Kapitel 4 beschäftigt sich mit der Beschreibung von Wikipedia und deren Stellenwert im Social Web. Dafür werden zunächst in Abschnitt 4.1 Eigenschaften der Online-Enzyklopädie Wikipedia zusammenfassend vorgestellt, bevor in Abschnitt 4.2 der Begriff Social Web definiert wird. Im Anschluss daran wird erläutert, welchen Bestimmungen Interaktion in schriftlicher internetbasierter Kommunikation (IBK) unterliegt (Abschnitt 4.3). In Abschnitt 4.4 werden die Erkenntnisse resümiert.

1 Die Online-Enzyklopädie Wikipedia

Wikipedia, entstanden aus wiki, dem hawaiischen Wort für ‚schnell‘, und encyclopedia, dem englischen Wort für ‚Enzyklopädie‘Footnote 1, wurde 2001 von Jimmy Wales und Larry Sanger begründet. Wales und Sanger starteten Wikipedia unter Verwendung des Konzepts und der Technologie eines WikisFootnote 2, das 1995 von Ward Cunningham entwickelt worden war. Ursprünglich sollte Wikipedia das Projekt „Nupedia“Footnote 3, ein ausschließlich von Expert:innen bearbeitetes Online-Enzyklopädieprojekt, ergänzen, indem es zusätzliche Artikelentwürfe und Ideen für dieses Projekt lieferte. In der Praxis überholte Wikipedia jedoch Nupedia und entwickelte sich zur umfangreichsten Enzyklopädie im WWW (vgl. Van Dijk 2021, S. 17).

Im Ranking der zehn am häufigsten besuchten Webseiten des Internets belegt Wikipedia aktuell Platz 7Footnote 4:

7

wikipedia.org

Referenzmaterialien > Wörterbücher und Enzyklopädien

 = 

00:03:52

58.47 %

Die Seiten von Wikipedia werden knapp 5 Milliarden Mal pro Monat aufgerufenFootnote 5. Im Ranking der Wörterbücher und Enzyklopädien belegt sie Platz 1. Besucher:innen verweilen im Schnitt 4 Minuten auf den WP-Seiten und knapp 58 % der Besucher:innen verlassen nach dem Aufruf einer WP-Seite die Enzyklopädie wieder. Dies spiegelt deutlich die Eigenschaft einer Enzyklopädie wider: Sobald die für eine Person relevanten Informationen nachgeschlagen und erfasst wurden, wird die Seite verlassen.

Abb. 4.1
figure 1

Darstellungsvarianten der Größe der englischen WP-SprachversionFootnote

https://en.wikipedia.org/wiki/wikipedia:size_of_wikipedia.

Die englische WP-Sprachversion stellt dabei die umfangreichste WP-Sprachversion, gemessen an Artikelseiten, dar (vgl. Abb. 4.1). Wikipedia gibt es aktuell in 315 aktiven Sprachversionen.

Tabelle 4.1 Größe der WP-Sprachversionen DE, FR und ENFootnote

https://de.wikipedia.org/wiki/wikipedia:sprachen.

Tabelle 4.1 zeigt die Größenrelationen der untersuchten WP-Sprachversionen zueinander. Der heutige Umfang und das aktuelle Aussehen der Wikipedia lässt sich aus der in Abbildung 4.2 dargestellten Startversion der deutschen Sprachversion kaum erahnen.

Abb. 4.2
figure 2

Die am 15.03.2001 von Jimmy Wales gestartete deutsche Version der Wikipedia, damals noch unter der URL deutsche.wikipedia.comFootnote

Hier abgebildet ist die älteste Archivierung vom 05.04.2001. Anmerkungen und Markierungen stammen von der Autorin. Vgl. https://web.archive.org/web/20010405140050/http:/deutsche.wikipedia.com/. Die deutschsprachige Wikipedia startete unter der URL http://deutsche.wikipedia.com/. Die älteste im Internet Archive zur Verfügung stehende Archivierung der Startseite der deutschsprachigen Wikipedia, so wie wir sie heute kennen, stammt vom 19.07.2002, vgl. https://web.archive.org/web/20020719092535/http://www.wikipedia.de:80/.

