Zusammenfassung
Mit der Identifikation und Beschreibung „molekularer Uhren“ (posttranslationale Proteinmodifikationen, DNA-Methylierung) eröffnen sich neue Möglichkeiten zur Entwicklung von Verfahren zur postmortalen Lebensaltersschätzung. Bislang werden diese Ansätze aber nur unabhängig voneinander eingesetzt. Ihre Verknüpfung verspricht eine bessere Erfassung hochkomplexer Alterungsprozesse und damit die Möglichkeit zur Entwicklung optimierter Verfahren zur Altersschätzung für verschiedenste Szenarien der forensischen Praxis.
In Vorbereitung umfangreicher Untersuchungen zur Überprüfung dieser Hypothese wurden verschiedene molekulare Uhren (Akkumulation von D‑Asparaginsäure, Akkumulation von Pentosidin und DNA-Methylierungsmarker [RPA2, ZYG11A, F5, HOXC4, NKIRAS2, TRIM59, ELOVL2, DDO, KLF14 und PDE4C]) in 4 fäulnisresistenten Geweben (Knochen, Sehne, Bandscheibe, Epiglottis) von 15 Individuen untersucht.
In allen untersuchten Geweben fand sich eine starke Korrelation beider Proteinmarker sowie jeweils mehrerer DNA-Methylierungsmarker mit dem Lebensalter. Dabei zeigten die untersuchten Parameter gewebsspezifische Veränderungen mit dem Alter.
Die Ergebnisse der Pilotstudie belegen das Potenzial der Verknüpfung molekularer Verfahren für die postmortale Altersschätzung. Weitere Untersuchungen werden zeigen, wie genau postmortale Altersschätzungen sein können, wenn Altersinformationen aus posttranslationalen Proteinmodifikationen und DNA-Methylierung aus verschiedenen Geweben in multivariaten Modellen verknüpft werden.
Abstract
The identification and description of “molecular clocks” (posttranslational protein modifications, DNA methylation) offer new possibilities for the development of methods for postmortem age estimation; however, so far these approaches have only been used independently. Their combination promises a better recording of highly complex aging processes and thus the possibility of developing optimized age estimation procedures for a wide variety of scenarios in forensic practice.
In preparation for large-scale research to test this hypothesis, different molecular clocks (accumulation of D‑aspartic acid, accumulation of pentosidine and the DNA methylation markers RPA2, ZYG11A, F5, HOXC4, NKIRAS2, TRIM59, ELOVL2, DDO, KLF14 and PDE4C) were examined in 4 decay-resistant tissues (bone, tendon, intervertebral disc, epiglottis) from 15 individuals.
In all tissues examined both protein markers as well as several DNA methylation markers showed a strong correlation with age. Thereby, the examined parameters showed tissue-specific changes with age.
The results of the pilot study demonstrate the potential of combining molecular methods for postmortem age estimation. Further studies will show how accurate postmortem age estimates might be if age information from posttranslational protein modifications and DNA methylation from different tissues are combined in multivariate models.
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Einleitung
Molekulare Verfahren zur postmortalen Lebensaltersschätzung
Die postmortale Schätzung des Lebensalters einer nichtidentifizierten Leiche kann insbesondere bei der Klärung von Identitäten, Vermisstenfällen sowie Tötungsdelikten eine wichtige und auch herausfordernde Aufgabe sein (eindrucksvolle Darstellung eines authentischen Falls aktuell bei Herzog [1]). Mit der Identifikation und Beschreibung „molekularer Uhren“ (posttranslationale Proteinmodifikationen, DNA-Methylierung [DNAm]) eröffneten sich neue Möglichkeiten zur Entwicklung von Verfahren zur Lebensaltersschätzung auch im Kontext fortgeschrittener postmortaler Veränderungen oder spezieller postmortaler Situationen (z. B. Leichenteile), die die Anwendbarkeit von Methoden sehr einschränken können. Als „molekulare Uhren“ werden Veränderungen auf molekularer Ebene bezeichnet, die eng mit dem Lebensalter korrelieren. Solche Veränderungen wurden insbesondere für Proteine und DNA beschrieben (Übersichten z. B. [2,3,4]); vielversprechend sind insbesondere die Akkumulation von D‑Asparaginsäure (D-Asp) und von Pentosidin (Pen) in permanenten Proteinen sowie die DNAm an Cytosin-Phosphat-Guanin(CpG)-Positionen im Genom [5,6,7,8,9].
