Zusammenfassung
The article is devoted to one of the few 17th century translations of Francis Bacon’s works into German, namely Johann Wilhelm von Stubenberg’s translation of the Essays published in 1654. The genesis of the translation and, in particular, questions concerning the motivation for the project are discussed, as well as Stubenberg’s method of translation. Moreover, the article highlights the context of the publication, namely its anchoring in the network of the Fruchtbringende Gesellschaft, as a member of which Stubenberg acted, and the group-specific reading interests and formation of tradition associated with it.
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1 Bacon-Übersetzungen im 17. Jahrhundert
Francis Bacon gilt einer Ideengeschichte der frühen Neuzeit als Säulenheiliger. Neben René Descartes wird er als einer der philosophischen Protagonisten der scientific revolution betrachtet, die die Emanzipation der theoretischen Neugierde von religiösen Zwängen durch die Verwissenschaftlichung der Gelehrsamkeit entscheidend befördern halfen. Berühmt ist das Frontispiz zu seinem 1620 erschienenen Novum Organum, das ein Schiff zeigt, welches im Begriff ist, die Säulen des Herkules, also die Grenzen der bekannten Welt, zu passieren, oder das sie bereits passiert hat.Footnote 1 Die Darstellung illustriert den Heroismus neuzeitlicher Entdeckungsreisen, deren Erfolge nun, so die mit dem Frontispiz implizierte Forderung, auch den Innovationsgeist in der Gelehrsamkeit anspornen sollen; das Novum Organum wird inszeniert als Entdeckungsreise in unbekannte Sphären der Gelehrsamkeit. Mit seinen Hauptwerken, dem Novum Organum und der 1623 erschienenen Schrift De augmentis scientiarum,Footnote 2 propagiert Bacon einen Neuaufbau der Wissenschaften, der frei von allen Vorurteilen sein soll – wie sie etwa, so ein zeitgenössisches Stereotyp, durch die Buchgelehrsamkeit vermittelt wurden –, der sich an der Beobachtung der Natur orientiert und der systematisch organisiert sein soll. Sein Programm vermittelt Bacon darüber hinaus in der zuerst 1626 erschienenen New Atlantis, die im Gefolge von Thomas Morus eine wichtige Station der Gattungsgeschichte der frühneuzeitlichen Utopie darstellt.Footnote 3 Und noch in einer anderen Hinsicht ist Bacon ein gattungsgeschichtlicher Pionier: Die zuerst 1597 erschienene Sammlung der Essays greift den Titel der Sammlung Michel de Montaignes auf und macht diesen Titel damit zu einer Gattungsbezeichnung;Footnote 4 Bacon ist zusammen mit Montaigne der Erfinder der Textgattung Essay.
Die letztgenannten Punkte machen deutlich, dass Bacon nicht nur für die Ideengeschichte, sondern auch für die Literaturgeschichte der frühen Neuzeit eine zentrale Figur ist. Gleichwohl scheint er einer auf die deutsche Literatur konzentrierten Barockforschung, die sich mit Sonetten und Trauerspielen, mit vanitas-Lehren und dem fortuna-rota-Prinzip, mit carpe diem-Gedichten und Petrarkismus beschäftigt, nicht ganz umstandslos in die gängigen Narrative zu passen. Wenn ich im Folgenden der Frage nachgehe, in welcher Form Bacons Werke im 17. Jahrhundert ins Deutsche übersetzt wurden, dann bemühe ich mich damit auch um einen Zugriff, der durch das Perspektiv der Übersetzungsgeschichte Verflechtungen von Wissenschaftsgeschichte und Literaturgeschichte nachgeht und an einem Beispiel zeigt, inwiefern die ‚Barock‘ genannte Epoche ein bunteres Gesicht zeigt, wenn man ihre wissenschaftsgeschichtlichen Dimensionen ausleuchtet.
Recherchiert man im Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts (https://www.vd17.de) und in Reginald Walter Gibsons Bibliographie der Drucke von Werken Francis Bacons bis 1750Footnote 5 nach Übersetzungen von Bacons Werken in die deutsche Sprache, dann ist das Ergebnis zunächst einmal ernüchternd. Bis zum Jahr 1750 hat es keine Übersetzung des Novum Organum oder der New Atlantis ins Deutsche gegeben. Ein Auszug aus De augmentis scientiarum ist, von Magnus Hesenthaler ins Deutsche übersetzt, 1665 unter dem Titel Glücks-Werckmeister erschienen;Footnote 6 derselbe Auszug wird 1719 nochmals von Johann Heinrich Acker ins Deutsche übersetzt und unter dem Titel Glücks-Schmidt veröffentlicht.Footnote 7 Daneben finden sich im 17. Jahrhundert lediglich zwei Veröffentlichungen mit Übersetzungen der Werke Francis Bacons: 1654 erscheint in der Nürnberger Offizin Michael Endters Francisci Baconis, Grafens von Verulamio, Fürtrefflicher Staats- Vernunfft- und Sitten-Lehr-Schrifften I. Von der Alten Weisheit. II. Etliche Einrahtungen/ aus den Sprüchen Salomonis. III. Die Farben (oder Kennzeichen) des Guten und Bösen. Übersetzet durch Ein Mitglied der Hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschaft den Unglückseligen.Footnote 8 Hierbei handelt es sich um eine Sammlung unterschiedlicher Schriften; die wichtigste ist Bacons im Original 1609 erschienene Abhandlung De sapientia veterum. Im selben Jahr liegt in derselben Offizin und vom selben Übersetzer, dem auf dem Titelblatt so genannten ‚Unglückseligen‘, eine weitere Bacon-Übersetzung auf unter dem Titel Francisci Baconis Grafens von Verulamio […] Getreue Reden: die Sitten- Regiments- und Haußlehre betreffend/ Aus dem Lateinischen gedolmetscht.Footnote 9 Mehr Übersetzungen der Werke Bacons ins Deutsche erscheinen vor 1750 offenbar nicht.Footnote 10