Abbildung 4.2 zeigt die am 15.03.2001 gestartete deutsche Sprachversion der Wikipedia. Dass es sich bei Wikipedia um ein Diskussionsforum handelt, wird in der Abbildung 4.2 deutlich sichtbar. Diese Archivierung zeigt den Stand der deutschen WP von Anfang April 2001, also gut drei Wochen, nachdem Jimmy Wales sie ins Leben gerufen hat. Abbildung 4.2 zeigt den Diskussionsstand vom 30.03.2001. Im ersten Beitrag wird darauf verwiesen, dass sich die Autor:innen zunächst nur auf der Startseite austauschen sollen, da noch keine weiteren Unterseiten angelegt sind. Auch äußert sich Wales im Initialbeitrag auf der Startseite zu seinen fehlenden Deutschkenntnissen. Die dargestellten Beiträge sind in Englisch, bis auf die von ihm eingefügte deutsche Übersetzung seines Initialbeitrags.

Die erste Diskussion, die abgebildet ist, dreht sich um die Domain, die der deutschen Wikipedia-Sprachversion zugeteilt werden soll. Wales fragt, ob es „deutsch“ oder „deutsche“ heißen müsste. Daraufhin wird erörtert, dass es davon abhängt, welches Genus Wikipedia trägt. Es wird sich schnell auf Femininum geeinigt. Weiterhin wird „www.de.wikipedia.org“ vorgeschlagen, da dies auch bei anderen Webseiten so geläufig ist, dass die Sprachversion im Domain-Namen vorgeschaltet wird und man darüber hinaus auch von grammatikalischen Schwierigkeiten verschont bleibt. Setzt man die in Abbildung 4.2 dargestellte Hauptseite/Startseite in Relation zum heutigen Aufbau der Wikipedia, ergibt sich die Darstellung einer Diskussionsseite.

Die Herausstellung der Wikipedia als Gemeinschaftsprojekt, das jede/r bearbeiten kann, wird an der Rahmung der dargestellten Seite deutlich. Sowohl zu Beginn der Seite als auch am Ende findet sich derselbe Slogan: „It’s a free, community project“.

Wikipedia wird getragen von ehrenamtlichen Beitragenden. Die einzelnen Sprachversionen verfügen über ein umfangreiches Regelsystem in Bezug auf den Umgang miteinander. Des Weiteren gibt es Hierarchien unter den Beitragenden, beispielsweise Beitragende, die gleichzeitig Administrator:innen sind und somit mehr Bestimmungs- und Verwaltungsrechte in Wikipedia ausüben können. Die Übernahme von solchen spezifischen Rollen innerhalb der WP wird durch ein komplexes Wahlsystem untermauert. Pscheida (2010) fasst zusammen, dass sich hinter Wikipedia „ein differenziertes System aus technischen, rechtlichen und sogar inhaltlichen Strukturen, Benutzergruppen und Rollenmustern sowie Regeln und Konventionen des Handelns herauskristallisiert hat. Sie alle sind innerhalb der Wikipedia selbst dokumentiert und geben dem interessierten Betrachter rasch Auskunft“ (Pscheida 2010, S. 348).

Die Wikipedia-Gemeinschaft verfolgt ein gemeinsames Ziel: die Produktion und Ausarbeitung der Artikelseiten und somit der Ausbau des gesamten Projekts an sich. Die Interaktion der Beitragenden untereinander ist somit zweckorientiert. Ridell (2012) bezeichnet solch gemeinschaftliche Interaktionen als themenbezogen. Grundsätzlich ist die Interaktion, die Gemeinschaften ausmacht, auf einen gruppeninternen Konsens ausgerichtet, obwohl es auch zu vorübergehenden Meinungsverschiedenheiten kommen kann (vgl. Ridell 2012, S. 24). Das Erstellen von Inhalt innerhalb eines kollaborativen Gemeinschaftsprojekts durchläuft idealtypisch laut Ridell (2012) drei Phasen: In der ersten wird der Inhalt der Wikipedia-Seite überprüft. Wenn jemandem bei dieser Tätigkeit ein problematischer Punkt auffällt, kann dies auf der Diskussionsseite bekannt gemacht werden. Dies ist der Einstieg in die zweite Phase, die aus einer Interaktion zwischen den Beitragenden besteht, die sich wechselseitig über das erkannte Problem austauschen. Die Lösung des Problems wird aktiv ausgehandelt. Die Akzeptanz einer Lösung leitet die dritte Phase ein, die Revision gemäß der gemeinschaftlich entwickelten Lösung (vgl. Ridell 2012, S. 24).

