Zusammenfassung
Zur Objektivierung von Belastung und Beanspruchung beim Kommissionieren in Kälte wurden insgesamt 120 Ganztagsanalysen mit 60 Arbeitspersonen (Apn) in einem Kühl- (+3 °C) bzw. Tiefkühllager (−24 °C) durchgeführt. Während des Kommissionierens von 2–15 kg schweren Warenpaketen mit einer Umsetzleistung von 1,6 t/h wurden u. a. die Parameter Energieumsatz, Herzschlagfrequenz und Körperkerntemperatur erfasst sowie durch subjektive Einschätzungen ergänzt. Die Werte der O2-Aufnahme zeigen, dass die Tätigkeit in Abhängigkeit von den Lauf- und Fahrwegen knapp unter bzw. oberhalb der energetischen Dauerleistungsgrenze (DLG) stattfindet. Auch die Arbeitspulse sprechen für ein Arbeiten knapp unterhalb bzw. an der DLG. Die Körperkerntemperaturabnahmen zeigen, dass die tiefe Kälte trotz der anstrengenden und somit wärmeproduzierenden Arbeit die Körperkerntemperatur signifikant absinken lässt. Das geht auch mit einem verstärkten Kälteempfinden einher. Insgesamt wird das Kommissionieren bei −24 °C im Vergleich zu +3 °C bei gleicher Arbeitsbelastung von den Apn als körperlich beanspruchender empfunden.
Praktische Relevanz: Kommissionierarbeitsplätze erfordern eine besondere ergonomische Gestaltung, insbesondere dann, wenn die Tätigkeit im tiefkalten Bereich ausgeführt wird. Die Superposition aus kalter Arbeitsumgebung und körperlich schwerer Arbeit verursacht eine hohe Belastung und resultiert in einer erheblichen Beanspruchung, die durch die Gefahr einer eintretenden Unterkühlung zudem ein ernstzunehmendes Gesundheitsrisiko darstellt. Im Sinne des präventiven Gesundheitsschutzes müssen daher insbesondere die Kälteschutzkleidung, das Arbeitszeit-Pausenzeit-Regime sowie verbindliche Regelungen zur arbeitsmedizinischen Vor- und Nachsorge angepasst werden.
Abstract
In order to objectify the stress and strain of order picking in cold conditions, a total of 120 all-day analyses were carried out with 60 workers in a chill room (+3 °C) and in a cold store (−24 °C). During the picking of 2–15 kg goods packages with a turnover rate of 1.6 t/h, the parameters of energy metabolism, heart rate and core body temperature were recorded and supplemented by subjective assessments. The values of the O2 intake show that the activity takes place just below or above the endurance level depending on the walking and driving distances. The work pulses also indicate working just below or at the endurance level. The body core temperature drops show that the deep cold causes the temperature to drop significantly despite the heavy and thus heat-producing work, which is also accompanied by an increased sensation of cold. Overall, picking at −24 °C is perceived by the workers as more physically demanding than picking at +3 °C, at the same work load.
Practical Relevance: Order-picking workplaces require a special ergonomic design, especially if the work is carried out in a deep cold environment. The superposition of cold working environment and physically heavy work causes a high stress and results in a substantial strain, which also represents a serious health risk due to the danger of hypothermia. In terms of preventive health protection, it is therefore necessary to adapt in particular the cold-protective clothing, the working time-break-regime as well as binding regulations for occupational medical pre- and post-care.