Was aber auf den ersten Blick einen enttäuschenden Eindruck macht, lässt sich bei näherem Hinsehen recht gut erklären: Bacon verfasste seine Werke teils auf Englisch, großteils aber auf Lateinisch. Latein als lingua franca der Gelehrtenrepublik musste aber nicht übersetzt werden, um eine Rezeption eines Werks durch deutsche Gelehrte zu ermöglichen. Die Übersetzung eines lateinischen gelehrten Texts ins Deutsche wäre im 17. Jahrhundert also nicht die Voraussetzung, um in Deutschland überhaupt rezipiert zu werden, sondern ein erklärungsbedürftiger Sonderfall von Rezeption. Die Annahme, dass das auch im Falle Bacons so ist, wird gestützt durch den Befund, dass Bacons Werke auf Lateinisch durchaus in Deutschland aufgelegt werden. 1635 erscheint eine Ausgabe von De augmentis scientiarum bei Lazarus Zetzner in Straßburg;Footnote 11 1665 wird bei Schönwetter in Frankfurt am Main eine Ausgabe der Opera omnia, Quae extant herausgebracht.Footnote 12 Die erste auf englischem Boden erschienene Gesamtausgabe von Bacons Werken hatte 1638 dessen früherer Sekretär William Rawley postum herausgegeben.Footnote 13
2 Deutsche Essays
Im Folgenden möchte ich mich auf die zweite eben erwähnte, 1654 bei Endter in Nürnberg erschienene Bacon-Übersetzung des ‚Unglückseligen‘ konzentrieren, die Getreuen Reden die Sitten- Regiments- und Haußlehre betreffend. Hierbei handelt es sich, wie durch den Titel vielleicht nicht jeder und jedem gleich klar wird,Footnote 14 wie man aber den einschlägigen Bibliographien entnehmen kann, um eine Übersetzung von Bacons Essays.Footnote 15 Wenigstens eines der kanonischen Werke Bacons ist also im 17. Jahrhundert ins Deutsche übersetzt worden. Nur sind aus den Versuchen ‚Reden‘ geworden, der modern klingende Gattungsbegriff des Essays taucht in der deutschen Übersetzung nicht auf, sondern wird durch einen rhetorisch anmutenden Titel ersetzt. Wie es dazu gekommen ist, lässt sich eruieren, wenn man dem Hinweis auf dem Titelblatt der deutschen Übersetzung nachgeht, sie sei Aus dem Lateinischen gedolmetscht. Die 1597 zuerst erschienenen Essays waren auf Englisch verfasst; das Werk wurde zu Bacons Lebzeiten mehrfach neu aufgelegt und erweitert, aber immer auf Englisch. 1638, also zwölf Jahre nach Bacons Tod, erscheint im Rahmen der von Rawley herausgegebenen Ausgabe von Bacons Werken eine lateinische Version der Essays, und zwar unter dem Titel Sermones fideles,Footnote 16 was dann im Deutschen als Getreue Reden übersetzt wird. Der Wechsel im Titel des Werks von den ‚Versuchen‘ zu den ‚Reden‘ geht also nicht auf den deutschen Übersetzer zurück, sondern auf Bacon selbst, der, so wird es auf dem Titelblatt der postumen Ausgabe von 1638 dargestellt, in seinen letzten Lebensjahren noch eine lateinische Übersetzung seiner Essays fertigstellte, die dann vom Verwalter seines literarischen Nachlasses, Rawley, nach seinem Tod im Rahmen der Werkausgabe publiziert wurde. Allerdings stellt die Übersetzung von sermo als ‚Rede‘ eine Vereindeutigung des deutschen Übersetzers dar; sermo hat eine weitere Bedeutungsextension als ‚Rede‘ und kann darüber hinaus auch ‚Predigt‘ oder auch ‚Gespräch‘ bedeuten, bezeichnet also eine Bandbreite von Formen nicht strikt abhandlungsförmiger Wissensvermittlung. 1641 erschien in Leiden in der Offizin des Franciscus Hackius die erste Einzelausgabe der Sermones fideles,Footnote 17 die im Laufe des 17. Jahrhunderts mehrfach neu aufgelegt wurde, und diese Ausgabe diente dem deutschen Übersetzer als Vorlage, wie man an verschiedenen Indizien erkennen kann, am deutlichsten am Titelkupfer des Nürnberger Drucks, der das Bildprogramm des Leidener Titelkupfers genau, wenn auch spiegelverkehrt kopiert.
Wer ist nun jener ‚Unglückselige‘, der in dem Nürnberger Druck als Übersetzer von Bacons Essays firmiert? ‚Der Unglückliche‘ ist der Gesellschaftsname, unter dem in der Fruchtbringenden Gesellschaft Johann Wilhelm von Stubenberg firmiert,Footnote 18 der denn auch die „Zuschrifft“ zu den Getreuen Reden mit seinem Klarnamen unterzeichnet.Footnote 19 Gemäß Martin Birchers großer monographischer StudieFootnote 20 oder, kürzer gefasst, dem redaktionell bearbeiteten Artikel von Michael Auwers im Killy-LexikonFootnote 21 entstammte der 1619 geborene Stubenberg einem alten steiermärkischen Adelsgeschlecht; seine Familie ist der Gruppe der österreichischen Protestanten zuzurechnen, die nach der Schlacht am Weißen Berg der Verfolgung durch das Habsburger Kaiserhaus ausgesetzt war. Im Zuge dieser Verfolgungswelle wurde im Fall Stubenbergs der väterliche Landbesitz konfisziert. 1641 beerbte Stubenberg aber seinen Onkel; Teil des Erbes war das Schloss Schallaburg bei Sankt Pölten, wo sich Stubenberg als Landedelmann niederließ. Während seiner Zeit dort erschienen auch seine Bacon-Übersetzungen. 1648 wurde er in die Fruchtbringende Gesellschaft aufgenommen, als deren Mitglied er auf den Titelblättern der Bacon-Übersetzungen firmiert. 1657 zog Stubenberg nach Wien um, wo er 1663 starb. Stubenberg ist vor allem als Übersetzer hervorgetreten, die notwendigen Sprachkenntnisse hat er sich teils auf seiner mehrjährigen Kavalierstour durch Italien, Frankreich und die Niederlande angeeignet.Footnote 22 Zunächst übersetzte Stubenberg zeitgenössische Romane, darunter die Clelia der Madeleine de Scudéry.Footnote 23 Im Laufe seines Lebens kam dann zunehmend die Übertragung gelehrter Traktate hinzu, darunter die Bacon-Übersetzungen.