Dem Projekt können jederzeit weitere Personen beitreten, sodass sich die Rollen der Produzent:innen und Rezipient:innen in Wikipedia überschneiden können. Die Rolle, die einzelne Beitragenden dabei im Hinblick auf die gemeinschaftliche Textproduktion spielen, wurde umfangreich untersucht. Ridell (2012) beschreibt den Rollenwechsel folgendermaßen: Ausgangslage ist die Situation, dass Wikipedia-Inhalt konsultiert wird, wenn Informationen zu einem bestimmten Thema nachgeschlagen werden sollen. Bei der Aktion des Nachschlagens fällt den Rezipierenden auf, dass der vorliegende Artikel unvollständig ist oder ihm Informationen fehlen, was teilweise direkt durch bestimmte Textvorlagen in den Artikeln selbst gekennzeichnet ist. Fühlen sich die Rezipierenden nun kompetent genug, können sie die vorhandenen Lücken in den Artikelseiten schließen. Durch Ausführung dieser Handlung vollzieht sich der Rollenwechsel von Rezipent:in zu Produzent:in (vgl. Ridell 2012, S. 23).

Abb. 4.3
figure 3

(Quelle: Van Dijk 2021, S. 31)

Einteilung der Content-Erstellung nach Produktion und Distribution.

Van Dijk baut auf Ridells (2012) Erläuterungen auf und ordnet Wikipedia der Zeile „soziale Medien“ – „Produktion: Teilnehmer: user-generated content“ – „Distribution: geht von den Teilnehmern aus: many-to-many“ zu (vgl. Abb. 4.3, Van Dijk 2021, S. 31). Van Dijk (2021) hält fest:

Anders sieht es wiederum bei den eigentlichen Sozialen Medien aus, wie YouTube, der Wikipedia oder einem traditionellen Online-Forum. Dort dürfen die Teilnehmer eine neue Seite erstellen, wodurch es viel wahrscheinlicher wird, dass Teilnehmer sich in ihren Beiträgen auf andere Teilnehmer beziehen. Dies fördert eine Gemeinschaftsbildung. Sofern es in so einem Medium überhaupt nennenswerten redaktionellen Inhalt gibt, reichert der UGCFootnote 9 ihn nicht nur an: UGC ist der Schwerpunkt.

Die Kommunikation in WP verläuft horizontal und wechselseitig zwischen Gleichgestellten („many-to-many“). Diese Kommunikation findet in dafür angelegten Namensräumen statt. Jede WP-Artikelseite ist mit weiteren Namensräumen verknüpft, vgl. Abb. 4.4.

Abb. 4.4
figure 4

(Quelle: Gredel et al. 2018, S. 482)

Aufbau von Wikipedia.

Wikipedia-Seiten sind multimodale HypertexteFootnote 10. Abbildung 4.4 zeigt die Verknüpfung des Namensraums der Artikelseiten (a), der im Zentrum des WP-Projekts steht, mit allen zugehörigen weiteren verknüpften Seiten. Der Artikelseite ist beispielsweise der Namensraum der Diskussionsseiten (b) zugeordnet. Artikel- sowie Diskussionsseiten verfügen über Versionsgeschichten (c), aus denen sich seit Erstellung der Seite jede einzelne durchgeführte Änderung rekonstruieren lässt. Sprachvergleichend ist jede Artikelseite mit einem sogenannten Interwiki-Link (Interlanguage-Link) ausgestattet, um die einzelnen Sprachversionen miteinander zu verlinken. Der deutsche Artikel „FlugzeugFootnote 11“ linkt über den Reiter „In anderen Sprachen“ zum Artikel „Airplane“ im Englischen sowie „Avion“ im Französischen und in weitere 154 Sprachversionen. Weitere interne Links können sich auch in den Artikeln selbst finden. Im Artikel „Flugzeug“ wird beispielsweise das Wort „Luftverkehr“ erwähnt, welches wiederum auf den Artikel „Luftverkehr“ linkt. Die Artikelseiten enthalten auch Links zu externen Quellen (d), z. B. zu zitierten Literaturquellen. In den Artikeln selbst können auch Bilder und andere multimodale Elemente eingebunden werden, die über die Datenbank des Schwesterprojekts „Wikimedia Commons“ zur Verfügung gestellt werden (vgl. Gredel et al. 2018, S. 481 f.). Aktuell sind dort über 87 Millionen Mediendateien verfügbarFootnote 12. Wikipedia wird aufgrund ihrer Relevanz und Reichweite intensiv erforscht. Die Seite „Wikipedistik“Footnote 13 im deutschen Wikipedia-Metabereich bietet einen Überblick über nationale und internationale Forschungsaktivitäten und Forschungsergebnisse zu Wikipedia (vgl. Gredel 2020). Dort sind vielfältige Themengebiete, Wissensinteressen und methodische Herangehensweisen vertreten (vgl. Gredel et al. 2018, S. 480). Die vorliegende Arbeit lässt sich ebenfalls der linguistischen Wikipedistik zuordnen.