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1 Einleitung
Der Absatz gekühlter und tiefgekühlter Lebensmittel hat in den vergangenen Jahrzehnten ein stetiges Wachstum erfahren. Um die Waren, insbesondere unter der Einhaltung einer Vielzahl von Gesetzen und Vorschriften bspw. zum Transport und der Lagerung gekühlter und tiefgekühlter Lebensmittel, vom Produzenten an den Endverbraucher zu bringen, bedarf es eines komplexen Logistiksystems. Trotz der technischen Möglichkeiten eines vollautomatisierten Warenverteilzentrums als Schnittstelle zwischen Produzenten und Einzelhandel, unterhalten viele Einzelhandelsketten weiterhin regional verteilte Warenverteilzentren, in denen der arbeitende Mensch das zentrale Glied der Wertschöpfung darstellt. Das Kommissionieren der eingelagerten Warenpakete, mit einem erfahrungsgemäß durchschnittlichen Gewicht zwischen 2 und 15 kg, stellt eine physisch hoch belastende Tätigkeit dar. Wenngleich durch die hohe Arbeitsbelastung in Kombination mit einer Umweltbelastung, insbesondere im sehr kalten Tiefkühlbereich von −24 °C, eine Superposition vorliegt, ist die durch die Arbeitsbelastung produzierte Muskelwärme nach Kluth et al. (2008; 2008/2009) zumindest aus Sicht des Kälteschutzes als vorteilhaft anzusehen. Zum adäquaten Kälteschutz gehört auch Kälteschutzkleidung, die nach DIN 33403‑5 (1997) bereits ab einer Umgebungstemperatur von +10 °C zur Pflicht wird und deren höheres Gewicht (bei niedrigeren Umgebungstemperaturen) eine zusätzliche Belastung für das Herz-Kreislauf-System bedeutet. Dennoch ist das Tragen adäquater Kälteschutzkleidung nach Groos et al. (2013; 2018a) ebenso notwendig wie das Einhalten von maximalen Expositionszeiten und daran anschließenden minimalen Aufwärmpausen (Groos et al. 2018b).
Durch eine während des Arbeitstages stetig wechselnde Umweltbelastung – und die ist hier durch den Wechsel zwischen kalten Arbeitsumgebungstemperaturen in den Kühlräumen und Aufwärmpausen in den warmen Sozialräumen gegeben – kann es nach Mercer (2003) und Hassi et al. (2005) zu Gesundheits- und Leistungsbeeinträchtigungen kommen. Bereits durch leichte Abweichungen vom thermischen Behaglichkeitsbereich können, nach Oksa (1998) die physische und nach Palinkas (2001) auch die mentale Leistungsfähigkeit sowohl kurz- als auch langfristig betroffen sein.
Bei einer Kälteexposition besteht die erste Reaktion des menschlichen Körpers darin, die Wärme zu halten, indem die Wärmeverluste durch autonome Regulationsmechanismen reduziert werden. Hierzu gehört insbesondere die Vasokonstriktion, bei der die Durchblutung der Haut reduziert wird (Charkoudian 2010), was nach Gavhed (2003) zu einem Anstieg des systolischen und diastolischen Blutdrucks, einer Senkung der Herzschlagfrequenz und zu einer Erhöhung der Hauttemperatur in den Extremitäten führt. Auch der Energieumsatz, berechnet aus der Sauerstoffaufnahme, steigt sowohl durch die kalte Umgebungstemperatur als auch durch die schwere Kälteschutzkleidung an. Es wird geschätzt, dass jedes zusätzliche Kilogramm an Bekleidungsgewicht den Energieumsatz um ca. 3 % und jede zusätzliche Bekleidungsschicht um 4 % erhöht (Rintamäki 2007). Trotz autonomer Regulationsmechanismen reduzieren sehr kalte Umgebungstemperaturen u. a. nach Zlatar et al. (2015) zwangsläufig die Körperkern- und Hautoberflächentemperaturen und somit auch die körperliche Leistungsfähigkeit. Insbesondere die muskuläre Leistungsfähigkeit sowie die Hand- und Fingergeschicklichkeit, und somit auch die Griffstärke und Griffhäufigkeit, werden eingeschränkt. Gleichzeitig nehmen die willkürlichen Muskelkontraktionen durch das sog. Kältezittern zu, was die Muskulatur schneller ermüden lässt. Häufig kälteexponierte Menschen klagen oft über muskuloskelettale Beschwerden (vgl. u. a. Cheung et al. 2007; Muller et al. 2012; Oksa et al. 2002; Pilcher et al. 2002; Sormunen et al. 2009; Tochihara et al. 1995), was wiederum zu arbeitsbedingten Erkrankungen, wie bspw. Verspannungen im Hals-Nacken-Bereich, Schuppenflechte usw., aber auch Nasenbluten führen kann (Mäkinen und Hassi 2009). Viele weitere Arten chronischer Beschwerden, wie etwa kardiovaskuläre Erkrankungen, Erkrankungen der Atemwege, muskuläre Beschwerden, periphere Durchblutungsstörungen und Hauterkrankungen können nach Hassi et al. (2005) sowie Mäkinen (2007) mit Kälteexpositionen in Verbindung gebracht werden.