Akkumulation von D-Asparaginsäure
Die Akkumulation von D‑Asp mit zunehmendem Lebensalter ist das Ergebnis einer nichtenzymatischen Umwandlung von L‑Asparagin- und L‑Asparaginsäure-Resten in ihre D‑Form [10, 11]. Sie wurde für einige langlebige, permanente Proteine und in zahlreichen Geweben beschrieben (Übersicht bei [5, 8]). Die Korrelation zwischen der Akkumulation von D‑Asp im Dentin und dem Lebensalter ist Basis einer der genauesten Methoden zur Lebensaltersschätzung [5, 12,13,14,15]; es liegen 95 % aller Altersdiagnosen in einem Intervall von ca. ± 4 Jahren um das wahre Alter (je nach Zahntyp); die mittleren absoluten Fehler betragen (je nach Zahntyp) unter 2 Jahre (nach Rohdaten zu [16]). Jedoch stehen intakte und gesunde Zähne in der forensischen Praxis als Untersuchungsmaterial nicht immer zur Verfügung. Mit anderen, komplexeren sowie proteinumsatzaktiveren Geweben (z. B. Knochen) können ähnlich präzise Ergebnisse erreicht werden, wenn mit hohem, in der forensischen Praxis nichtleistbarem Aufwand permanente Proteine aufgereinigt werden [17,18,19,20]. Wird bei solchen Geweben auf eine Proteinaufreinigung verzichtet und stattdessen Gesamtgewebe oder eine grob aufgereinigte Proteinfraktion analysiert, ist die Genauigkeit der Methode jeweils deutlich geringer als bei Einsatz von Dentin [21, 22].
Akkumulation von Pentosidin in langlebigen Proteinen
Die Akkumulation von Pen, einem „advanced glycation end product“ (AGE), ist das Ergebnis einer nichtenzymatischen Reaktion freier Aminogruppen von Proteinen mit Glucose oder anderen reduzierenden Zuckern [23,24,25]. Der Zusammenhang zwischen der Pen-Akkumulation und dem Lebensalter ist in langlebigen Proteinen ebenfalls hoch (z. B. aus Dentin, Bandscheiben oder Epiglottis, [26,27,28]), der Ansatz liefert allerdings insgesamt schlechtere Ergebnisse als D‑Asp. Dennoch kann er in multivariaten Modellen wesentlich zur Altersschätzung beitragen [29]. Zudem legen eigene kasuistische Beobachtungen nahe, dass Pen postmortal über sehr lange Zeit, möglicherweise über Jahrtausende, stabil ist [30], was eine Einsetzbarkeit des Verfahrens im anthropologischen Kontext ermöglichen würde.
DNA-Methylierung
Die DNAm ist Teil der epigenetischen Regulation; durch das Vorhandensein bzw. die Abwesenheit einer Methylgruppe an Cytosinen im CpG-Sequenz-Kontext kann die Zellfunktion gesteuert werden [31, 32].
Dabei gibt es eine Vielzahl von CpG-Positionen, an denen sich die DNAm altersabhängig verändert und teilweise eher mit dem chronologischen Lebensalter oder mit dem biologischen Alter korreliert [31, 33]. Eine Vielzahl altersabhängiger Methylierungsmarker wurde bereits in Geweben und Körperflüssigkeiten identifiziert, und verschiedene Modelle für die Schätzung des chronologischen Lebensalters wurden vorgeschlagen (z. B. [34,35,36,37]). Die Untersuchung von Blut und Mundschleimhautabstrichen eröffnet Möglichkeiten für die Lebensaltersschätzung an lebenden Personen (z. B. [38,39,40]). Bei der Untersuchung von Spuren (z. B. Blutspuren) bietet der Ansatz die Möglichkeit zur Schätzung des Lebensalters der Spurenlegerin oder des Spurenlegers [41, 42]. Auch zum Einsatz zur postmortalen Altersschätzung wurden bereits erste Studien durchgeführt [43,44,45,46,47]. Für die besten Modelle für Altersschätzungen mithilfe der DNAm sind „mean absolute deviations“ (MAD) von ca. 3 bis 5 Jahren beschrieben [38,39,40, 48].
Verknüpfung mehrerer molekularer Uhren in Modellen zur Altersschätzung als Ansatz zur Optimierung?