Wie kam der österreichische Landedelmann Stubenberg zu Bacon?Footnote 24 Für den Bacon der Sapientia veterum lässt sich die Antwort leicht geben, wenn man Jörg Jochen Berns’ Studie zu Georg Philipp Harsdörffers Bacon-Rezeption zu Rate zieht.Footnote 25 Harsdörffer bezieht sich in seinen Schriften seit den 1640er Jahren des Öfteren auf Bacon, insbesondere auf De sapientia veterum. Für Harsdörffer war Bacons Traktat, der eine allegorische Ausdeutung der griechisch-römischen Mythologie lehrt, laut Berns eine Möglichkeit, den christlichen Monotheismus mit dem Interesse an der antiken Vielgötterwelt in Einklang zu bringen. Nach Bacon ist die griechisch-römische Mythologie, so Berns, eine Art verdeckten Sprechens, in dem sich wie hinter einem Schleier die – auch durch die christliche Theologie gedeckte – Wahrheit verbirgt.Footnote 26 Harsdörffer selbst hatte im vierten Teil seiner Frauenzimmer Gesprächspiele 1644 – ohne seine Quelle explizit zu benennen – einige Passagen aus De sapientia veterum nah am Original bearbeitet, näherhin vor allem aus jenem Kapitel, in dem der Waldgott Pan als Allegorie der Natur vorgestellt wird.Footnote 27 Stubenberg war, wie seine Biographen wissen, mit Harsdörffer befreundet, und es ist mehr als wahrscheinlich, dass er Bacon und dessen De sapientia veterum vermittelt über Harsdörffer kennengelernt hat. Auch ist es wohl kein Zufall, dass die Stubenberg’schen Bacon-Übersetzungen bei Harsdörffers Hausverlag, der Offizin Michael Endters, erschienen sind. Stubenbergs Übersetzung auch des Pan-Kapitels ist allerdings, wie ein Vergleich nach wenigen Stichproben zeigt, ganz unabhängig von der Harsdörffers. Wie Stubenberg nun aber zu den Essays gekommen ist, ist weniger klar zu sagen. Bislang konnte ich nicht herausfinden, welche Ausgabe von De sapientia veterum Stubenberg als Vorlage genutzt hat. Für die Übersetzung der Essays hat er ja, wie oben erwähnt, höchstwahrscheinlich die bei Hackius erschienene Leidener Ausgabe von 1641 herangezogen. Über das Verlagsprogramm der Offizin läuft die Verknüpfung nicht; Hackius hatte nicht etwa auch eine Ausgabe von De sapientia veterum im Programm. Über Leiden kann die Verbindung aber schon gelaufen sein – mehrere Leidener Ausgaben von De sapientia veterum sind vor 1654 erschienen;Footnote 28 Stubenberg könnte also auf diesem Weg auf die Essays als weitere interessante, vielleicht auch gut vermarktbar erscheinende Schrift Bacons gestoßen sein.
Dass die Leidener Ausgabe die direkte Vorlage für Stubenbergs Übersetzung gewesen ist, legt, wie gesagt, bereits der Vergleich der Titelkupfer nahe. Ein weiteres Indiz hierfür ist, dass die Anordnung der Stubenberg’schen Essays von Essay Nr. 1 bis Essay Nr. 57 exakt der Anordnung der Leidener Ausgabe folgt.Footnote 29 Bemerkenswert sind hier aber auch die Abweichungen: Die Leidener Ausgabe enthält nicht nur jene Texte, die in der autorisierten Sammlung von Bacons Essays enthalten waren, sondern darüber hinaus als Anhang oder Ergänzung eine Reihe weiterer Schriften. Von diesen weiteren Schriften übersetzt Stubenberg lediglich die erste, die in der Leidener Ausgabe mit dem Titel Quomodo profectus in virtute faciendus sit auf die Reihe der Essays folgt; weitere vier in der Leidener Ausgabe folgende lässt er in der deutschen Übersetzung weg. Interessant hieran ist zweierlei: Erstens muss Stubenberg über die Leidener Ausgabe hinaus Informationen besessen haben, welche Texte zum eigentlichen Korpus des Essays gehörten und welche nicht, und zweitens findet sich unter jenen Schriften im Anhang der Leidener Ausgabe, die Stubenberg nicht übersetzt, auch eine unter dem Titel Faber Fortunae sive Doctrina de ambitu vitae. Hierbei muss es sich um die Vorlage jener anderen Bacon-Übersetzung Magnus Hesenthalers handeln, die, wie skizziert, 1665 unter dem Titel GlücksWerckmeister erschienen ist und 1719 sogar nochmals unter dem Titel Glücksschmied neu übersetzt wurde. Anzunehmen ist, dass Hesenthaler Stubenbergs Übersetzung sowie die Leidener Vorlage kannte und ihm im Vergleich beider Textsammlungen auffiel, dass Stubenberg nicht alle Stücke übersetzt hatte. Unter dieser Prämisse hätte er also Stubenbergs Eindeutschung mit seiner Übersetzung gezielt supplementiert. Der Leidener Druck von 1641 hätte damit für die Geschichte deutschsprachiger Bacon-Übersetzungen eine nochmals über seinen Charakter als Vorlage Stubenbergs hinausreichende Bedeutung.