Regelmäßig widerkehrende Kälteexpositionen in Kombination mit körperlich schwerer Arbeit bergen somit das Risiko, für eine Vielzahl körperlicher Beschwerden verantwortlich zu sein, die zu arbeitsbedingten Erkrankungen und im chronischen Verlauf sogar zur Arbeitsunfähigkeit führen können. Aufgrund der damit bemerkenswerten und für die Kommissionierer alltäglichen Belastungskombination ist als Folge von einem erstzunehmenden Gesundheitsrisiko auszugehen, was eine besondere ergonomische Gestaltung des Kommissionierarbeitsplatzes in Kälte erfordert.
2 Versuchsdesign und Methodik
Mit dem Ziel einer ganzheitlichen, objektiven und subjekt-bezogenen arbeitswissenschaftlichen Analyse der Arbeitsbedingungen in Warenverteilzentren mit Kühllager (+3 °C) und Tiefkühllager (−24 °C) wurden Feldstudien zur Objektivierung von Belastung und Beanspruchung beim Arbeiten in Kälte durchgeführt. Zur Datengewinnung wurden insgesamt 120 schichtbegleitende Ganztagsanalysen mit 60 freiwilligen und für das Arbeiten in tiefer Kälte geeigneten Arbeitspersonen (Apn) in einem gewerblichen Warenverteilzentrum gemacht.
2.1 Versuchsablauf und eingesetzte Messtechnik
Jede der 60 Apn durchlief insgesamt zwei Ganztagsanalysen mit jeweils einer Versuchsreihe. Die Versuchsreihen innerhalb der zwei Versuchstage wurden ebenso randomisiert wie die Abfolge der Arbeitsphasen mit den dazugehörigen Pausenzeiten innerhalb einer Versuchsreihe, um gewisse, durch die Kältebelastung hervorgerufene Transfereffekte zu vermeiden. Versuchstag I und II folgten dem in Abb. 1 dargestellten standardisierten Ablaufschema.
Der erste Versuchstag begann im +21 °C warmen Sozialbereich mit der Aufnahme persönlicher und körperrelevanter Daten. Zur Eignungsfeststellung wurden die Apn umfassend zu vergangenen oder fortbestehenden Erkrankungen und Medikamenteneinnahmen befragt. An die positive Anamnese schloss sich die ausführliche Instruktion in den Versuchsablauf und die Risikenaufklärung an. Es folgte die Instrumentalisierung der Apn mit der mobilen Messtechnik, die im weiteren Verlauf detailliert beschrieben wird. Nach einer positiven Funktionsüberprüfung der eingesetzten Messtechnik wurden die ersten physiologischen Parameter in ihren Ruhezuständen erfasst. Die kardiorespiratorische Fitness im submaximalen Bereich wurde anschließend als PWC130-Test auf dem ergobike medical 8i von daum ermittelt. Zur Vergleichbarkeit der körperlichen Belastung beim Kommissionieren in unterschiedlichen Temperaturbereichen wurde im Vorfeld zur eigentlichen Kommissioniertätigkeit in den Lagerbereichen eine Energieumsatzbestimmung in der +3 °C kalten Vorkühlzone durchgeführt. Hierbei wurden von den Apn innerhalb von 15 min 4 Paletten mit jeweils 20 Kisten Kommissionierersatzware umgesetzt. Die Kisten entsprachen in Größe und Gewicht (2 bis 15 kg) realer Kühl- und Tiefkühlware (vgl. Kluth und Strasser 2001). Nach dieser Vorphase fanden die eigentlichen Versuchsreihen im Kühl- (+3 °C) bzw. Tiefkühllager (−24 °C) statt (vgl. Abb. 2). Hierbei wurde die Arbeitshöhe und -schwere auf Basis der von Kluth und Strasser (2001) ermittelten durchschnittlichen Kommissionierleistung von 1,6 t/h festgelegt. Hierzu wurden die durchschnittlich pro Stunde zu bewegenden Stückzahlen und Gewichte von 10 Arbeitspersonen im Tiefkühllager ermittelt. Aus diesen Daten ließen sich die Mittelwerte des insgesamt zu kommissionierenden Gewichts, der Anzahl der Kartons sowie der Paletten für die unterschiedlich langen Arbeitszyklen berechnen. Dadurch sollte für jeden Probanden ein gleicher Arbeitsablauf hinsichtlich Belastungshöhe und Zeitverlauf vorgesehen werden. Während der ersten 30 min Tätigkeit im Tiefkühllager wurde ebenfalls der Energieumsatz erfasst. Aufgrund der zurückzulegenden Wegstrecken mit dem Flurförderfahrzeug konnten hier lediglich 40 Kisten innerhalb von 15 min kommissioniert werden, sodass lediglich die Hälfte der Umsetzleistung aus der Vorkühlzone erreicht wurde (80 Kisten/15 min).