Das Potenzial jeder einzelnen dieser „molekularen Uhren“ zur Lebensaltersschätzung ist unzweifelhaft hoch. Bei ihrer Nutzung zur Altersschätzung ist jedoch zu berücksichtigen, dass verschiedene Einflussfaktoren im Rahmen komplexer biologischer Alterungsvorgänge oder bei Erkrankungen auf sie wirken können, was die Zuverlässigkeit von Altersdiagnosen beeinträchtigen kann. Diesbezüglich am robustesten ist die Akkumulation von D‑Asp, die spontan (nichtenzymatisch) bei einer biologisch eng einregulierten Körpertemperatur um 37 °C abläuft. In kariös verändertem Dentin sowie in komplexeren Geweben als Dentin kann es allerdings im Rahmen der (erkrankungs- oder altersbedingten) Gewebsdegeneration zu Einflüssen auf die Akkumulation von D‑Asp kommen [16, 49]. Die Akkumulation von Pen ist abhängig von der Kohlenhydratstoffwechsellage und kann jedenfalls theoretisch bei einem über lange Zeit schlecht eingestellten Diabetes mellitus beschleunigt sein, wobei dies offenbar nur in Fällen mit dauerhafter schlechter medikamentöser Einstellung von praktischer Bedeutung zu sein scheint [23, 24, 26]. Für die DNAm ist bekannt, dass bestimmte Positionen im Genom durch eine Vielzahl äußerer und innerer Parameter beeinflusst werden können, wie beispielsweise durch Erkrankungen, Psychotraumata oder Lebensstilfaktoren (Übersicht bei [50]).
Aufgrund solcher Einflussfaktoren kann eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem jeweils geschätzten „Proteinalter“ bzw. einem geschätzten „epigenetischen Alter“ einerseits und dem chronologischen Alter andererseits auftreten und dazu führen, dass die Ergebnisse von Altersschätzungen nicht hinreichend genau sind.
Die Nutzung der Altersinformationen aus mehreren unterschiedlichen molekularen Uhren verspricht eine Reduktion des Einflusses von Störfaktoren, wenn diese nicht alle Uhren gleichermaßen beeinträchtigen.
Dieser Ansatz hat sich in einem anderem Zusammenhang bereits als vielversprechend erwiesen; so wurde gezeigt, dass sowohl die Verknüpfung verschiedener Proteinparameter [29] als auch die Verknüpfung von DNAm mit morphologischen Parametern [51] oder „signal-joint T cell receptor excision circles“ (sjTREC, [52]) zu besseren Ergebnissen von Altersschätzungen führen.
Altersinformationen aus posttranslationalen Proteinmodifikationen (D-Asp, Pen) und DNAm wurden bislang noch nie in Modellen zur Lebensaltersschätzung verknüpft. Diese Parameter dürften unabhängig voneinander sein, jedenfalls gibt es keine Erkenntnisse zu gemeinsamen Einflussfaktoren. Daraus kann die Hypothese abgeleitet werden, dass die Verknüpfung in multivariaten Modellen genauere Ergebnisse von Altersschätzungen bietet als die Analyse einzelner Parameter. Dies dürfte umso mehr zutreffen, wenn diese Marker in mehreren Geweben untersucht werden können.
Pilotstudie
Ziele
Die Überprüfung der oben genannten Hypothese setzt systematische Untersuchungen geeigneter Parameter an geeigneten Geweben voraus. Für die Planung solcher Untersuchungen ist zunächst die Identifikation geeigneter Gewebe erforderlich. Diese sollten eine Altersabhängigkeit sowohl für D‑Asp, Pen und DNAm-Marker zeigen; sie sollten außerdem möglichst fäulnisresistent sein, um auch bei fortgeschrittenen postmortalen Veränderungen noch verfügbar zu sein.
Vor diesem Hintergrund wurden im Rahmen einer Pilotstudie
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D‑Asp, Pen und mehreren CpG-Stellen in 10 ausgewählten DNAm-Bereichen (RPA2, ZYG11A, F5, HOXC4, NKIRAS2, TRIM59, ELOVL2, DDO, KLF14 und PDE4C)
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in Proben aus den fäulnisresistenten Geweben Knochen, Bandscheiben, Achillessehne und Epiglottis
von 15 Individuen mit bekanntem Lebensalter untersucht.