3 Stubenberg als Übersetzer
Wie übersetzt nun Stubenberg? Im Detail sei mit Blick auf diese Frage einer der Essays im englischen Original, in der Bacon’schen lateinischen Übertragung und in der Stubenberg’schen deutschen Übersetzung der lateinischen Version verglichen, nämlich der Essay Of Studies. Dieser kurze Text steht in der Tradition frühneuzeitlicher Leseanleitungen, aber statt Hinweisen auf konkrete Bücher, die der Adept lesen soll, konzentriert er sich auf eine Unterweisung in unterschiedlichen Formen und Registern des Lesens, die den jeweiligen Lesestoffen gemäß sein sollen. Kulinarische Vergleiche und Metaphern weisen darauf hin, dass hier eine Diätetik und Weisheitslehre des Lesens angezielt ist, die sich gegen eine Buchgelehrsamkeit richtet, welche auf umfangreiche, gleichförmige Lektüre großer Büchermengen aus ist.Footnote 30 Der Vergleich der Textversionen zeigt, dass Stubenberg bemüht ist, seine lateinische Vorlage möglichst wort- und sinngetreu zu übertragen. Die lateinische Fassung Bacons hingegen unterscheidet sich im Stil vom englischen Original, das sehr verknappt und elegant formuliert ist, die lateinische Version ist demgegenüber wortreicher, ‚gelehrter‘, bisweilen auch präziser. Es ergibt sich der kuriose Umstand, dass Bacon seinen eigenen Text weniger wortgetreu übersetzt, als es dann Stubenberg mit Bacons Übersetzung seines eigenen Texts tut. Das beginnt bereits mit dem Titel, der im englischen Original, wie gesagt, „Of Studies“ lautet.Footnote 31 Im Lateinischen wird daraus wortreicher und genauer „De studiis, & lectione librorum“.Footnote 32 Stubenberg hat entsprechend „Vom Studiren/ und Lesen der Bücher“.Footnote 33 Im englischen Original heißt es lapidar: „Crafty men contemn studies, simple men admire them, and wise men use them […].“Footnote 34 Das übersetzt Bacon ins Lateinische: „Callidi Literas contemnunt; simplices admirantur; prudentes, opera earum, quantum par est, utuntur […].“Footnote 35 Hier gelingt es Bacon, das Lapidare des Ausgangstexts in den ersten beiden Gliedern des Trikolons aufrecht zu erhalten, aber das dritte Glied wird dann syntaktisch komplizierter. Entsprechend findet sich bei Stubenberg: „Verschlagene Leute verachten die guten Wissenschaften; Einfältige verwundern sich darob; Vernünftige bedienen sich deren Hülffe/ alsviel sich geziemet.“Footnote 36
Berühmt ist die Passage, in der, wie angedeutet, unterschiedliche Lesestoffe unterschiedlichen Formen des Lesens zugeordnet werden, was metaphorisch mit unterschiedlichen Formen des Essens perspektiviert wird:
Some books are to be tasted, others to be swallowed, and some few to be chewed and digested; that is, some books are to be read only in parts; others to be read, but not curiously; and some few to be read wholly, and with diligence and attention.Footnote 37
Wieder bedient sich Bacon rhetorisch eines doppelten Trikolons, das er im Lateinischen nachbildet, allerdings mit einem gewissen Verlust an prägnanter Kürze:
Sunt Libri, quos leviter tantum degustare convenit; sunt quos deglutire, cursimque legere oportet; sunt denique, sed pauci admodum, quos ruminare & digerere par est: Hoc est; Libri quidam, per partes tantum inspiciendi; alii perlegendi quidem, sed non multum temporis, in iisdem evolvendis, insumendum; alii autem pauci diligenter evolvendi, & adhibita attentione singulari.Footnote 38
Im Deutschen wird daraus:
Es gibt Bücher/ die man nur obenhin durchlauffen soll; theils die man verschlingen/ und durchlauffend überlesen soll; theils letztlich (aber sehr wenig) die man wiederkeuen und wolverdauen soll: das ist/ theils Bücher soll man nur stuckweiß überschauen; andere zwar durchlesen/ doch zu deren durchblätterung nicht viel Zeit anwenden; andere wenige aber/ sollen fleissig durchgangen werden/ und zwar mit sonderbarer Aufmerkung.Footnote 39
Diese wenigen Beispiele können vielleicht schon einen Eindruck von der Art des Übersetzungsgeschehens geben, mit dem wir es hier zu tun haben und das gleich näher qualifiziert werden wird; vorher sei aber noch auf eine Besonderheit hingewiesen: Gegen Ende seines Essays spricht Bacon von den „schoolmen“, die er als Haarspalter darstellen möchte; dafür fällt ihm auch im englischen Original nur das lateinische „cymini sectores“ ein.Footnote 40 Entsprechend findet sich das Wort „Cymini Sectores“ auch in der lateinischen Übersetzung mit Blick auf die „Scholasticos“.Footnote 41 Stubenberg übersetzt auch dieses Wort ins Deutsche, die „Schullehrer“ werden bei ihm als „Kimmelsammler“ bezeichnet.Footnote 42
Übersetzungen, so heißt es schon zeitgenössisch häufig, sollen treu sein, und was immer von dieser topischen Anforderung zu halten ist, so kann man sagen, dass Stubenberg sich um eine treue Übersetzung des lateinischen Bacon bemüht. Eine andere topische Anforderung an Übersetzungen ist die, dass sie sich stilistisch von der Ausgangssprachversion unterscheiden dürfen, weil unterschiedliche Sprachen nun einmal unterschiedlichen Sprachstilen affin seien. Hierzu kann man beobachten, dass Bacon selbst bei seiner Übersetzung der englischen Version seines Essays ins Lateinische tendenziell einen Stilwechsel vollzieht: Der lapidare, verknappte Stil im Englischen wird im Lateinischen wortreicher, ‚gelahrter‘, syntaktisch komplexer. Stubenberg versucht nun genau diesen Stil im Deutschen nachzubilden. Möchte man aus der Stubenberg’schen Übersetzung rezeptionsgeschichtlich und damit literatur- und ideengeschichtlich Bedeutsames entnehmen, dann bietet, so legt zumindest die hier präsentierte erste Stichprobe nahe, die Übersetzung selbst wenig Auffälliges, woran man nennenswerte Beobachtungen und Schlussfolgerungen anschließen könnte. Das aber sieht ganz anders aus, wenn man sich den Paratext anschaut.