Um OKAY in schriftlicher Interaktion zu untersuchen, werden in der vorliegenden Arbeit die Namensräume der WP-Diskussionsseiten sprachvergleichend in Deutsch, Englisch und Französisch untersucht. Neben umfangreichen Regelwerken, die den Aufbau von Artikelseiten beschreiben oder bei der Textproduktion den Beitragenden unterstützend zur Verfügung stehen, gibt es auch eine Vielzahl an Vorlagen in Wikipedia, die von den Beitragenden genutzt werden können. Bevor auf diese im Detail eingegangen wird, soll zunächst der Aufbau eines WP-Diskussionsbeitrags bzw. einer WP-Diskussionsseite erläutert werden.

Abb. 4.5
figure 5

Schematische Darstellung eines WP-Threads

Abbildung 4.5 zeigt einen prototypischen Thread. Mit Threads als Makrostruktur werden die auf einer Diskussionsseite vorhandenen Beiträge, auch Postings genannt (z. B. P1 in der Abbildung), thematisch strukturiert und gruppiert (vgl. Beißwenger et al. 2012). Eine WP-Diskussionsseite kann aus einem oder mehreren Threads bestehen. Jeder Thread wird mit einer Überschrift versehen, die den Inhalt der Postings widerspiegelt. Auch für die Strukturierung und den Aufbau einer Diskussionsseite gibt es Hinweise und Vorschläge, wie diese zu gestalten istFootnote 14.

Die einzelnen Beiträge sind in ihrer Mikrostruktur durch beispielsweise sprachliche Elemente internetbasierter Kommunikation gekennzeichnet, wie Emoticons, Verlinkungen, Adressierungen mit „@“, Vorlagen und weiteren interaktiven Einheiten, wie OKAY, vgl. Abb. 4.6.

Abb. 4.6
figure 6

Schematische Darstellung eines WP-Beitrags

Die Signatur, die angibt, wer wann den Beitrag verfasst hat, soll von den Beitragenden selbst eingefügt werden. Seit einigen Jahren sind unterstützend in dieser Gelegenheit auch Bots aktiv. Prototypisch findet sich in der Signatur eine Verlinkung zum Benutzerkonto der Beitragenden, z. B. „–MarkMueller“. Es kann aber auch sein, dass kein Konto angelegt wurde; dann wird die IP-Adresse abgespeichert, die eine Änderung durchgeführt hat, z. B. „−212.65.1.102“, wie in Abb. 4.7, erneut durch die Beitragenden selbst oder durch Bots.

Die in den Abbildungen 4.6 und 4.7 dargestellten Prototypen von Beiträgen sind kurz und übersichtlich. Um anderen Diskussionsteilnehmenden das Nachverfolgen von langen und umfangreichen Threads inklusive ausführlichen Beiträgen zu erleichtern, sind die Beitragenden angehalten, ihre Beiträge einzurücken, vgl. Abb. 4.6, Doppelpfeile. Das Einrücken verdeutlicht, welcher Beitrag sich auf welchen beziehen soll. In prototypischer Form würde sich in Abbildung 4.6 Post P4 auf Post P3, dieser wiederum auf P2 und dieser wiederum auf P1 beziehen. Die Strukturierung der einzelnen Beiträge und das Abbilden einer logischen Struktur wird somit den Beitragenden überlassenFootnote 15.

Im November 2021 wurde eine Neuerung in Wikipedia eingeführt, die Beitragenden dahingehend unterstützen soll, vgl. Abb. 4.7.

Abb. 4.7
figure 7

WP-DB mit [Beantworten]-ButtonFootnote

https://de.wikipedia.org/wiki/diskussion:mannheim.

Der Beantworten-Button, siehe Ende des dargestellten Beitrags in Abbildung 4.7, wird automatisch hinter jedem Beitrag eingefügt. Dies gilt sowohl für zukünftige Beiträge als auch rückwirkend für alle geposteten Beiträge. Wenn die Beitragenden innerhalb von Diskussionsseiten auf diesen Button klicken, wird ihr Post automatisch an die richtige Stelle eingerückt.