Zur Sicherstellung miteinander vergleichbarer Untersuchungsergebnisse wurden sowohl innerhalb der Versuchsreihen als auch über alle Versuchstage und Apn hinweg identische Messverfahren und die gleiche bewährte Messtechnik eingesetzt. Der Bruttoenergieumsatz wurde mit Hilfe des mobilen Ergospirometrie-Systems MetaMax 3B der Firma Cortex® bestimmt. Die genaue Funktion des MetaMax 3B konnte mit den werksseitig zur Verfügung gestellten Komponenten bei −24 °C nur kurzzeitig sichergestellt werden. Daher wurde die Messtechnik an die besonderen Gegebenheiten u. a. mittels eines Heizsystems adaptiert (vgl. Kollmann 2009 und Penzkofer 2013). Zur kontinuierlichen Erfassung der Herzschlagfrequenz als zentralem Beanspruchungsparameter wurde die Pulsuhr S810i™ von Polar® in Verbindung mit einem Brustgurt eingesetzt. Die Körperkerntemperatur wurde mit dem Infrarot-Ohrthermometer Thermoscan IRT 4520 des Herstellers Braun® alle 15 min am Trommelfell gemessen. Komplettiert wurde die beschriebene Messtechnik durch das Langzeit-Blutdruckmessgerät boso® TM2430 PC2, welches ebenfalls alle 15 min den Blutdruck erfasste und durch Thermosensoren, die in Verbindung mit einem Scanntronic® Thermofox-Multisensor-Temperatur-Datenlogger die Hautoberflächentemperatur an sieben Stellen des Körpers kontinuierlich aufzeichneten.
Die arbeitswissenschaftliche Analyse wurde neben den Methoden der objektiven Belastungs- und Beanspruchungsmessung durch eine subjektive Beanspruchungsermittlung ergänzt. Zum einen sollten die Apn vor, während und nach der Kälteexposition zu festgelegten Zeitpunkten zu ihren subjektiven Kälteempfindungen in unterschiedlichen Bereichen des Körpers Aussagen machen. Hierzu kam ein standardisierter Fragebogen zum Einsatz, in den die vom Versuchsleiter abgefragten Empfindungen im Bereich des Kopfes (Stirn, Nase, Mund und Ohren), des Oberkörpers, der Arme, Hände und Finger, am Unterleib und Gesäß sowie den unteren Extremitäten (Beine, Füße und Zehen) im Zahlenformat eingetragen wurden. Im Anschluss an den Versuchstag wurden die Apn zudem zu den Arbeitsbedingungen während der Feldstudie befragt. Hierbei kam ein umfangreiches und vielfach bewährtes Fragebogeninstrumentarium zum Einsatz, das zuvor bereits zur Befragung von 128 professionellen Kommissionierern in 24 gewerblichen Tiefkühlzentren eingesetzt wurde (vgl. Penzkofer 2013).
2.2 Untersuchtes Probandenkollektiv
An den Feldversuchen nahmen insgesamt 60 Apn teil, davon waren jeweils 30 Apn weiblich bzw. männlich. Weiterhin wurden die Apn innerhalb einer Geschlechtergruppe entsprechend ihres Alters in die Gruppe der jüngeren (20–35 Jahre) und älteren Apn (40 bis 65 Jahre) klassifiziert. Durch die Probandenauswahl nach Alter und Geschlecht sollte zum einen eine größtmögliche Heterogenität innerhalb des gesamten Kollektivs hergestellt und zum anderen die Vergleichbarkeit der Ergebnisse hinsichtlich alters- und geschlechtsspezifischer Fragestellungen ermöglicht werden. Die Mittelwerte sowie die Standardabweichungen der erfassten Daten der Apn in den jeweiligen Gruppen können Tab. 1 entnommen werden. Detaillierte Angaben zu den einzelnen Apn sind in den Ausführungen von Penzkofer (2013) und Groos (2018) zu finden.