4 Paratexte und Netzwerke
Das beginnt bereits mit dem Titel. Bacons Essays gelten mit Montaignes Essays, wie gesagt, als Prototyp jener Textsorte, die als besonders moderne Gattungserfindung der frühen Neuzeit angesehen wird, weil in ihr Reflexionen über unterschiedlichste Gegenstände mit der subjektiven, vorläufigen, gedanklich experimentierenden Perspektive des Sprechers verbunden werden. Schon die Montaigne-Forschung hat aber herausgestellt, dass man sich vor einer anachronistischen Sichtweise auf das Genre Essay hüten muss, das in vormodernen Traditionen wurzelt, etwa in den seinerzeit verbreiteten Loci-communes-Büchern.Footnote 43 Dass es sich mit Bacons Essays in der zeitgenössischen Wahrnehmung ähnlich verhält, dass sie also nicht als besonders modern und innovativ wahrgenommen werden, zeigt sich daran, dass Bacon seine ‚Versuche‘ in der lateinischen Version als Reden ausweist, also als Texte, die, wie schon angedeutet, im Kontext der Theorie und Praxis der Rhetorik zu sehen sind. Der lateinische Titel geht aber noch weiter, er lautet – in der postumen Leidener Ausgabe – vollständig: Sermones Fideles, Ethici, Politici, Oeconomici: Sive Interiora Rerum.Footnote 44 Die deutsche Übersetzung Stubenbergs folgt hier im Wesentlichen der lateinischen Vorlage, sie lautet Getreue Reden: die Sitten- Regiments- und Hauslehre betreffend.Footnote 45 Die „Interiora Rerum“ fallen bei Stubenberg weg, und so ist aus dem Prototypen der modernen Gattung Essay eine Sammlung von Schriften zur moralischen und ökonomischen Unterweisung geworden; die ins Deutsche übersetzte Textsammlung wird damit im Umfeld der Erbauungs- und Hausväterliteratur situiert.Footnote 46 Und noch ein anderer Kontext wird durch das Titelblatt aufgerufen: Indem Stubenberg mit seinem Gesellschaftsnamen ‚Der Unglückselige‘ als Autor firmiert, stellt er das Unternehmen der Bacon-Übersetzung in den Kontext des kultur- und sprachpatriotischen Programms der Fruchtbringenden Gesellschaft. Diese Kontextualisierung wird verstärkt durch den Umstand, dass auch die Widmungsgedichte vorrangig von Fruchtbringern stammen. Doch dazu in Kürze.
Stubenbergs Bacon-Übersetzung enthält keine Leservorrede, in der man etwa Konzeptionelles zu den Übersetzungsprinzipien hätte erfahren können oder auch zu den Gründen, warum sich Stubenberg ausgerechnet Bacons Essays als Gegenstand seiner Übersetzungstätigkeit ausgewählt hat. Was es aber gibt, ist eine Widmungszuschrift an Ferdinand IV., den Sohn des damaligen Kaisers Ferdinand III. Ersterer hatte zu dieser Zeit gerade den Titel eines Römisch-deutschen Königs erhalten und durfte als Thronfolger auf den Kaiserthron gelten. Durch diese standesmäßig maximal hoch angesetzte Wahl des Widmungsadressaten nobilitiert Stubenberg sein übersetzerisches Unternehmen und dessen Vorlage, aber diese Wahl perspektiviert auch die Wahrnehmung des dargebotenen Texts: Er wird durch die Zuschrift zu einem Fürstenspiegel. Stubenbergs diesbezügliche konzeptionelle Entscheidung könnte nicht zuletzt durch einen Seitenblick auf die Biographie des Autors Bacon motiviert sein, der in England als hochrangiger Hofbeamter tätig war und entsprechend als passender Autor eines solchen Unterweisungsbuchs für den Herrscher gelten kann. Allerdings verrät die Zuschrift wenig darüber, worin die Bedeutung liegt, die ausgerechnet Bacons Essays zum geeigneten Fürstenspiegel für den Thronfolger des Hauses Habsburg werden lassen – außer dass er topisch als „Aristotel[ ] unserer Zeiten“ gelobt wird.Footnote 47
Die Widmungsgedichte stammen, wie bereits angedeutet, großenteils von Mitgliedern der Fruchtbringenden Gesellschaft, daneben von österreichischen Freunden und Gefährten Stubenbergs; zum Teil überschneiden sich diese beiden Gruppen auch.Footnote 48 Nur drei Gedichte von besonders auffälligen Autoren seien hier etwas näher betrachtet. Das erste ist unterzeichnet mit dem Gesellschaftsnamen ‚Der Mürbe‘.Footnote 49 Dahinter verbirgt sich kein geringerer als Johann Valentin Andreae. Hier tut sich eine bemerkenswerte Verbindung auf, ist Andreae doch mit seiner 1619 erschienenen Christianopolis einer der Protagonisten der Gattungsgeschichte der europäischen Utopie.Footnote 50 Es wäre interessant zu erfahren, wie er zu Bacon als dem anderen bedeutenden Protagonisten der Utopiegeschichte gestanden hat.Footnote 51 Das Widmungsgedicht gibt hierüber aber leider keine Auskunft. Es handelt sich im Wesentlichen um ein Wortspiel mit dem Gesellschaftsnamen ‚Der Unglückselige‘ und nimmt auf Bacons Essays keinen Bezug. In Andreaes Autobiographie findet sich eine Erwähnung Stubenbergs in dem Kapitel zum Jahr 1653. Hier heißt es, das Wortspiel mit dem Gesellschaftsnamen aufgreifend:
Der erlauchte Baron Johann Wilhelm von Stubenberg, der in der Fruchtbringenden Gesellschaft ‚der Unglückliche‘ heißt, aber an glücklichen Talenten nur mit wenigen zu vergleichen ist, trat durch einen überaus freundlichen Brief in den Kreis meiner Freunde ein und ist auch in Zukunft von mir hoch zu schätzen.Footnote 52
Es scheint nicht unwahrscheinlich, dass es sich hier um einen Brief handelte, in dem Stubenberg Andreae um ein Widmungsgedicht für seine Bacon-Übersetzung bat, um ihr mehr Glanz zu verleihen.