In Wikipedia wird dieses Hilfsmittel umschrieben als „ein […] eingeführtes Bearbeitungswerkzeug für die gezielte Antwort auf einzelne Beiträge in Diskussionen“Footnote 17. Interessant an diesem neuen Feature ist, dass es auf der Wikipedia-MetaseiteFootnote 18, die erläutert, wie man auf einen Diskussionsbeitrag antworten soll, nicht explizit hervorgehoben wird, dass diese Art des Antwortens bevorzugt werden sollte. Es wird weiterhin darauf verwiesen, dass Einrückungen durch „:“, wie in der Wiki-SyntaxFootnote 19 üblich, eigenständig hinzugefügt werden sollen. Im Verlauf des Textes wird dann erwähnt, dass der Beantworten-Button in erster Linie Neubeitragenden helfen soll, sich auf den Seiten zurechtzufindenFootnote 20. In den englischen und französischen Sprachversionen ist dieses neue Feature ebenfalls vorhanden:

figure b

Beiträge in Wikipedia können auch in Kombination mit Vorlagen auftreten. Dies ist auch für OKAY der Fall. Wie in Abbildung 4.8 und 4.9 dargestellt, ist OKAY sowohl im Deutschen als auch im Französischen als Vorlage zum Einfügen auf der Diskussionsseite verfügbar.

Abb. 4.8
figure 8

Übersicht mit Vorlagen in deutscher WP-SprachversionFootnote

https://de.wikipedia.org/wiki/Vorlage:Ok.

In der deutschen WP, vgl. Abb. 4.8, wird es ähnlich zu „erledigt“ dargestellt. Beide Vorlagen enthalten einen „Abhaken-Pfeil“Footnote 22. Vorlagen werden durch doppelte geschweifte Klammern „{{…}}“ angezeigt und so mit dem jeweiligen Wort direkt in den Wikitext eingefügt.

Abb. 4.9
figure 9

Übersicht mit Vorlagen in französischer WP-SprachversionFootnote

https://fr.wikipedia.org/wiki/Mod%C3%A8le:OK.

In der französischen WP wird OKAY in einer Zeile mit den Vorlagen zu „oui“ und „d’accord“ vorgestellt und ebenso von einem Abhaken-Pfeil begleitet. Vorlagen dieser Art stellen sich als nützliche Hilfsmittel heraus, um beispielsweise bei den Diskussionen zur Löschung einer Artikelseite schnell und effektiv abstimmen und die eigene Meinung darlegen zu könnenFootnote 24.

Abb. 4.10
figure 10

Übersicht mit Vorlagen in englischer WP-SprachversionFootnote

https://en.wikipedia.org/wiki/template:okay.

Im Englischen ist OKAY nicht wie bei der deutschen und französischen WP innerhalb der Vorlagen für den Status von Diskussionen aufgeführt, sondern bei den „template-partial“-Vorlagen (vgl. Abb. 4.10). Die dortige Vorlage {{okay}} färbt zum einen die Zelle einer Tabelle in einem Gelbton ein, zum anderen wird in der Zelle selbst das Wort „Neutral“ eingefügt. Es ist überraschend, dass OKAY als Vorlage im Englischen ausschließlich in dieser Form auftritt. Dies zeigt aber auch, dass an einem einfachen Vergleich, wie dem der Vorlagen zu OKAY, bereits deutlich wird, dass sich innerhalb der WP-Sprachversionen Praktiken und Richtlinien herausgebildet haben, die so nicht in jeder WP-Sprachversion auftreten.

2 Social Web

Unter Social WebFootnote 26 fassen Ebersbach et al. (2016) „spezifische Formen sozialen Verhaltens [im Netz] mit Zusammenschlüssen und Abgrenzungen“ zusammen (Ebersbach et al. 2016, S. 11).

In der Entwicklung des Internets vom exklusiven Medium etablierter Personen und Institutionen hin zum wachsenden Anteil der von privaten Nutzer:innen erstellten Inhalte, dem user-generated content, spielen Plattformen wie Wikipedia als „offenes Kommunikations- und Dokumentationsmedium“ eine tragende Rolle (Ebersbach et al. 2016, S. 22). Wikis, und damit auch Wikipedia, sind eine von vielen Social-Web-Anwendungen. Die kollaborativen Schreibprozesse innerhalb von Wikipedia verorten Ebersbach et al. (2016) in dem von ihnen dargestellten Dreiecksmodell innerhalb der Eckpunkte „Kollaboration“, „Information“ und „Beziehungspflege“ folgendermaßen:

Abb. 4.11
figure 11

„Dreiecksmodell“ nach Ebersbach et al. 2016, S. 37, Markierung der Autorin

Abbildung 4.11 zeigt das nach Ebersbach et al. (2016) dargestellte Dreiecksmodell, das „Kommunikation“ als „Aktion der Übermittlung“ allen aufgeführten Social-Web-Anwendungen zuordnet (vgl. Ebersbach et al. 2016, S. 36).