Siebzehn der insgesamt 60 Apn gingen keinerlei sportlicher Betätigung nach, wobei 10 dieser 17 Apn der Gruppe der älteren männlichen Apn zuzuordnen waren. Unter den Männern war mit 12 von 30 auch der größte Anteil an regelmäßigen Rauchern vertreten, bei den weiblichen Apn waren es lediglich 4 von 30 Apn. Beim Alkoholkonsum gaben 31 der 60 Apn an, selten oder nie Alkohol zu sich zu nehmen, der Rest konsumiert hingegen Alkohol regelmäßig bis häufig.
3 Ergebnisse
Im Folgenden werden die objektiven Ergebnisse von Energieumsatz, Herzschlagfrequenz und Abnahme der Körperkerntemperatur für das Kommissionieren bei +3 °C und −24 °C dargestellt. Die abgefragten subjektiven Empfindungen der Apn für ausgewählte Fragestellungen komplettieren die ganzheitliche arbeitswissenschaftliche Feldstudie.
3.1 Energieumsatz
Wie unter Abschn. 2.1 erläutert, fand in der +3 °C kalten Vorkühlzone eine standardisierte Kommissioniertätigkeit statt, die aufgrund der geringen Entfernung der Paletten zueinander (max. 3 m) und der vergleichsweise leichten Kälteschutzkleidung dem Zwecke der Ermittlung der reinen Arbeitsschwere des Kommissioniervorgangs dienen sollte. Über den 15-minütigen Umsetzversuch in der Vorkühlzone hinweg lag die mittlere O2-Aufnahme zwischen 1,25 und 1,55 l/min, was nach Strasser (2002) ein Arbeiten knapp oberhalb der energetischen Dauerleistungsgrenze (DLG) indiziert, die bei einer O2-Aufnahme von 1,2 l/min liegt. Wie in Tab. 2 dargestellt, ergaben sich für das Kommissionieren bei +3 °C Energieumsätze von 416 bis 525 W. Abzüglich der Grundumsätze, die im vorliegenden Fall aufgrund der Schwierigkeiten der Messung des Grundumsatzes bei Feldversuchen nach Rohmert und Rutenfranz (1983) als „morgendlicher Ruhe-Nüchternumsatz bei Indifferenztemperatur“ nach der Mifflin-St.Joer-Formel (vgl. Mifflin et al. 1990) berechnet wurden, resultierten hieraus Arbeits-Energieumsätze zwischen 353 und 440 W.
Im Tiefkühllager fand die spirometrische Messung zu Beginn eines willkürlich ausgewählten Versuchsdurchlaufs statt. Im Vergleich zur Vorkühlzone mussten mit dem Flurförderfahrzeug gewisse Wegstrecken zurückgelegt werden, die eine Reduzierung der Umsetzleistung um die Hälfte (40 statt 80 Kisten in 15 min) bedingten. Insbesondere durch die „Erholzeiten“ während der Fahrten war trotz der schwereren Kälteschutzkleidung und der tiefen Kälte mit einem geringeren Energieumsatz zu rechnen. Der Energieumsatz im Tiefkühllager bewegte sich durchschnittlich zwischen 378 und 474 W, woraus sich ein Arbeitsenergieumsatz von 311 bis 386 W ergab. Die Sauerstoffaufnahme lag während des Kommissionierens im Tiefkühllager zwischen 1,1 und 1,4 l/min, was nach Strasser (2002) für ein Arbeiten knapp unterhalb der energetischen Dauerleistungsgrenze spricht.