Das zweite Gedicht, das etwas genauer angeschaut werden soll, trägt den Titel „Uber den Stubenbergischen Verulam und Verulamischen Stubenberg“. Es ist mit Sigismundus Betulius unterzeichnet, dem latinisierten Namen Sigmund von Birkens.Footnote 53 In diesem Lied, das Birken dann auch in den 1657 ebenfalls bei Endter in Nürnberg erschienenen Ostländischen Lorbeerhäyn aufgenommen hat,Footnote 54 wird zunächst der Ruhm Bacons beschworen und dann Stubenberg adressiert, dessen translatorisches Unternehmen als Form einer translatio artium beschrieben wird, die von dem englischen über den österreichischen an den fränkischen Strom erfolgt: „Der sich Unglückhafft nennet/│ihn dieses Glücke gönnet/│sie von Jhm redend macht;│was vor die Temse lallet/│jetzt an die Donau schallet/│davon die Pegnitz spracht.“ Am Schluss wird die Behauptung der translatio artium dadurch bekräftigt, dass Stubenberg, der Bacon als englischen Aristoteles beschrieben hatte, von Birken als „der Teutsche Verulam“ adressiert wird. Der Briefwechsel Stubenbergs mit Birken ist teilweise erhalten und zeugt von einer engeren Beziehung zwischen den beiden als jener zwischen Stubenberg und Andreae.Footnote 55 Bereits im November 1651, drei Jahre vor Erscheinen der Übersetzung, berichtet Stubenberg Birken darin von den „angefangenen Sermones Fideles Verulamij“;Footnote 56 im Juli 1653 zieht Stubenberg brieflich die Möglichkeit in Betracht, dass Birken das Werk Korrektur lesen könnte.Footnote 57 Im April 1654 bedankt er sich überschwänglich für das Widmungsgedicht und das darin artikulierte Lob.Footnote 58
Das vielleicht interessanteste Widmungsgedicht zu Stubenbergs Bacon-Übersetzung ist ein „Poetischer Aufzug/ den Inhalt der Getreuen Reden dieses Büchleins vorstellend“.Footnote 59 Er ist unterzeichnet mit „der Spielende“, und hierbei handelt es sich um den Gesellschaftsnamen Harsdörffers. In diesem Text wird, wie im Titel angekündigt, der Inhalt der Essays vorgestellt, aber in einer mindestens eigenwillig zu nennenden Weise. Bacons Essays tragen Themen anzeigende Titel, beginnend mit „Of Truth“, „Of Death“, „Of Unity in Religion“. In der deutschen Übersetzung Stubenbergs lauten diese Titel „Von der Wahrheit“, „Vom Tode“, „Von Einigkeit der Kirche“. Harsdörffer transformiert nun diese Struktur von Texten, die ihre Themen im Titel tragen und die diese Themen in lehrhafter, reflexiver, weisheitsliterarischer Form behandeln, in ein allegorisches Theaterfestspiel, beginnend mit der Regieanweisung: „AUf dem Schauplatz kommt aus einer trüben Wolken gefahren die Wahrheit/ ein wunderschönes Weib/ mit einem umstralten Haubt/ guldner Bekleidung/ und führet in der Hand/ eine hellscheinende Fackel.“ Die Wahrheit beginnt dann in Versen zu reden, gefolgt von der allegorischen Personifikation der Freundschaft. Auf diese Weise treten nach und nach alle Bacon-Stubenberg’schen Essays als allegorische Personifikationen auf. Wie kommt es, so liegt es nahe zu fragen, zu einer so kuriosen poetischen Fehllektüre von Bacons Essays, die doch von Stubenberg mit dem Bemühen um weitgehende Treue übersetzt worden waren? Es liegt nahe zu vermuten, dass Harsdörffer die Essays hier in einer verzerrenden Form im Licht jenes anderen Texts aus der Feder Bacons gesehen hat, den er viel besser kannte und höher schätzte: De sapientia veterum. In diesem Text werden ja, wie skizziert, tatsächlich die antiken Götter als Allegorien gedeutet. Harsdörffer stellt mit seinem Widmungsfestspiel die Essays als eine Art zweiten Teil von De sapientia veterum dar und unterstellt, in diesem Werk würden abstrakte Begriffe als Allegorien präsentiert – was natürlich nicht zutrifft.
Allgemein lässt sich in den Widmungsgedichten die Tendenz feststellen, nicht Bacon, sondern Stubenberg als Autor des vorliegenden Werks zu inszenieren. Das hat natürlich einen kultur- und sprachpatriotischen Hintergrund, es zeigt aber darüber hinaus eine metonymische Verschiebung an, wie sie manchmal, aber nicht immer in der Wahrnehmung von Übersetzungen eintritt: Der Name Bacons wird als Autorname durch den Namen des Übersetzers Stubenberg ersetzt, Bacons Name wird stattdessen Teil des Werktitels: „Sermones Fideles Verulamii“ oder „der Stubenbergische Verulam und Verulamische Stubenberg“.Footnote 60 Mit Hilfe von Stubenbergs Übersetzungsleistung lässt sich jetzt ‚der Bacon‘ auf Deutsch lesen. Da es sich um eine Übersetzung aus dem Lateinischen handelt, geht es hier offenbar nicht darum, einem deutschen Zielpublikum den Zugang zum Werk überhaupt erst zu erschließen, sondern angezielt ist hier wohl eher die breitere Popularisierung eines gelehrten Texts als Weisheitsliteratur oder auch als erbauungsliterarische Verhaltenslehre für das praktische Leben. Die enge Verknüpfung der Entstehungs- und Publikationsgeschichte wie auch der paratextuellen Beigaben von Stubenbergs Bacon-Übersetzung mit dem Nürnberger Netzwerk um Birken, Harsdörffer und den Verleger Endter zeigt, dass die Frage, was wann wo übersetzt wird, auch eine Frage gruppenspezifischer Leseinteressen und Traditionsbildungen ist. Es ist in diesem Sinne kein Zufall, dass Bacon nicht innerhalb eines philosophischen oder gelehrten Zusammenhangs, sondern im publizistischen Netzwerk der Fruchtbringenden Gesellschaft übersetzt wurde, das aus Dichtern bestand und vornehmlich sprach- und kulturdidaktische Interessen verfolgte. Obwohl Stubenbergs Unternehmen durch seinen engen Bezug auf Harsdörffer und Birken auf Nürnberger Filiationen verweist, ist bemerkenswert, dass es sich nicht etwa im Kontext des Pegnesischen Blumenordens, sondern eben in der Fruchtbringenden Gesellschaft situiert. Letztgenannte Assoziation war bekanntlich der Ort, an dem das Projekt der Übersetzung vielfältigster europäischer Prätexte ins Deutsche im Dienste eines kultur- und sprachpatriotischen Anliegens über mehrere Generationen hinweg verfolgt wurde.Footnote 61
