auseinandersetzungen der unterschiedlich orientierten Richtungen der Aufklärungsphilosophie“ (Döring 2009, S. 104). Der philosophische Empirismus mit seinen Zweifeln an der verabsolutierten ‚mathematischen Methode‘ (vgl. Döring 2009, S. 92) verbindet sich mit der „Forderung nach einer Dichtung, die sich nach ästhetischen Gesichtspunkten orientiert, […] unter dem Vorzeichen einer gefühlsbetonten Religion gegen einen Rationalismus, der nur ein streng vernunftkontrolliertes Dichten zuläßt und die Religion bzw. das Christentum in der Tendenz zu einer marginalen Größe herabdrückt. Die bemerkenswerte Wucht des Literaturstreits wird wenigstens zum Teil aus dieser Einbindung in die Auseinandersetzungen zwischen den beiden Hauptströmungen der deutschen Aufklärung verständlich“ (Döring 2009, S. 96).
- 6.
Füssli an Huber 1725, zit. nach Kohler (2007), S. 446.
- 7.
Kohler (2007), S. 455, 459.
- 8.
Vgl. Kohler (2007), S. 441, 457–461.
- 9.
Kohler (2007), S. 442.
- 10.
Kohler (2007), S. 443–445.
- 11.
Smith (2016), S. 379–380.
- 12.
Hentig (1966).
- 13.
Vgl. Smith (2016), S. 379.
- 14.
Vgl. Smith (2016), S. 380.
- 15.
Smith (2016), S. 381.
- 16.
Smith (2016), S. 383. Satan stellt zweifelsohne keine genuine politische Alternative zur göttlichen Monarchie dar, sondern missbraucht republikanisches Gedankengut für seine eigensüchtigen Zwecke. Blair Worden spekuliert, dass Milton durch seine Desillusionierung über Cromwells Protektorat zu diesem Portrait des schein-republikanischen Satans veranlasst worden sei (Worden 1990, S. 241–242), während David Loewenstein die Darstellung Satans durch Miltons Kritik der Presbyterianer kontextualisiert (Loewenstein 2001, Kap. 7). Haak dürfte durchaus willens gewesen sein, allfällige Kritik an Cromwell wiederzugeben, denn gemäß der erweiterten Ausgabe von Heinrich Ludolf Benthems Engeländischem Kirch- und Schulen-Staat von 1732 (Erstausgabe 1694) war das Verhältnis zwischen Haak und Cromwell eher kühl. Das wird etwa deutlich aus der von Benthem berichteten Reaktion Cromwells auf Haaks zwölfjährige Übersetzungsarbeit an den von der Dordrechter Synode veranlassten Dutch Annotations upon the whole Bible (1657), die der deutsche Exilant im Auftrag der Westminster Assembly unternommen hatte: „Uber dieser Bemühung wurde er [i.e. Haak] von Oliver Cromwel verspottet; welchen Usurpateur er einen vollkommenen heiligen Atheisten zu nennen pflag“ (114). Der Vorwurf des ‚heiligen Atheismus‘, also der machiavellistischen Instrumentalisierung vorgespielter Frömmigkeit, wurde bemerkenswerterweise nicht so sehr von Milton, sondern von radikalen „Levellers“ wie John Lilburne häufig gegen Cromwell erhoben (vgl. Loewenstein 2001, Kap. 1). Mögliche spiritualistische Neigungen seitens Haaks (s. u.) schließen solche Sympathien mit radikalen Protestanten sicherlich nicht aus. Zu Benthems Beziehung zu Haak, den er 1686/87 in London kennenlernt, siehe Barnett (1962), S. 155–157.
- 17.
- 18.
Barnett (1962), S. 192. Haaks Übersetzung ist in Anhang 3 zu Pamela Barnetts Biographie Theodore Haak, F.R. S. (1605–1690) abgedruckt, aus welcher wir hier und im Folgenden zitieren.
- 19.
Vgl. Berg (Übers.) (1682), S. 7–8.
- 20.
Miton (1965), S. 8–9.
- 21.
Milton (2013a), Buch 1, V. 594–599.