Wikis sind dabei dem Pol der Kooperation am naheliegendsten zugeordnet (vgl. Kreismarkierung). Das liegt daran, dass der Plattform kooperative Textproduktion inhärent ist. Im Fokus des kollaborativen Schreibprozesses steht die Arbeit an den Artikeln, die wiederum die Enzyklopädie Wikipedia an sich ausbaut. Ebersbach et al. (2016) sprechen von einem „Vertrauensvorschuss“, der bei Wiki-Projekten Grundlage der Kooperation ist. Jede:r hat das Recht, eine Bearbeitung durchzuführen.

Nur wenn kollaborative Zusammenarbeit funktioniert, kann auch ein Wiki funktionieren. Kollaboration ist essenziell für das Fortbestehen von Wikis. In Wikipedia als genuinem many-to-many-Medium rücken die einzelnen Beitragenden in den Hintergrund (Ebersbach et al. 2016, S. 39). Gleichzeitig ist die Einstiegshürde, selbst aktiv am Projekt teilzunehmen, gering. Die Bereitschaft, an der Gestaltung von Artikelseiten beizutragen, stellt den Ausgangspunkt dar. Ebersbach et al. (2016) fassen dies als „Wiki-Effekt“ zusammen, dessen „Ergebnis ein sich selbst tragender Gruppenprozess mit einer hohen Selbstmobilisierung der Nutzer [ist]“ (Ebersbach et al. 2016, S. 51).

3 Interaktion in internetbasierter Kommunikation (IBK)

Die vorliegende Arbeit lässt sich in den Gegenstandsbereich der internetbasierten Kommunikation (IBK) einordnen. Darunter fallen nach Beißwenger (2016)

solche Kommunikationstechnologien und die durch sie ermöglichten Kommunikationsformen, die (a) über die technologische Infrastruktur des Internets bereitgestellt und vermittelt werden, und in denen (b) sprachliche Äußerungen als Beiträge zu dialogischer, sequenziell organisierter sozialer Interaktion konzipiert, realisiert und interpretiert werden (Beißwenger 2016, S. 279).

Dieser Gegenstand wird in der Forschungsliteratur unterschiedlich konzeptualisiert und insbesondere im Rahmen der SMS-Kommunikation ausgiebig diskutiert, vgl. Herring/Androutsopoulos (2015), Imo (2017). Herring (1996) führt den weit verbreiteten Begriff „computer-mediated communication (CMC)“ ein und definiert ihn als „communication that takes place between human beings via the instrumentality of computers“ (Herring 1996, S. 1). In Bezug auf die Eigenschaften von Sprache stellt sie fest: „it is typed, and hence like writing, but exchanges are often rapid and informal, and hence more like spoken conversation. Moreover, the computer-mediated register has unique features of its own, such as the use of ‚emoticons‘ […]“ (Herring 1996, S. 3). Die in der vorliegenden Arbeit analysierten WP-Beiträge können anhand ihrer Charakteristika sowohl dem CMC- als auch dem IBK-Begriff zugeordnet werden. Ich verwende den deutschen IBK-Begriff.

IBK-Kommunikationsformen wie die hier untersuchten WP-Diskussionsbeiträge unterliegen besonderen Bedingungen. Es gibt weder einen Sprecherwechsel noch das damit verbundene Turn-Taking, wie aus dem Gespräch bekannt (vgl. Storrer 2001, S. 454)Footnote 27. Beißwenger (2016) fügt hinzu, dass „neben den stark unterschiedlichen Zeitlichkeitsbedingungen von Gesprächen und IBK […] Letztere auch nicht das für Gespräche wichtige Konzept des Rederechts [enthält]“ (Beißwenger 2016, S. 286). Insbesondere auf WP-Diskussionsseiten können die Beitragenden zu jedem Zeitpunkt einen Post verfassen und an die anderen Diskussionsteilnehmenden richten.