5 Ausblick mit Waldberg
Eine solitäre, aber höchst bedeutsame wissenschaftsgeschichtliche Rezeption von Stubenbergs Bacon-Übersetzung wird übrigens greifbar in Gestalt von Max von Waldbergs Studien zur deutschen Renaissance-Lyrik. Der Druck befand sich in Waldbergs Besitz, ebenso wie die lateinische Leidener Ausgabe, die Stubenberg als Vorlage gedient hatte, hier in einer Auflage von 1644 (beide Bücher liegen heute in der Universitätsbibliothek Heidelberg; Signaturen Waldberg 2189 RES und Waldberg 1456 RES). Das erklärt, warum sich in Waldbergs epochalem Buch Die Deutsche Renaissance-Lyrik von 1888 verschiedene Verweise auf Bacons Essays in der Übersetzung Stubenbergs und in der lateinischen Fassung des Leidener Drucks finden: Im Vorwort des Buchs wird ohne Nachweis und aus dem Kontext gerissen aus dem Essay „Von der Warheit“ zitiert, wenn Waldberg schreibt, für das 17. Jahrhundert sei „der Baconische Traum vom ‚Sabbat der Geister‘ noch lange nicht erfüllt“, womit gesagt sein soll, dass dieses Feld literaturgeschichtlich noch nicht ‚ausgeforscht‘ sei.Footnote 62 Waldberg nutzt hier also eine Formulierung aus Stubenbergs Bacon, um sich als bescheidener Arbeiter im philologischen Weinberg zu inszenieren. Als Beleg dafür, dass Dichter und Gelehrte des 17. Jahrhunderts sich die Natur als großen Garten vorstellten, zitiert Waldberg wörtlich eine Passage aus der Leidener Ausgabe der Sermones fideles, namentlich aus dem Essay Nr. 44 De hortis.Footnote 63 Im Zuge ausführlicherer Hinweise zur Rezeption Bacons in der deutschen Literatur zitiert er eine Strophe aus Birkens oben erwähntem Widmungsgedicht, das Stubenbergs Bacon zusammen mit weiteren Widmungsgedichten einleitet.Footnote 64 Schließlich gibt Waldberg eine allgemeine Einschätzung der literaturgeschichtlichen Bedeutung Stubenbergs: „[…] der Unglückselige, das ist J. W. von Stubenberg, hat seinen oft besungenen Ruhm als deutscher Schriftsteller einzig und allein den Übertragungen des Biondi, des Verulam, der Scudery, Pallavicini, Loredano u. a. zu danken.“Footnote 65 Diese Einschätzung ist der Sache nach richtig, aber aus ihr spricht eine zeittypische Geringschätzung übersetzerischer Leistungen. Waldberg äußert den zitierten Satz über Stubenberg im Rahmen eines Kapitels, in dem er aufweisen möchte, dass die Lyrik des 17. Jahrhunderts auf den Prinzipien Anlehnung und Entlehnung beruht. Damit erkennt Waldberg hellsichtig eine der wesentlichen Eigenarten dieser Literatur, aber er verknüpft diese Einsicht mit einer Wertung, die auf den Prinzipien der Geniepoetik und Autonomieästhetik basiert. Eine weniger wertend-voreingenommene Untersuchung von Stubenbergs Bacon zeigt, dass und inwiefern Übersetzen ein nicht-triviales Geschäft ist, das immer auch wesentlich von seinen zeitspezifischen Bedingungen und Kontexten mitbestimmt wird.
Notes
- 1.
Bacon (1990 [1620]), S. 1.
- 2.
Bacon (1989 [1623]).
- 3.
- 4.
Überblickshaft zur Geschichte des Essays Schärf (1999).
- 5.
Gibson (1950).
- 6.
- 7.
- 8.
Bacon (1654a).
- 9.
Bacon (1654b).
- 10.
Vgl. zur Rezeption Bacons im Deutschland des 17. Jahrhunderts allgemein Klein (2004).
- 11.
Bacon (1635).
- 12.
- 13.
Vgl. Birken (2007), T. 2, S. 831. Bacon selbst war 1626 verstorben.
- 14.
Michael Auwers etwa scheint in seinem biographischen Artikel zum ‘Unglückseligen’ nicht zu erkennen, dass die Getreuen Reden eine Übersetzung von Bacons Essays sind; er spricht unspezifisch von „Übersetzungen nlat. Traktate Francis Bacons“; Auwers (2011), S. 365.
- 15.
- 16.
Bacon (1638).
- 17.
Bacon (1641).
- 18.
- 19.
Bacon (1654b), Zuschrifft.
- 20.
Bircher (1968). Zu Stubenbergs Bacon-Übersetzungen finden sich in Birchers Studie nur wenige verstreute Hinweise.
- 21.
Auwers (2011).
- 22.
Claudius Sittig ist der Ansicht, dass gerade „in der literarischen Praxis des Adels in der Frühen Neuzeit […] die Tätigkeit des Übersetzens […] eine zentrale Bedeutung“ besessen habe; in diesem Zusammenhang spricht er von Diederich von dem Werder und Wilhelm von Stubenberg „als den bedeutendsten deutschen Übersetzern im 17. Jahrhundert“; Sittig (2018), S. 144.
- 23.
Vgl. Auwers (2011), S. 365.
- 24.
- 25.
Berns (1991).
- 26.
Berns (1991), S. 48.
- 27.
- 28.
Vgl. Gibson (1950), S. 76–77 (Nr. 87, 88, 90).
- 29.
- 30.
- 31.
Bacon (1963), S. 497–498.
- 32.
Bacon (1641), S. 272–275.
- 33.
Bacon (1654b), S. 363–369.
- 34.
Bacon (1963), S. 497.
- 35.
Bacon (1641), S. 273.
- 36.
Bacon (1654b), S. 365.
- 37.
Bacon (1963), S. 498.
- 38.
Bacon (1641), S. 273–274.
- 39.
Bacon (1654b), S. 366.
- 40.
Bacon (1963), S. 498.
- 41.
Bacon (1641), S. 275.
- 42.
Bacon (1654b), S. 369.
- 43.
Vgl. etwa Cave (1982).
- 44.
Bacon (1641), Titelblatt. Der Titel des englischen Originals lautet vollständig Essays or Counsels Civil and Moral.
- 45.
Bacon (1654b), Titelblatt.
- 46.
Als solche wird sie denn auch noch in den 1990er Jahren bibliographisch erfasst in McKenzie (1997), S. 36 (Nr. 134–135). Das Standardwerk zur Rezeption englischer Erbauungsliteratur im deutschen Kulturraum des 17. Jahrhunderts ist Sträter (1987); darin findet allerdings Stubenberg gar keine und Bacon nur einmal kursorische Erwähnung (Sträter, 1987, S. 109).
- 47.
Bacon (1654b), Zuschrifft.
- 48.