- 22.
- 23.
Smith (2016), S. 388–389.
- 24.
Zumindest finden sich heute nur die Anfänge in Kassel. Da es sich hierbei aber um eine andere Abschrift handelt als die, die Berg mit sich nahm, ist nicht auszuschließen, dass Haak doch das ganze Epos übersetzt hat.
- 25.
Bamberger (2018), S. 555.
- 26.
Zu Dorothea Kurfürstin von Brandenburg, vgl. http://www.gerhildkomander.de/biografien/91-frauen-in-berlin-dorothea.html?showall=&start=1 (Zugriff am 17.09.2020).
- 27.
Berg (Übers.) (1682), unpaginiert,)o(ij.
- 28.
Diese Entpolitisierung spiegelt sich auch darin wider, dass Bergs Übersetzung im Katalog zur Leipziger Ostermesse von 1682 unter den „libri theologici“ aufgeführt wird (vgl. Kreuder 1971, S. 82).
- 29.
Vgl. Leopold Magon (1956), S. 50–53. Für die Auffassung von Paradise Lost als Erbauungsliteratur sprechen bei Haak mitunter seine früheren Übersetzungen von Titeln wie Daniel Dykes The Mystery of Self-Deceiving (1615) oder Henry Scudders The Christian’s Daily Walk (1642). Eine Bibliographie von Haaks Werken und Übersetzungen findet sich in Barnett (1962), S. 187–188.
- 30.
Der Blankvers wurde bereits von Beatus Rhenanus in seinem Speculum Aestheticum (1613) verwendet, einer deutschen Übersetzung des allegorischen Dramas Lingua: or The combat of the tongue, and the fiue senses for superiority (1607) von Thomas Tomkins. Anders als Das verlustigte Paradeis blieb diese Übersetzung jedoch unveröffentlicht. Vgl. Bolte (1892), S. 432. Ein Digitalisat der Handschrift des Speculum Aestheticum ist durch die Universitätsbibliothek Kassel zugänglich: https://orka.bibliothek.uni-kassel.de/viewer/toc/1522149219292/1/ (Zugriff am 28.05.2021).
- 31.
- 32.
Zu Haaks Übersetzungsmethoden, auch über Paradise Lost hinaus, siehe Barnett (1962), S. 16–18, 116–119, 168–186.
- 33.
Vgl. Barnett (1962), S. 163–165.
- 34.
Kreuder etwa stellt infrage, „ob Berge mit seiner Übertragung die Absicht verfolgte, Miltons Epos als literarisches Kunstwerk zu würdigen“ (Kreuder 1971, S. 86). Magon ist ähnlicher Ansicht: „Haak und von Berge waren Männer ohne literarischen Ehrgeiz, denen Miltons Epos als religiöses Denkmal wichtig war“ (Magon 1956, S. 81). Gemäß Barnett sei Haaks Übersetzung zudem nicht in deutschen nationalliterarischen Diskursen einzuordnen: „Haak thus stood outside the strict confines of the German literary milieu“ (Barnett 1962, S. 170), „and his motive in translating Paradise Lost was quite simply to make the great English poem available in German form, not to contribute to the enrichment of his national literature“ (Barnett 1962, S. 169). Vgl. auch Schuppenhauer (1970), S. 91–92, 102–103.
- 35.