Material/Methoden
Proben
Asservierung und Lagerung
Im Rahmen von Obduktionen wurden bei 15 Individuen (6 weiblich, 9 männlich; Lebensalter: 8 bis 96 Jahre) folgende Gewebeproben asserviert:
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Gewebe aus der Bandscheibe („intervertebral disc“, IVD) zwischen den Lendenwirbelkörpern 2 und 3 (vorderer Anulus fibrosus),
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Achillessehne,
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Kehlkopfdeckel,
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Schädelkalotte (Os parietale).
Das postmortale Intervall betrug zwischen einem und 12 Tage (bei gekühlter Lagerung), wobei keine der Leichen Fäulnisveränderungen aufwies. Alle Gewebe wurden so intakt wie möglich entnommen, mit Wasser gewaschen und bis zur Bearbeitung bei −80 °C gelagert.
Präparationen
Bandscheibe: Gewebe des vorderen äußeren Anulus fibrosus der IVD wurden präpariert (ca. 100 mg).
Achillessehne: Eine Sehnengewebsprobe (ca. 100 mg) aus dem mittleren Teil des ansatznahen Stück wurde entnommen.
Epiglottis: Die oberen zwei Drittel des Kehldeckels wurden präpariert, und der Knorpel durch Entfernen der Schleimhaut und des restlichen Gewebes freigelegt.
Kalotte: Es wurden ca. 2 × 3 cm große Stücke aus der Kalotte herausgesägt. Nach Entfernung der Knochenhaut wurden die einzelnen Knochenstücke in mindestens 2 ca. 1 × 1 cm große Fragmente gesägt.
Vorbereitung der Gewebeproben für die Analysen
Für die Analyse von D‑Asp und Pen wurde immer eines der oben genannten Knochenstücke pro Leichnam pulverisiert, das Pulver nach Ritz-Timme [16] gewaschen und anschließend 24 h gefriertrocknet. Das jeweils andere Stück wurde, wie unten beschrieben, zur DNAm-Analyse vorbereitet.
Zur Bestimmung des Pen-Gehalts wurden jeweils zwischen 70 und 100 mg Gewebe (Bandscheibe, Achillessehne, Epiglottis) in ein säuresauberes Pyrex-Röhrchen (Fa. Pyrex, England) überführt. Für die Analyse des Pen-Gehalts im Gesamtprotein des Knochens wurden ca. 100 mg des vorbereiteten Knochenpulvers in ein Pyrex-Röhrchen überführt.
Zur Analyse des D‑Asp in den 3 Geweben (Bandscheibe, Achillessehne, Epiglottis) wurde jeweils ca. 1 mg Gewebe in ein säuresauberes Pyrex-Röhrchen überführt. Im Knochen wurde D‑Asp sowohl im Gesamtprotein als auch in der nichtkollagenen Proteinfraktion untersucht. Für die Analyse des Knochengesamtproteins wurde 1 mg des getrockneten Knochenpulvers in ein Pyrex-Röhrchen überführt. Zur Untersuchung der nichtkollagenen Fraktion wurden etwa 200 mg des getrockneten Knochenpulvers in 50 ml Falcon-Röhrchen eingewogen und eine Extraktion der nichtkollagenen Proteinfraktion nach [16] durchgeführt.
Die DNA-Extraktion aus ca. 10 mg Gewebe der Epiglottis, Bandscheibe und Achillessehne erfolgte mit dem NucleoSpin® Tissue Kit (Fa. Macherey-Nagel, Düren) nach Herstellerangaben. Die DNA wurde in 100 µl Elutionspuffer eluiert.
Für die DNA-Extraktion aus Knochen wurde ein ca. 1 × 1 cm großes Knochenstück mithilfe von 0,5 %iger Bleichelösung, „High-performance-liquid-chromatography“(HPLC)-Wasser (Fa. International VWR, Darmstadt, Deutschland) und 96 %igem Ethanol dekontaminiert. Das Knochenstück wurde mechanisch zerkleinert, und bis zu 150 mg des Knochenpulvers wurden nach dem „Supplementary Protocol: Extraction of DNA from Bone or teeth using the EZ1® DNA Investigator® Kit (June 2016)“ dekalzifiziert und lysiert. Die DNA-Extraktion wurde nach dem „Large-Volume Protocol“ des EZ1® DNA Investigator® Kits und des EZ1-Advanced-XL-Extraktionsroboters (Fa. Qiagen, Hilden) durchgeführt. Die DNA wurde in 100 µl Elutionspuffer eluiert.
Die Quantifizierung wurde mithilfe des QuantiFluor® dsDNA System Kit sowie des QuantusTM-Fluorometers (Fa. Promega, Walldorf) nach Herstellerangaben durchgeführt.