3.2 Herzschlagfrequenz
Abb. 3 zeigt den arbeitsbedingten Anstieg der Herzschlagfrequenz (Arbeitspuls) während des Kommissionierens im Kühl- bzw. Tiefkühllager. Die Arbeitspulsprofile lassen, unabhängig von der Länge der Arbeitsphase und der Umgebungstemperatur, ein „steady state“ erkennen, was für ein Arbeiten unterhalb der energetischen Dauerleistungsgrenze spricht. Auch die durchschnittlichen Erhöhungen der Herzschlagfrequenz mit 30 bzw. 35 Schlägen/min sprechen nach Strasser (1986) für ein Arbeiten knapp unterhalb bzw. an der energetischen Dauerleistungsgrenze, die bei 35 Schlägen/min im Vergleich zum im Sitzen gemessenen Ruhepuls liegt. Erkennbar ist auch, dass die gleiche Arbeit im Tiefkühllager bei −24 °C zu einem höheren Niveau der arbeitsbedingten Herzschlagfrequenzen führt als das Arbeiten im Kühllager bei +3 °C. Dieser Unterschied war über alle drei Arbeitsphasen hinweg nach dem 2‑seitigen t‑Test für abhängige Stichproben hoch signifikant (α ≤ 0,001).
3.3 Körperkerntemperatur
Die Abnahme der Körperkerntemperatur, die mittels eines Infrarot-Ohrthermometers alle 15 min am Trommelfell erfasst wurde, kann für die Tätigkeitsausführung im Kühllager (bei +3 °C) insgesamt als moderat bezeichnet werden. Über alle 60 Apn hinweg erreichten die gemittelten maximalen Abnahmen der Körperkerntemperatur im Vergleich zum morgendlichen Ausgangswert lediglich 0,7 K (vgl. Abb. 3). Unabhängig von der Expositionszeit stellte sich bei den Temperaturabnahmen ein „steady state“ ein. Trotz der nur geringen Körperkerntemperaturabnahmen während der Kälteexpositionen bestand nach der 20 min langen Aufwärmpause aber immer noch ein Temperaturdefizit. Während der Arbeit im Tiefkühllager (−24 °C) zeigten sich erwartungsgemäß deutlich stärkere Abnahmen der Körperkerntemperatur als im Kühllager bei +3 °C. Die Unterschiede waren nach dem 2‑seitigen t‑Test für abhängige Stichproben in allen drei Arbeitsphasen hoch signifikant (α ≤ 0,001). Mit zunehmender Expositionszeit sank die Körperkerntemperatur immer weiter ab und erreichte im Mittel maximale Abnahmen von bis zu 1,6 K (vgl. Abb. 4). Auch die 20-minütigen Aufwärmpausen gewährleisteten keine hinreichende Wiedererwärmung, sodass die Apn stets „vorbelastet“ in die nächste Arbeitsphase gingen. Die Analyse einzelner Temperaturverläufe zeigte zudem, dass insbesondere bei den älteren Apn die Kerntemperatur im Mittel oftmals auf Werte unter 35 °C abfiel. In Einzelfällen kam es sogar zu einem deutlich stärkeren Abfall um bis zu 3 K, was gleichzeitig ein Unterschreiten des Grenzwertes von 34 °C bedeutet.
3.4 Subjektives Empfinden
Die zuvor vorgestellten objektiven Ergebnisse sollten durch das subjektiv wahrgenommene Beanspruchungserleben ergänzt werden. Von besonderer Bedeutung war dabei das Kälteempfinden, wobei die Apn alle 15 min während der Arbeit sowie am Ende der Aufwärmpause zu Kälteempfindungen in ausgewählten Körperbereichen befragt wurden. Hierbei sollten die Apn ihre Empfindungen einem Zahlenwert zwischen 0 und 4 (0 = „keine“, 1 = „kühl“, 2 = „kalt“, 3 = „sehr kalt“, 4 = „unerträglich kalt“) zuordnen.
Das Arbeiten bei +3 °C führte in Häufigkeit des Auftretens, und was die Intensität betrifft, insgesamt zu geringen Kälteempfindungen. Insbesondere an der Nase sowie an den Fingern kam es lediglich zeitweise zu „kühlen“ bis „kalten“ Empfindungen. Keine der Apn gab während des Kommissionierens im Kühllager eine sehr kalte bis unerträglich kalte Empfindung an. Die Kälteempfindungen sind in den genannten Körperbereichen wohl darauf zurückzuführen, dass die Nase der Umgebungstemperatur ungeschützt ausgesetzt ist und die im Kühllager eingesetzten Strickhandschuhe die Wärmeleitung zwischen den Fingern und der zu kommissionierenden Ware nicht in ausreichendem Maße unterbinden können.