Für nie realisierte Publikationen der „Boberfeldischen Gesellschaft“ war eine „Rezension von Miltons übersetztem Paradiss in Teütschen Versen ohne Reime, nebst einer ausführlichen Nachricht von dem Üebersetzer (Th. Haake)“ von Johann Ulrich von König vorgesehen. Man darf hierbei wohl einen programmatischen Zweck annehmen, denn König hat auch „Ein Gespräch zwischen dem Reim und der Vernunfft“ in Aussicht gestellt (zitiert nach Brandl 1878a, S. 157). Bereits in einem Brief an Bodmer vom 28. März 1724 äußert sich König im Kontext seiner Kritik am Endreim, zumindest im Drama und in der Epik, folgendermaßen zur Berg-Ausgabe: „Die Weglassung der Reime ist auch so neu nicht, als Dero Gegner vorgiebt; schon vorher, eh Seckendorf seinen Lucan, hat bereits ein gewisser Ernst Gottlob von Berge Miltons verlustigtes Paradies in reimfreyen Versen sehr nachdrücklich übersetzt, die mir viele Genugthuung gegeben“ (Bodmer 1781, S. 40). Zur Reimkritik bei Bodmer und zur Boberfeldischen Gesellschaft, einem gegen Barthold Heinrich Brockes gerichteten, aber kurzlebigen Bündnis zwischen Bodmer, König und Johann Gottlieb Krause, siehe Schuppenhauer (1970), S. 105–128; zu Veit Ludwig von Seckendorffs Lucan-Übersetzung (1695) siehe ebenfalls Schuppenhauer (1970), S. 95–98.
- 36.
Benthem (1732), S. 118.
- 37.
Hübners Wahl des Alexandriners für seine Du Bartas-Übersetzung, welche er in seiner Vorrede erläutert (1622, fol. iir–ivv), wird schließlich auch zwei Jahre später von Opitz in seiner Diskussion des Alexandriners im Buch von der Deutschen Poeterey aufgegriffen (Opitz 1978, S. 394–395). Im Gegenzug übernimmt Hübner von Opitz das Alternationsprinzip in seiner darauffolgenden Übersetzung der Première Semaine (1631). Vgl. Stockhorst (2008), S. 310–311. Zu Haaks Bibliothek siehe Poole (2007), hier Nr. 23. Bei dem in der Bodleian Library erhaltenen Bestand von 95 Titeln handelt es sich um eine Schenkung des Büchersammlers Hans Sloane, der Haaks Bibliothek nach dessen Tod wohl von Frederick Slare, Sohn von Haaks Cousin Christopher Schloer, erwirbt. 1703 überlässt er einen Teil der Sammlung, offenbar „an unwanted corner of an otherwise desirable collection“ (Poole 2007, S. 7), der Bodleian Library. Der hohe Anteil an naturwissenschaftlichen Titeln und religiösen Werken, teils von radikalen Protestanten wie Kaspar Schwenckfeld und Paul Felgenhauer, ist also nicht unbedingt repräsentativ für den Charakter von Haaks Bibliothek in toto.
- 38.
Zu Haaks Tätigkeit in Holland siehe Barnett (1962), S. 32. Zur Neuauflage von 1648 siehe ebenfalls Barnett (1962), S. 83–86. Weckherlins Wertschätzung seines Freundes in literarisch-publizistischen Angelegenheiten lässt sich zudem daraus erkennen, dass er Haak auch in editorischen Fragen konsultiert und sich auf dessen Ratschlag offenbar dazu entscheidet, einige anti-katholisch gefärbte Gedichte nicht in die Ausgabe von 1641 aufzunehmen (vgl. Barnett 1962, S. 32). Von Haaks eigenen Gedichten in der Ausgabe von 1648 ist eines in gereimten jambischen Pentametern (vers commun) abgehalten, zwei in gereimten Alexandrinern. Bei einem der letzteren handelt es sich zudem um ein „Ein Rundumb“ (i.e. Rondeau), eine von Weckherlin ebenfalls verwendete Form. Die Gedichte sind abgedruckt in Weckherlin (1648), S. 874–76.
- 39.
Diese soll 1679 in London erschienen sein, ist aber nicht erhalten und nur durch Benthem (1732), S. 116, belegt.
- 40.
Zu den poetologischen Funktionen von Paratexten in der deutschen Barockliteratur siehe Stockhorst (2008).
- 41.
Berg (Übers.) (1682), fol. iiiv.
- 42.
- 43.
Milton (2013a), S. 54.
- 44.
Milton (2013a), S. 54.
- 45.
- 46.
Milton (2013a), S. 54.
- 47.
Ascham (1570), fol. 60r.
- 48.
Milton (2013a), S. 54–55.
- 49.
- 50.
Milton (2013a), S. 55.
- 51.
- 52.
- 53.
- 54.