Namentlich handelt es sich um Gedichte von Veit Daniel von Colewald (Nr. 1), Johann Valentin Andreae (Nr. 2), Friedrich von Rotter und Kostenthal (Nr. 3), Wolf Helmhardt von Hohberg (Nr. 4), Georg Adam von Kufstein (Nr. 5), Christoph Dietrich von Schallenberg (Nr. 7), Georg Philipp Harsdörffer (Nr. 8) und Sigmund von Birken (ohne Zahlenangabe [Nr. 9]). Das nicht mit Autorname versehene Lobgedicht Nr. 6 wird nach Auskunft von Dünnhaupt (1993), S. 3996, Catharina Regina von Greiffenberg zugeschrieben. Es tritt auf als „Erklärung“ zweier vorgeschalteter allegorischer Kupferstiche (die übrigens in dem im Internet verfügbaren, über http://www.vd17.de zugänglichen Digitalisat der SLUB Dresdenfehlen) – eine literarische Praxis, die nicht schlecht zu Greiffenberg passt. Der Umstand, dass der Text als einziger in der Reihe der Widmungsgedichte ohne Autorname gegeben wird, passt auch entsprechend zeitgenössischen Gendernormen zu einer Frau als Autorin.
- 49.
Bacon (1654b), Lobgedicht Nr. 2.
- 50.
Andreae (2018 [1619]).
- 51.
Über ein etwaiges Abhängigkeitsverhältnis zwischen der deutschen und der englischen Utopie, die innerhalb eines Zeitraums weniger Jahre erschienen, ist bislang wenig Belastbares bekannt. Dass aber Bacons und Andreaes utopische Gedankenwelten einander verwandt waren, darauf deutet auch ein kurioser Umstand hin, auf den Minkowski (1937), S. 194–195, aufmerksam macht: In Arthur Edward Waites Real history of the Rosicrucians von 1887 (Waite, 1887, S. 348–386) findet sich die Edition einer Voyage to the Land of the Rosicrucians aus der Feder eines John Heydon, datiert auf das Jahr 1660. Dieser Text steht nach Minkowski „in engster Beziehung“ zu Bacons Utopie, ohne aber diese Quelle zu nennen, und transformiert die Erzählung in ein rosenkreuzerisches Umfeld mit rosenkreuzerischen Motiven. Die ersten Rosenkreuzerschriften der 1610er Jahre stammen aber ja aus Andreaes Tübinger Umfeld, und er war sehr wahrscheinlich maßgeblich an ihrer Entstehung beteiligt. Es ist nun aber so, dass Minkowski „in keiner der grossen deutschen und englischen Bibliotheken“ einen zeitgenössischen Druck von Heydons Werk ausmachen kann, so dass er die Frage in den Raum stellt, ob es sich bei dem Text nicht vielleicht um eine „Mystifikation“ des 19. Jahrhunderts handle. Die Suche nach einem zeitgenössischen Druck von Heydons – durch Waite überlieferter – Voyage konnte im gegebenen Rahmen nicht bedeutend vertieft werden; eine schnelle Recherche im Karlsruher virtuellen Katalog ergibt aber in der Tat, dass von Heydon keine monographische Schrift des angegebenen Titels in deutschen digitalen Katalogen verzeichnet ist; aus dem Jahr 1660 liegt von ihm lediglich eine Schrift des Titels Rosie Crucian Infallible Axiomata vor; sie enthält jedoch keine utopische Reisebeschreibung, sondern – ausweislich des Untertitels – Generall Rules to know all things past, present, and to come (Heydon, 1660).
- 52.
Andreae (2012), S. 164: „Illustris Baro Stubenberg, Johannes Wilhelmus, cui infelicis cognomen inter carpophoros, felicitate ingenii cum paucis comparandus, literis humanissimis ultro in amicitiam meam concessit magno posthac mihi in pretio habendus.“ Die im Haupttext zitierte Übersetzung Andreae (2012), S. 165. Vgl. bereits den Hinweis auf diese Stelle bei Bircher (1968), S. 95.
- 53.
Bacon (1654b), Lobgedicht (ohne Zahlenangabe [Nr. 9]): Uber den Stubenbergischen Verulam und Verulamischen Stubenberg.
- 54.
- 55.
Vgl. Birken (2007), T. 1.
- 56.
Birken (2007), T. 1, S. 158–159 (Nr. 7): J. W. v. Stubenberg an S. Betulius, 3. November 1651, hier S. 158.
- 57.
Birken (2007), T. 1, S. 174–175 (Nr. 15): J. W. v. Stubenberg an S. Betulius, 27. Juli 1653, hier S. 175.
- 58.
Birken (2007), T. 1, S. 188–189 (Nr. 24): J. W. v. Stubenberg an S. Betulius, 12. April 1654.
- 59.
Bacon (1654b), Lobgedicht Nr. 8: Poetischer Aufzug.
- 60.
Bacon (1654b), Lobgedichte Nr. 3 und (Nr. 10).
- 61.
Vgl. für den Überblick zur Fruchtbringenden Gesellschaft im Kontext literarischer Sozietäten des 17. Jahrhunderts Breuer (1999), S. 202–204.
- 62.
- 63.
Waldberg (1888), S. 126.
- 64.
Waldberg (1888), S. 184.
- 65.
Waldberg (1888), S. 208. Auf den in diesem Absatz referierten Zusammenhang und auf die relevanten Textstellen in Waldbergs Renaissancelyrik-Buch und in Stubenbergs Bacon hat mich Fiona Walter (Heidelberg) aufmerksam gemacht; ich danke ihr sehr herzlich dafür.
Literatur
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Andreae, Johann Valentin. 2018 (1619). Reipublicae Christianopolitanae descriptio. Bearbeitet, übersetzt und kommentiert von Frank Böhling und Wilhelm Schmidt-Biggemann. In J. V. Andreae, Gesammelte Schriften, Hrsg. Bernd Roling und Wilhelm Schmidt-Biggemann, Bd. 14, 86–429. Stuttgart-Bad Cannstatt: Frommann-Holzboog.
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Bacon, Francis. 1654b. Getreue Reden: die Sitten- Regiments- und Haußlehre betreffend/ Aus dem Lateinischen gedolmetscht/ durch ein Mitglied der Hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschafft den Unglückseligen [das ist Johann Wilhelm von Stubenberg]. Nürnberg: Michael Endter.
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Werle, D. (2024). Francis Bacon in Deutschland. Johann Wilhelm von Stubenbergs Übersetzung der Essays (1654). In: Wesche, J., Tschopp, S.S., Fromholzer, F. (eds) Neues von der Insel. Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit, vol 2. J.B. Metzler, Berlin, Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-662-66949-5_15
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