In IBK-Kommunikationsformen mussten sich daher andere Regelsysteme, Konventionen und Praktiken entwickeln, um eine erfolgreiche Kommunikation zu gewährleisten (vgl. Beißwenger 2005; Beißwenger 2007). Dazu zählen nach Beißwenger (2016), dass einzelne Beiträge im Posting-Format realisiert werden und dass der Verlauf der schriftlichen Kommunikation an einem Kommunikationsprotokoll, das am Bildschirm angezeigt wird, festgehalten wird (vgl. Beißwenger 2016, S. 282). Dieses Kommunikationsprotokoll, in Form einer Thread-Struktur auf den WP-Diskussionsseiten, dient als Grundlage für alle an der Diskussion beteiligten Beitragenden. Hier wird erneut der Unterschied zu mündlicher Interaktion deutlich. Prozessualität findet in IBK-Beiträgen „nur in der zeitlichen Abfolge und linearen Anordnung der Beiträge im Bildschirmprotokoll statt, nicht aber als unmittelbar zwischen den Beteiligten emergierendes Interaktionsgeschehen“ (Beißwenger 2016, S. 286). In diesem Zusammenhang unterscheiden sich IBK-Kommunikationsformen auch untereinander, z. B. Chat-BeiträgeFootnote 28 und WP-Diskussionsbeiträge.

Auch wenn es für Letztere Konventionen und Richtlinien gibt, so ist es letztlich den Beitragenden selbst überlassen, an welcher Stelle sie in einem Thread oder auch innerhalb einer ganzen Diskussionsseite ihren Post einfügen. Unabhängig davon bearbeiten die Beitragenden immer die komplette Diskussionsseite. Wenn ein Post hinzugefügt werden soll, klicken sie auf „Quelltext bearbeiten“Footnote 29; es öffnet sich der Wikitext-Editor und ihnen wird der komplette Wikitext einer ganzen Diskussionsseite angezeigt. Nachdem sie ihren Beitrag hinzugefügt haben und auf Speichern klicken, wird die komplette Diskussionsseite aktualisiert. Das Erstellen dieser neuen Diskussionsseite wird auch in der Versionsgeschichte festgehalten.

Die beschriebenen Besonderheiten von IBK-Kommunikationsformen führen dazu, dass deren Beschreibung sowie die IBK-Forschung an sich als „ein DrittesFootnote 30 neben Interaktion und Text“ betrachtet werden sollte, „das aber in den Traditionen von Interaktion und Text verwurzelt ist“ (Beißwenger 2020, S. 295/313).

Um OKAY in schriftlicher Interaktion zu untersuchen, werden in der vorliegenden Arbeit die Namensräume der WP-Diskussionsseiten sprachvergleichend in Deutsch, Englisch und Französisch erforscht. Wikipedia vereint dabei sowohl text- als auch interaktionsorientierte Schriftlichkeit (vgl. Storrer 2013; Storrer 2018; Storrer 2019), die sich durch die in Wikipedia enthaltenen unterschiedlichen Namensräume ergänzend zueinander verhalten. Die monologisch aufgebauten, textorientierten Artikelseiten werden in den korpusgestützten Untersuchungen nicht analysiert. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie über eine aktuelle Kommunikationssituation hinaus Bestand haben sollen. Sie werden oft mehrfach überarbeitet, was in den Versionsgeschichten sichtbar wird, und sollen für Außenstehende verständlich sein, auch wenn diese nicht an der Produktion des Artikeltextes aktiv mitgewirkt haben (vgl. Storrer 2018, S. 227 f.).

WP-Diskussionsseiten hingegen spiegeln Produkte interaktionsorientierter Schriftlichkeit wider (vgl. Storrer 2018). Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sie primär für die an der Diskussion beteiligten Beitragenden verständlich sein sollen. Ausformulierte, nach grammatikalischen Regeln mehrfach redigierte WP-Beiträge spielen auf den Diskussionsseiten, bei denen oft schnell und unmittelbar Änderungen der Artikelseiten besprochen und durchgeführt werden, eine untergeordnete Rolle. Storrer (2018) führt weiter aus: „Dafür spielen Aspekte der Beziehungsgestaltung und der gemeinsamen Bearbeitung einer Kommunikationsaufgabe bei der Versprachlichung eine zentrale Rolle“ (Storrer 2018, S. 228). Der Ausbau und die Erweiterung von Artikelseiten in Wikipedia sind gemeinsames Ziel aller Beteiligten, dessen erfolgreiche Ausführung vom sozialen Miteinander abhängt. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass sich in den Beiträgen viele Merkmale finden, die auch in alltäglichen Gesprächen vorkommen, z. B. Partikeln, Interjektionen, Abkürzungen, Verschmelzungen oder elliptische Konstruktionen. Darüber hinaus finden sich folgende Merkmale:

Das interaktionsorientierte Schreiben in der internetbasierten Kommunikation teilt mit dem mündlichen Gespräch drei Merkmale: 1. den Wechsel der Kommunikationsrollen in eingespielten Sprachhandlungsmustern, 2. den Bezug auf die laufende Interaktion und 3. die gemeinsame Konstitution von Kommunikationsverläufen (Storrer 2017a, S. 110).