Für die funktionalen Differenzen zwischen epischem und dramatischem Blankvers, bei Trissino wie auch in der frühneuzeitlichen englischen Literatur, siehe Hardison (1984).
- 55.
Milton (2013a), S. 55.
- 56.
Für eine Übersicht zum nicht-dramatischen Blankvers in der englischen Literatur des 16. Jahrhunderts, siehe Smart (1937).
- 57.
Ob dieser Anspruch auch so von Haak und Berg anerkannt worden wäre, ist eine offene Frage. Morhof etwa spricht von englischen epischen Dichtungen ohne Reim im Plural, auch wenn er nur Paradise Lost als Beispiel nennt: „In der Englischen Sprache hat man nicht allein Comoedienschreiber/ wie den Johnston [sic] und andre gehabt/ sondern auch einige/ die in Heroico poëmate die ungereimte art beliebet“ (Morhof 1682, S. 568).
- 58.
In seiner Vorrede an den Leser schreibt Berg, dass er eine ausgangssprachenorientierte Übersetzung angestrebt habe, sodass „einem Phil-Anglo beydes mit einander zuvergleichen desto leichter fallen möchte“ (Berg [Übers.] 1682, fol. iiiv). Aber auch wenn er Miltons, bzw. Haaks, Metrum in Grundzügen beibehält, geht er in seiner Übersetzung doch wesentlich freier und zielsprachenorientierter vor als Haak (vgl. Kreuder 1971, S. 100–106). Es ist bisweilen geradezu von einer kulturellen Adaption zu sprechen, z. B. wenn Miltons toskanisches Vallombrosa zum Rheingau wird: „Thick as autumnal leaves that strew the brooks/ In Vallombrosa, where the Etrurian shades/ High overarched embower; or scattered sedge/ afloat […]“ (Milton 2013a, Buch 1, V. 302–305). Vgl. dazu Berg: „so aber allzumahl verstrewt da lagen/ wie Weinlaub nach dem Herbst im Rheingaw/ odr/ unweit davon/ in Bachus Reichen Thälern/ da man des Rebensafts so viel Ihm fewert“ (Berg [Übers.] 1682, S. 13). Haak dagegen behält Miltons ursprüngliches Simile bei: „Alss Blätter umb den Herbst in Valombrosâ […]“ (Barnett 1962, S. 197).
- 59.
Siehe dazu Schuppenhauer (1970), S. 93.
- 60.
- 61.
Milton (2013a), S. 55.
- 62.
Berg (Übers.) (1682), fol. vr.
- 63.
Milton (2013a), S. 55.
- 64.
- 65.
Vgl. Schuppenhauer (1970), S. 82–86.
- 66.
Prasch (1680), S. 6.
- 67.
- 68.
Milton (2013b), S. 310.
- 69.
Aufschlussreich zur deutschen Wahrnehmung des Verhältnisses zwischen Miltons Verlorenem Paradies und dem Interregnum ist der Bericht zu Haaks Übersetzung in Benthems Engeländischer Kirch- und Schulen-Staat: „Als nun dasselbe [i.e. Paradise Lost], sogleich nach des Königs Caroli II. Wiedereinruffung, seinen Freunden zu Gesichte kam, wurden sie darüber bestürzet, aus Furcht, Milton möchte in demselben beklaget haben, dass mit Endigung der von Cromwel eingeführten Regierungs-Art, auch Engelands Wohlfarth geendiget und verlohren sey. Nachdem sie aber aus Durchlesung dieses Buches gesehen, dass gedachter Milton von dem Fall Adams und dem daraus entstandenen Elend handele, haben sie sich wieder zufrieden gegeben, und solche Schrifft auch in anderer Leute Hände kommen lassen. Allein, so viel ich aus dem, was der Herr Haak vertiret hatte, und selbst mir vorlass, abnehmen konnte, so wird zwar dem ersten Ansehen nach, der Sünden-Fall unserer Eltern darinn vorgestellt, doch aber also, dass dieser schlaue Politicus hinter solcher Decke dasjenige beklaget, was seine Freunde Anfangs vermuthen gewesen“ (Benthem 1732, S. 115). Ähnlich urteilt der Rezensent der Poetical Works of Mr John Milton (1695) in den Acta Eruditorum (Mai 1696), wenn er Paradise Lost als eine poetische Repräsentation der politisch-historischen Umstände der Entstehung des Gedichts begreift: „Id tamen praetereundum non esse existimavimus, censere plerosque, in quorum memoria adhuc viget temporum quibus floruit Miltonus conditio, eam poetice quidem, vivide tamen ab eo in hoc opere repraesentari“ (Mencke [Hrsg.] 1696, S. 227). Noch 1731 heißt es in der dritten Auflage des Allgemeinen Historischen Lexicons, „dass, nach einiger meynung, Miltons zweck gewesen sey, unter dem Sinnbild des verlohrnen paradieses, den für die Engelländer verlohrnen glückseligen zustand, seit dem sie sich von neuem der Königlichen herrschaft unterworffen, vorzustellen“ (Buddeus [Hrsg.] 1731, S. 570).