Analysen
Pen
Die vorbereiteten Proben wurden in 1 ml einer 6 N Chlorwasserstoff(HCl)-Lösung für 18 h bei 110 °C hydrolysiert und über Nacht im Exsikkator getrocknet. Die Messung des Pen erfolgte über HPLC nach der Methode von Odetti et al. [53], modifiziert nach Greis et al. [26]. Die Hydrolysate wurden in 1 ml 0,01 M HFBA-Puffer („heptafluorobutyric acid anhydride“, Fa. Thermo Scientific, Rockford, IL, USA) in HPLC-grade gereinigtem Wasser (HiPerSolv Chromanorm®: Fa. VWR International, Darmstadt, Deutschland) aufgenommen und gefiltert (Syringe-Filter, Porendurchmesser 0,45 µm, Durchmesser: 25 mm; Fa. VWR International). Zur weiteren Aufreinigung wurde eine Festphasenextraktion durchgeführt (Strata‑X 33 µm Polymeric Reversed Phase; Fa. Phenomenex) und die Proben wieder über Nacht im Exsikkator getrocknet. Die eingetrockneten Proben wurden in 200 µl Pyridoxin-HFBA-Puffer (Pyridoxin 2,068815 µmol/ml, in 0,01 M HFBA) gelöst. Eine Kalibrierungskurve wurde mit Standards (Pentosidin 0,03303 nmol/ml in 0,01 M HFBA; Fa. Cayman Chemical) erstellt. Es wurden 50 µl jeder Probe in das HPLC-System injiziert (1260 Infinity II; Fa. Agilent; Eluent A: 0,1 % HFBA in HPLC-Wasser, Eluent B: Acetonitril [„HPLC-grade“ ≥ 99,9 %], Flussrate 1 ml/min, Semi-Präparationssäule [Onyx™ Monolithic, Semi-Prep C18; Fa. Phenomenex], Säulentemperatur: 25 °C Extinktions‑/Emissionswellenlänge: 335/385 nm).
D-Asparaginsäure
Die vorbereiteten Proben wurden in 1 ml einer 6 N HCl-Lösung für 6 h bei 100 °C hydrolysiert und über Nacht im Exsikkator getrocknet.
Die Messung des D‑Asp erfolgte über HPLC nach der Methode von Kaufman und Manley [54], modifiziert nach Dobberstein et al. [20]. Die Hydrolysate wurden in 1 ml Probenpuffer (0,01 M HCL mit 1,5 mM Natriumacid und 0,03 mM L‑Homo-Arginin) gelöst. Die gelöste Probe wurde in das HPLC-System (HPLC 1100 Reihe; Fa. Agilent, CA) injiziert (Eluent A: 23 mM Natriumacetat, 1,5 mM Natriumacid, 1 mM EDTA in HPLC-Wasser, Eluent B: nach Dobberstein et al. [20], Flussrate 0,56 ml/min, C18-Säule [BDS HYPERSIL C18, 250 × 3 mm, Partikelgröße 5 μm; Fa. Thermo Scientific], Säulentemperatur: 25 °C, Extinktions‑/Emissionswellenlänge: 230/445 nm). Die Identifizierung der L‑ sowie D‑Form von Asparaginsäure erfolgte anhand der Retentionszeiten der Standardreinsubstanzen mithilfe der Analysesoftware „Agilent OpenLAB Control Panel“. Der Razemisierungsgrad wurde nach ln([1 + D-Asp / L-Asp] / [1 − D-Asp / L-Asp]) [16] berechnet.
DNA-Methylierung
Bisulfitkonvertierung
Es wurden 200 ng DNA mithilfe des Methylation EZ Gold Kit (Fa. Zymo Research Europe, Freiburg) konvertiert und in 15 µl H2O eluiert. In einigen Fällen wurde weniger DNA konvertiert, da die aus der DNA-Extraktion gewonnene Menge geringer war. Die erhaltene einzelsträngige DNA (ssDNA) wurde mithilfe des ssDNA Quantification Kit und des Qubit (beide Thermo Fisher Scientific [TFS], Waltham, MA, USA) für eine grobe Einschätzung der ssDNA-Menge quantifiziert.