Im gleichen Zuge gehen damit aber auch Unterschiede zwischen Gesprächen und schriftlichen WP-Diskussionen einher: Durch das Fehlen von Intonation sowie Mimik und Gestik generell müssen Interpretationen aus dem Kontext erschlossen werden, was bei polyfunktionalen interaktiven Einheiten wie OKAY nicht immer einwandfrei gelingt. Der Einsatz von Emoticons und anderen Aktionswörtern ist dabei ein hilfreiches Mittel für die Beitragenden, die Interpretierbarkeit ihrer Beiträge für Außenstehende zu erleichtern. Beim Verfassen des Beitrags ist für die Beitragenden ebenfalls nicht antizipierbar, ob und wenn ja, wer auf den von ihnen geposteten Post wann reagieren wird. Dabei muss auch festgehalten werden, dass die Art und Weise, wie die Beitragenden ihre Beiträge ausformulieren, stark variiert. Es gibt keine festen Vorgaben, vielmehr handelt es sich um eine Skala, die von den Beitragenden nach beiden Seiten, d. h. durch mehr oder weniger elaboriertes Schreiben, ausgereizt werden kann (vgl. Storrer 2018, S. 231).

Interaktionale Kommunikation auf WP-Diskussionsseiten zeichnet sich durch ein „hohes Maß an Situationsgebundenheit sowie eine kollaborativ erzeugte sequenzielle Struktur“ aus (Imo 2017, S. 81). Ersteres beschreibt, „dass die Bedeutungen und Situationsdefinitionen von allen an der Interaktion Beteiligten fortlaufend (re)definiert werden“, Letzteres beinhaltet ein „ständiges lokal ausgehandeltes Anpassen der Äußerungen nach den Erfordernissen der Vorgängeräußerungen“ (Imo 2017, S. 81).

4 Zusammenfassung

In Abschnitt 4.1 wurde dargelegt, wie die größte Online-Enzyklopädie Wikipedia aufgebaut ist und welche Entwicklungen und Erweiterungen sie seit ihrer Gründung im Jahr 2001 erfahren hat. Es wurde gezeigt, dass sich die Rollen der Produzent:innen bzw. Rezipient:innen in Wikipedia überschneiden können. Wikipedia als soziales Medium besteht aus user-generated-content in many-to-many-Verteilung. Die Kommunikation in Wikipedia verläuft horizontal wechselseitig zwischen Gleichgestellten. Anhand von Gredel et al. (2018) wurde die Komplexität der Namensräume aufgezeigt. Darüber hinaus wurde dargestellt, wie eine prototypische Diskussionsseite strukturiert ist: zunächst als Thread in Makrostruktur, anschließend als einzelner WP-Post in Mikrostruktur. Ferner wurden neue Features und Hilfsmittel von Wikipedia vorgestellt. Neben der Größe der einzelnen Sprachversionen war anhand der Ausarbeitung zu den in WP vorhandenen Vorlagen auch zu erkennen, dass die einzelnen Wikipedias keine Eins-zu-eins-Übersetzung voneinander sind, sondern dass jede Wikipedia eigenen Sprach- und Kulturspezifika unterliegtFootnote 31.

Daran anschließend wurde Wikipedia aus Perspektive einer Social-Web-Anwendung beschrieben. Die bis dato beschriebenen „facts and figures“ über Wikipedia wurden um die Dimension der sozialen Interaktion erweitert. Dargestellt wurde die tragende Rolle von Wikis in der Entwicklung des Internets als exklusives Medium Einzelner hin zum Medium der Massen. Abschnitt 4.2 schließt mit der Erläuterung der kooperativen Textproduktion in Wikis.

In Abschnitt 4.3 wurde Wikipedia in den Gegenstandsbereich der IBK eingeordnet. Dort wurden Praktiken für die schriftliche internetbasierte Interaktion herausgestellt, die sich auf die untersuchten WP-Belege dieser Arbeit übertragen lassen. Dazu gehört beispielsweise die Realisierung von Beiträgen im Posting-Format sowie deren Darstellung innerhalb eines Kommunikationsprotokolls am Bildschirm. Außerdem wurden die Eigenschaften des interaktionsorientierten Schreibens in Bezug auf Wikipedia-Beiträge herausgestellt.