- 70.
Berg (Übers.) (1682), fol. vr.
- 71.
Vgl. Kreuder (1971), S. 11–77.
- 72.
Berg (Übers.) (1682), fol. iiir.
- 73.
Berg (Übers.) (1682), fol. iiir.
- 74.
„So ist es auch nicht von nöthen/ das der periodus oder sententz allzeit mit dem verse oder der strophe sich ende: ja es stehet zierlich/ wann er zum wenigsten bis zue des andern/ dritten/ vierdten verses/ auch des ersten in der folgenden strophe caesur behalten wird“ (Opitz 1978, S. 395). Ähnlich urteilt auch noch Schottel: „Es ist aber dieses nicht von nöhten/ dass allezeit mit dem Reimschlusse auch die ganze Meinung und Spruchrede vollendet werde/ sonderen dieselbe kan gar wol bis in den folgenden Reimschluss zuweilen erstrecket werden: Machet derohalben ein jeder Reimschluss/ auch nicht den Schluss in jeder meinung/ wie davon die exempla hin und wieder zu finden seyn“ (Schottel 1656, S. 70).
- 75.
Milton (2013a), S. 55.
- 76.
Prasch (1685), fol. B2r. Vgl. Morhof: „In Teutscher Sprache haben sie [Enjambements] gar keine art/ wiewoll ich einen sonst berühmten Poeten kenne/ der sie in dem Alexandrinischen genere sehr häuffig gebraucht“ (Morhof 1682, S. 614–615). Dagegen wird der Endreim wegen seiner semantisch komprimierenden Wirkung, die ja Milton gerade zu überwinden gedachte, gelobt: „Es veruhrsachet auch dieser Reimzwang nicht/ dass man weitläufftiger sein müsste/ als die Sache erfordert: Dann dieses ist viel ehe bey den ungereimten Versen zu befürchten; worinn die Phantasie die Wörter und sententias weiter ziehen kann/ als wan die Reime denselben Maass und Ziel setzen“ (Morhof 1682, S. 577).
- 77.
Wie Opitz referiert, hätte Ronsard etwa den vers commun in der Epik dem Alexandriner vorgezogen: „Obgleich Ronsardt die vers communs oder gemeinen verse/ von denen wir stracks sagen werden/ hierzue tüchtiger zue sein vermeinet; weil die Alexandrinischen wegen jhrer weitleufftigkeit der vngebundenen vnnd freyen rede zue sehr ähnlich sindt/ wann sie nicht jhren mann finden/ der sie mit lebendigen farben herauss zue streichen weiss“ (Opitz 1978, S. 394). Wie jedoch bereits Johann Ulrich von König feststellt, schreibt Berg seine Verse „ohne regulairen Abschnitt“ (Brief an Bodmer, 30. April 1725, zitiert nach Brandl 1878b, S. 461), also wie im englischen Blankvers ohne die im vers commun vorgesehene regelmäßige Zäsur.
- 78.
- 79.