Polymerase-Kettenreaktion und Vorbereitung für die massive parallele Sequenzierung
Ausgewählte DNA-Regionen von RPA2, ZYG11A, F5, HOXC4, NKIRAS2, TRIM59, ELOVL2, DDO, KLF14 und PDE4C wurden, wenn möglich, mit je 10 ng konvertierter DNA in Einzel-Polymerase-Kettenreaktionen (Einzel-PCR) amplifiziert. Jeder Marker wurde in einem 6,5-µl-Reaktionsvolumen, bestehend aus 2,5 µl PyroMark Master Mix (Fa. Qiagen, Hilden), 2,5 pmol beider Primer, 0,5 µg bovinem Serumalbumin (BSA; Fa. TFS), der DNA und DNA-freiem H2O amplifiziert. Die Primer-Sequenzen können der Arbeit von Naue et al. [38] entnommen werden. Die Primer für PDE4C wurden auf Basis von der Publikation von Weidner et al. [55] modifiziert und für MPS angepasst. Eine „touch-up PCR“ wurde unter den folgenden Bedingungen durchgeführt: 95 ºC 10 min; 15 Zyklen: 98 ºC 45 s, 54 ºC 30 s, 72 ºC 30 s; 25 Zyklen: 98 ºC 45 s, 62 ºC 30 s, 72 ºC 30 s; finale Elongation bei 72 ºC für 10 min. Die erfolgreiche Amplifikation wurde mit einem 2 %igen Agarosegel überprüft, und die PCR-Produkte pro Individuum wurden zusammengeführt. Die PCR-Produkte wurden unter Nutzung von 1,9-fach magnetischen Partikeln (Fa. GE Healthcare, Little Chalfont, UK; vorbehandelt und nach Rohland und Reich [56]) gereinigt. Die zweite PCR zum Anhängen der Adapter/Indizes erfolgte mit 2 µl der vereinten Probe, 6,25 µl des NEBNext Ultra II Q5 Master Mix (Fa. New England Biolabs, Ipswich, MA, USA), je 5 pmol vom i5- und i7-Indexprimer (NexteraXT) und 2,25 µl DNA-freiem H2O. Folgende Reaktionsbedingungen wurden genutzt: 98 ºC 30 s; 6 Zyklen: 98 ºC 10 s, 62 ºC 30 s, 65 ºC 45 s; finale Elongation bei 65 ºC für 5 min. Die PCR-Produkte wurden 2‑mal mit 1,6-fach vorbehandelten magnetischen Partikeln gereinigt. Die DNA Quantität jedes Amplikon-Pools wurde mit dem dsDNA High-Sensitivity Qubit Quantification Kit (Fa. TFS) gemessen, und die Amplikons wurden äquimolar vereint. Der finale 10,5 pM Amplikon-Pool aller Proben wurde mit einem MiSeq FGx (Fa. Verogen, San Diego, CA, USA) unter Nutzung von 300 bp v2 Micro und Nano Kits im 2 × 150 bp-Modus sequenziert. Die erhaltenen FastQ-Dateien wurden mithilfe der zuvor beschriebenen Pipeline analysiert [38, 43], wobei die Analyse auf PDE4C erweitert wurde. Eine 1000 × Abdeckung wurde angestrebt, wobei aufgrund geringer DNA-Menge im Material in Ausnahmefällen auch Werte mit einer Abdeckung von mindestens 600 × gewertet wurden.
Datenaufbereitung und statistische Analyse
Die Datenauswertung erfolgte mit Jupyterlab 1.2.6 des Anaconda Navigator v1.9.7 unter Nutzung von Python 3.6. Die Auswertung erfolgte mit den Analysepaketen pandas v1.0.1, pingouin v0.3.8 [57] und seaborn v0.10.0. Zur initialen Einschätzung der Korrelation wurde die Spearman-Korrelation berechnet. Um die erhaltenen Ergebnisse besser einzuschätzen, wurde das 95 %-Konfidenzintervall berücksichtigt und bei der DNAm-Analyse aufgrund der parallelen Analyse von 84CpG-Positionen auch die Benjamini-Hochberg-Methode für das multiple Testen angewendet („false discovery rate“ [FDR] von 5 %).