Bodmer bedient sich später natürlich ebenfalls des Blankverses – in längerer Form zum Beispiel in seiner Übersetzung von Alexander Popes Dunciad (1747). Bereits in seinem in jungen Jahren verfassten Drama Marc Anton und Kleopatren Verliebung, wovon nur ein kurzes Fragment in einem Brief an Johann Michael von Löen überliefert ist (12. Januar 1729, abgedruckt in von Löen 1856), verwendet Bodmer einen reimlosen, jambischen Pentameter ohne reguläre Zäsur, in den sich allerdings eine beträchtliche Anzahl sechshebiger Verse eingeschlichen hat. Von Interesse ist der Brief auch, weil sich darin eine Bemerkung zu Bergs Milton-Übersetzung findet: „Jemand hatte mir gesagt, dass schon vor etlichen dreißig Jahren Gottlieb von Berg Milton’s ‚Paradise lost‘ unter dem Titel ‚Verlustigtes Paradies‘ in lauter dergleichen reimfreie, fünffüßige Verse, wie die in meinem Drama sind, übersetzt habe“ (von Löen 1856, S. 34) – wobei es sich wohl um den bereits erwähnten Johann Ulrich von König handelt, der eine entsprechende Beobachtung am 30. April sowie am 15. Mai 1725 an Bodmer mitteilt (Briefe abgedruckt in Brandl 1878b; Brandl 1878a, S. 139–148). Aus
- 80.
Bodmers Bemerkung an Löen geht allerdings nicht hervor, ob sich Bodmer bewusst ist, dass bereits das Original grundsätzlich einem jambischen Metrum folgt. Auch hat Bodmer sein Drama offenbar bereits geschrieben, als König ihn über die Berg-Übersetzung informiert (vgl. Brandl 1878b, S. 461; Brandl 1878a, S. 141–142). Dass Bodmer den Blankvers unmittelbar aus Miltons Paradise Lost, bzw. der englischen Literatur im Allgemeinen, übernimmt, kann also keineswegs als selbstverständlich angenommen werden. Es wäre zudem lohnend, der Frage nachzugehen, zu welchem Zeitpunkt Bodmer die jambische Grundstruktur des englischen Blankverses überhaupt als solche erkennt. Mit seiner Critischen Abhandlung von dem Wunderbaren in der Poesie (1740) etwa druckt Bodmer auch eine Übersetzung von Addisons Beiträgen zu Milton im Spectator (1712). Diesen Beiträgen ist zu entnehmen, dass Paradise Lost „in blancken oder Reim-freyen Versen geschrieben ist“ (zitiert nach Bodmer 1740, S. 260). Bodmers Übersetzung ist aufschlussreich, denn der Zusatz, dass es sich beim Blankvers schlichtweg um einen reimfreien Vers handle („oder Reim-freyen Versen“), lässt sich bei Addison (vgl. Addison 1719, S. 26) noch nicht finden. Dass es sich dabei auch um ein grundsätzlich jambisches Versmaß handelt, ist aus Bodmers Erklärung des Blankverses für seine deutschsprachige Leserschaft allerdings nicht zu erschließen. Weiter heißt es in Bodmers Übersetzung von Addisons Spectator-Beiträgen, „dass sein [i.e. Miltons] Metrum anmuthig absetzet und abwechselt, also dass das Ohr niemahls genug gesättiget, noch der Leser überladen wird. Dieses würde bey einem Maasse, das immer einförmig und einerley geblieben wäre, gewiss geschehen seyn“ (Bodmer 1740, S. 261). Addison bezieht sich hier auf Miltons rhythmische Variation, aber das jambische Grundmuster kommt wiederum nicht explizit zur Sprache – weder in Addisons Original noch in Bodmers Übersetzung. Gegen die Annahme einer solch bemerkenswerten Unwissenheit seitens Bodmers wäre allerdings einzuwenden, dass eine unzureichende Terminologie nicht zwingend auf ein unzureichendes Verständnis der Sache schließen lässt. So ist noch in den 1740er Jahren offenbar oftmals von „englischen Hendecasyllabi“ die Rede, wenn eigentlich der englische Blankvers gemeint ist (vgl. Schädle 1972, S. 50). Jedenfalls veröffentlicht Bodmer erstmals mit den „Erzehlungen aus Thomsons Englischem“ (aus The Seasons, abgedruckt in der von Bodmer besorgten Ausgabe von Pyras und Langes Thirsis und Damons freundschaftlichen Liedern, 1745) eine metrisch akkurate Reproduktion englischer Blankversdichtung. Bodmers Autorschaft der anonym veröffentlichten Thomson-Übersetzung ist allerdings nicht zweifelsfrei belegt, sie wird auch Johann Georg Sulzer zugeschrieben. Siehe dazu ebenfalls Schädle (1972), S. 123 FN 22, S. 127–130.