Ergebnisse
Durchführbarkeit der parallelen Analyse
Es wurden D‑Asp, Pen sowie DNAm von 10 ausgewählten Markern in 4 Geweben von 15 Leichen erfolgreich analysiert. Für die Proteinmarker waren die eingesetzten Probenmengen ausreichend; die Qualität der Chromatogramme war sehr gut. Bei der DNAm wurden aufgrund geringerer DNA-Mengen in einzelnen Proben vereinzelt Werte mit einer Molekülabdeckung unter 1000 ×, jedoch über 600 × erhalten. Bei einer 1000 × Abdeckung muss mit einer maximalen Ungenauigkeit von ± 3,1 % gerechnet werden. Da diese bei 600 × mit ± 4,0 % kaum größer ausfällt, hatte dies keine generelle Auswirkung auf die präsentierten Ergebnisse.
Altersabhängigkeit der Marker in den Geweben
Einen Überblick über die Ergebnisse der statistischen Auswertung der erhobenen Daten gibt Tab. 1. Die Korrelation der untersuchten Parameter mit dem Alter wurde anhand des Spearman-Korrelationskoeffizienten ρ beschrieben; zudem wurde das 95 %-Konfidenzintervall berechnet, um den erhaltenen Koeffizienten besser zu bewerten. Während die beiden Proteinmarker Pen und D‑Asp in allen untersuchten Geweben eine starke Korrelation mit dem Alter zeigten, gab es bei den DNAm-Markern gewebespezifische Unterschiede.
Die stärksten Korrelationen mit dem Alter fanden sich für die Achillessehne und die Epiglottis (Tab. 1). Eine starke Korrelation zwischen dem Alter und der DNAm – auch unter Berücksichtigung des Konfidenzintervalls – wurde in allen 4 Geweben im Fall von ELOVL2, KLF14, PDE4C, RPA2, TRIM59 und ZYG11A festgestellt (Tab. 1). Zum Teil wiesen unter Nutzung des hier verwendeten Probenkollektivs unterschiedliche CpG-Positionen die höchste Korrelation auf, wobei die Korrelationen der benachbarten CpG-Positionen meist vergleichbar waren. Daher listet Tab. 1 den jeweiligen Wert für die CpG-Position mit der höchsten Korrelation auf. Für andere Marker, wie z. B. NKIRAS2, konnte im Probenkollektiv keine Altersabhängigkeit in der Achillessehne, jedoch in den anderen Geweben festgestellt werden. Die hohe, bereits statistisch signifikante, detektierte Altersabhängigkeit sollte unter Berücksichtigung des Konfidenzintervalls in einigen Markern durch Untersuchung einer höheren Probenzahl bestätigt werden (kursiv hervorgehoben in Tab. 1), um eine zufällige Messung auszuschließen.
Gewebespezifische Unterschiede der Akkumulation altersabhängiger Marker
Aus Abb. 1 ergibt sich, dass D‑Asp sowie Pen in allen untersuchten Geweben mit dem Lebensalter akkumulieren, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß und mit unterschiedlicher Streuung.
Die Akkumulation von Pen ist in der Bandscheibe sowie der Achillessehne am höchsten, gefolgt von der Epiglottis. Die Streuung der Werte nimmt mit zunehmendem Lebensalter zu. Die Akkumulation der Modifikationen im Knochen ist dagegen vergleichsweise gering. D‑Asparaginsäure akkumuliert am meisten in der nichtkollagenen Knochenfraktion, der Bandscheibe und der Epiglottis, deutlich weniger in der Achillessehne und im Gesamtprotein des Knochens.
Für die DNAm wurde in Abb. 2 beispielhaft jeweils eine CpG-Position dargestellt, die bei diesem Probenkontingent im Schnitt die beste Korrelation über alle Gewebe aufzeigte.
Wie bei D‑Asp und Pen zeigt sich, dass die Veränderung des DNAm-Levels über die Jahre nicht in allen Geweben gleich stark verläuft. Während sich z. B. die DNAm an der CpG-Position ELOVL2_1 in der Epiglottis und dem Knochen gleich stark verändert, nimmt die DNAm in der Bandscheibe und der Achillessehne weniger stark zu, wobei sich auch hier die Steigungen bei der Achillessehne und der Bandscheibe ähneln. Dennoch weist die Bandscheibe in diesem Marker ein generell niedrigeres DNAm-Niveau auf. Diese Unterschiede in der Stärke der Veränderung und dem generellen DNAm-Level zwischen den Geweben findet sich auch in den meisten anderen Markern. Zum Beispiel weist die Bandscheibe gegenüber der Epiglottis auch in KLF14, PDE4C, RPA2, TRIM59 und ZYG11A ein generell niedrigeres DNAm-Niveau auf.