- 81.
Milton (2013a), S. 55.
- 82.
Vgl. Koehler (1958).
- 83.
„Now of versifying there are two sorts, the one ancient, the other modern: the ancient marked the quantity of each syllable, and according to that framed his verse; the modern observing only number (with some regard of the accent)“ (Sidney 2002, S. 115).
- 84.
- 85.
Siehe Leonard (2012).
- 86.
Vgl. Schuppenhauer (1970), S. 44.
- 87.
Milton (2013a), S. 54. Vgl. dazu Ascham: „In deede, they obserue iust number, and euen feete: but here is the fault, that their feete: be feete without ioyntes, that is to say, not distinct by trew quantitie of sillabes: And so, soch feete, be but numme feete: and be, euen as vnfitte for a verse to turne and runne roundly withall, as feete of brasse or wood be vnweeldie to go well withall. And as a foote of wood, is a plaine shew of a manifest maine, euen so feete, in our English versifiing, without quantitie and ioyntes, be sure signes, that the verse is either, borne deformed, vnnaturall and lame, and so verie vnseemlie to looke vpon, except to men that be gogle eyed them selues“ (Ascham 1570, fol. 61v).
- 88.
- 89.
Wels (2018), S. 52.
- 90.
- 91.
Berg (Übers.) (1682), fol. iiiiv.
- 92.
In diesem Gedicht charakterisiert Marvell Miltons Metrik folgendermaßen: „Thy verse created like thy theme sublime,/ In number, weight, and measure, needs not rhyme“ (Milton 2013a, S. 54, V. 53–54). In Bergs Übersetzung: „[…] dein Gedicht/ An Zahl/ Maass und Gewicht so reich beschenckt/ Dass man im Leben an kein Reimen denckt“ (Berg [Übers.] 1682, fol. viiv).
- 93.
Wels (2018), S. 341.
- 94.
- 95.
Zu von Zesen und Buchner siehe Wels (2018), S. 237–258.
- 96.
Die Verwendung von Spondeen in jambischen Versen ist bei Opitz zwar nicht vorgesehen, aber gemäß späteren Poetiken, zum Beispiel August Buchners Anleitung zur Deutschen Poeterey, durchaus akzeptabel (Buchner 1665, S. 116–117, 137).
- 97.
Kreuder (1971), S. 110.
- 98.
Weckherlin (1641), fol. A3r. Zu Weckherlins rhythmischen Freiheiten, z. B. seiner Vorliebe für rhythmische Brechungen durch trochäische Füße am Versbeginn oder nach der Zäsur, siehe Wagenknecht (1971), S. 32–37. Die Frage, bis zu welchem Grad die beiden Vorreden, wie auch Weckherlins Überarbeitungen der frühen Gedichte selbst, eine Ablehnung bzw. Anerkennung der Opitz’schen Versreform darstellen, ist allerdings kontrovers. Während Nicola Kaminski die Vorrede(n) der Gaistlichen und Weltlichen Gedichte als clash of discourses und Weckherlins Verletzungen des Alternationsprinzips als freiheitlichen Ausdruck „metrischer ‚Aufsässigkeit‘“ charakterisiert (Kaminski 2004, S. 186–189), plädiert Volkhard Wels dafür, die Gaistlichen und Weltlichen Gedichte als ein eigentliches Bekenntnis zu Opitz zu lesen (Wels 2018, S. 219–223), welches er aus Aussagen wie folgender ableitet: „Jedoch wer es [i. e. die jambisch-/spondeische Alternation] auch in der Teutschen [Sprache] halten will/ vnd zierlich fortbringen kan […] der mag es thun vnnd gelobet werden“ (Weckherlin 1641, fol. A3r). Aber selbst, wenn Weckherlin hier die Alternation nicht gänzlich ablehnt, kann kaum davon die Rede sein, dass Weckherlin sie als verpflichtende Norm propagiert.
- 99.
So z. B. zu Beginn des zweiten Verses des folgenden Reimpaares: „(Auf das er bleib allzeit in Frewden frum/ Muhtig in Land; kön schaiden Recht vnd Krum)“ (Weckherlin 1648, S. 874).
- 100.
- 101.
Eine systematische Behandlung solcher „mittelzeitiger“ Silben findet sich z. B. bei Schottel (1656), S. 32–44. Zu dieser Problematik, insbesondere der kontroversen prosodischen Handhabung von monosyllabischen Wörtern, siehe Wagenknecht (1971), S. 6–9; zur Prosodie in Poetiken des 17. Jahrhunderts siehe auch Wels (2018), S. 258–268.
- 102.
Zur methodischen Unterscheidung zwischen Skansion und Rezitation siehe Wagenknecht (1971), S. 9–14, 56–58.
- 103.
Barnett (1962), S. 236.
- 104.
Berg (Übers.) (1682), S. 62.
- 105.
Barnett (1962), S. 259.
- 106.
Berg (Übers.) (1682), S. 96.
- 107.
Barnett (1962), S. 193.
- 108.
Berg (Übers.) (1682), S. 9.
- 109.
Barnett (1962), S. 257.
- 110.
Berg (Übers.) (1682), S. 90.
- 111.
- 112.
Barnett (1962), S. 201.
- 113.
Berg (Übers.) (1682), S. 28.
- 114.
Barnett (1962), S. 191.
- 115.
Berg (Übers.) (1682), S. 6.
- 116.
Barnett (1962), S. 193.
- 117.
Berg (Übers.) (1682), S. 9.
- 118.
Wagenknecht (1971), S. 61.
- 119.
Vgl. etwa Breitingers Lob der relativ freien Akzentsetzung der silbenzählenden französischen und italienischen Metrik (in deren Kategorien Bodmer Paradise Lost in der Vorrede seiner Übersetzung 1732 ja ebenfalls analysiert) im Metrik-Kapitel seiner Critischen Dichtkunst (Breitinger 1740, Bd. 2, S. 435–472).
- 120.
Zur Engführung von politischer und metrischer Freiheit bei Weckherlin siehe Kaminski (2004), S. 188–202.
- 121.
Zur einsetzenden, aber immer wieder zurückgeworfenen, Wertschätzung Miltons als Dichter ab den 1680er Jahren siehe auch Kreuder (1971), S. 78–155.
- 122.
Siehe hierzu etwa Bodmers Vorrede in der Ausgabe von 1732, in welcher Paradise Lost emphatisch einer postrevolutionären Phase zugeordnet wird: „Die Aera des verlohrnen Paradieses fällt in die Jahre gleich vor und nach der Wiedereinsetzung König Carls des Zweyten. Milton hatte sein fünfzigstes Jahr schon zurück geleget: Die Streitschriften mit Salmasius und Alexander Morus hatten aufgehöret, und er genosse nunmehr ein ruhiges Leben, inmassen auch König Carl ihn von der Amnistie nicht ausgeschlossen hat, welches einige seiner angebohrnen Güte, andere seiner Gleichgültigkeit beygemessen haben“ (Bodmer 1732, fol. 2v).
Literatur
Quellen
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Klimek, S., Schindler, K. (2024). Die „ungebundene Freiheit der Poesie“. Metrik, Reim, Religion und Politik in den frühen deutschen Übersetzungen von Miltons Paradise Lost. In: Wesche, J., Tschopp, S.S., Fromholzer, F. (eds) Neues von der Insel. Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit, vol 2. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-66949-5_11
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