Diskussion
Hintergrund der Durchführung dieser Pilotstudie war das übergeordnete Ziel, das Potenzial der untersuchten Protein- und DNAm-Marker für postmortale Lebensaltersschätzungen zu untersuchen, um diese zukünftig optimal nutzen zu können. Dieses Ziel wird von der Hypothese geleitet, dass die kombinierte Nutzung von Altersinformationen aus posttranslationalen Proteinmodifikationen und DNAm aus verschiedenen Geweben in multivariaten Modellen genauere Ergebnisse von Altersschätzungen eröffnet als die Analyse einzelner Parameter.
Die durchgeführte Pilotstudie lieferte Daten, die für die Planung umfangreicher systematischer Untersuchungen zur Überprüfung der beschriebenen Hypothese und zur Entwicklung neuer Verfahren zur postmortalen Altersschätzung wichtig sind.
Das hier untersuchte Marker-Set wurde zum ersten Mal an identischen Proben analysiert. Für einige der analysierten Parameter gab es zuvor noch keine Daten (z. B. für Pen und D‑Asp in der Achillessehne sowie DNAm in Achillessehne, Bandscheibe und Epiglottis). Die jetzt erhobenen Daten belegen eine starke Korrelation der Proteinmarker (D-Asp, Pen) sowie jeweils mehrerer DNAm-Marker mit dem Lebensalter in allen der untersuchten fäulnisresistenten Gewebe. Dabei wiesen die untersuchten Parameter gewebsspezifische Werte auf. Während beispielsweise D‑Asp im Achillessehnengewebe nur langsam akkumulierte (was auf die übergeordnete räumliche Struktur des Kollagens zurückgeführt werden kann [58]), stellte sich für Pen eine vergleichsweise rasche Akkumulation mit zunehmendem Alter in diesem Gewebe dar.
Die unterschiedlich rasche Akkumulation von D‑Asp in Knochengesamtgewebe und der nichtkollagenen Proteinfraktion ist dadurch zu erklären, dass die organische Matrix des Gesamtgewebes zu 90 % aus Kollagenen besteht, in dem D‑Asp aufgrund sterischer Hindernisse nur langsam akkumuliert [58].
Bei den Knochenproben war ein Vergleich der DNAm-Daten mit Ergebnissen einer vorherigen Studie möglich; die hier gemessene moderate Korrelation in F5 bzw. hohen Korrelationen in allen anderen Markern wurde/wurden auch bereits zuvor beobachtet [43]. Ansonsten zeigten sich hier gewebespezifisch verschieden starke Schwankungen bei den DNAm-Markern.
Insgesamt weisen die erhobenen Daten daraufhin, dass die untersuchten Gewebe über die Analyse der Protein- und DNAm-Marker Altersinformationen liefern, die in einem multivariaten Modell zur Altersschätzung genutzt werden könnten. Natürlich erlauben die erhobenen Daten keine abschließenden Schlussfolgerungen. Dennoch stimmen sie optimistisch, dass auf ihrer Basis eine umfangreiche Studie geplant wird. Die Vision ist ein System aus multivariaten Modellen auf Basis von D‑Asp, Pen und DNAm, das möglichst genaue postmortale Altersschätzungen unter den unterschiedlichen Voraussetzungen der forensischen Praxis ermöglicht, indem es die jeweils noch erhebbaren Parameter in optimaler Weise berücksichtigt und so möglichst viele Altersinformationen abruft. Es wird erwartet, dass über diesen Ansatz deutlich genauere Ergebnisse postmortaler Altersschätzungen erreichbar sind als über konventionelle morphologische Untersuchungen oder die Nutzung nur einzelner molekularer Parameter.
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Funding
Open Access funding enabled and organized by Projekt DEAL.
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Interessenkonflikt
J. Becker, J. Naue, A. Reckert, P. Böhme und S. Ritz-Timme geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die postmortal asservierten menschlichen Proben und die Analyse molekularer Marker wurden mit Zustimmung der zuständigen Ethik-Kommission, im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt.
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Die Autoren J. Becker und J. Naue haben zu gleichen Teilen zum Manuskript beigetragen.
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Becker, J., Naue, J., Reckert, A. et al. Nutzung von Altersinformationen aus posttranslationalen Proteinmodifikationen und DNA-Methylierung zur postmortalen Lebensaltersschätzung. Rechtsmedizin 31, 234–242 (2021). https://doi.org/10.1007/s00194-021-00489-2
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