Sowohl die Anzahl der Personen, die überhaupt Kälteempfindungen verspürten, als auch die Intensität nahmen im Tiefkühllager bei −24 °C erwartungsgemäß deutlich zu. Die von Kälteempfindungen besonders betroffenen Körperbereiche fanden sich vor allem an den Extremitäten. Insbesondere wurden die Zehen und Finger sowie das ungeschützte Gesicht genannt. Die Höhe der Kälteempfindungen bewegte sich meist im Bereich zwischen 1 („kühl“) und 2 („kalt“). In Einzelfällen wurde die Intensität aber auch mit einer 3 („sehr kalt“) bewertet. Neben der Umgebungstemperatur hat auch die Expositionsdauer einen Einfluss auf die Zunahme der kältebedingten Empfindungen. So waren am Ende der längsten Arbeitsphase von 120 min in den meisten Körperbereichen Kälteempfindungen feststellbar, und oftmals reichte die anschließende 20-minütige Aufwärmpause nicht aus, um die anhaltend negativen Empfindungen gänzlich zu vermeiden.
Am Ende eines jeweiligen Versuchstages wurden die Apn zu den Themenbereichen Arbeitsumgebung, Kälteschutzkleidung, Arbeitsmittel, Arbeitszeitregelung, Arbeitsbedingungen sowie dem körperlichen Befinden befragt. Die deutlichsten Unterschiede zwischen den beiden Lagerbereichen ergaben sich in der Bewertung der ganzheitlichen körperlichen Beanspruchung. Abb. 5 zeigt die Gesamtbeurteilung der körperlichen Beanspruchung während des Kommissionierens im Kühl- bzw. Tiefkühllager in Abhängigkeit von Alter und Geschlecht, wobei es hier deutliche Unterschiede in der Wahrnehmung gab. Während die körperliche Beanspruchung im Kühllagerbereich tendenziell als niedrig eingestuft wurde, kehrte sich dieser Eindruck im Tiefkühllager insbesondere bei den weiblichen Apn um.
4 Diskussion
Menschengerechte Arbeitsplätze sind immer dann gegeben, wenn die technisch beeinflussbaren Faktoren am Arbeitsplatz, im Arbeitsablauf, in der Arbeitsumgebung und bei den Arbeitsmitteln so gestaltet sind, dass sie den Fähigkeiten und Leistungsgrenzen des Menschen entsprechen. Das Kommissionieren von Kühl- und Tiefkühlware in einem Warenverteilzentrum stellt für den Körper eine Doppelbelastung dar. Neben der schon als körperlich anspruchsvoll einzustufenden Tätigkeit des Kommissionierens wird der Organismus zusätzlich – vor allem bei der Arbeit im −24 °C kalten Tiefkühlbereich – einer enormen Kältebelastung ausgesetzt. Die Besonderheit der Kältearbeit liegt somit vor allem in der Belastungskombination aus Arbeitsschwere und Umwelteinfluss. Während die Kommissionierer über einen durchschnittlichen Arbeitstag hinweg ca. 10 t an Waren Heben und Umsetzen und dabei gleichzeitig Kälteschutzkleidung mit einem Gewicht von bis zu 6 kg tragen, hat ihr Körper zusätzlich die Aufgabe, über die verschiedenen Mechanismen der Thermoregulation die Körperkerntemperatur auf einem konstanten Niveau um ca. 37 °C zu halten, was ihm aber in der tiefen Kälte nur unzureichend bis gar nicht gelingt.
Sowohl die Sauerstoffaufnahme während des Kommissionierens als auch die erfassten Herzschlagfrequenzwerte zeigen, dass unabhängig vom Lagerbereich an und zeitweise sogar knapp oberhalb der energetischen Dauerleistungsgrenze gearbeitet wird. Der ermittelte Arbeitspuls, als Differenz der erfassten Herzschlagfrequenz zum morgendlichen Ruhewert, zeigte mit mittleren Werten von 30 Schlägen/min im Kühllager und von 34–35 Schlägen/min im Tiefkühllager, dass körperlich schwere Arbeit vorliegt, wobei die höheren Werte im Tiefkühllager sicherlich auch auf das zusätzliche Gewicht der Kälteschutzkleidung zurückzuführen sind, was die Einschätzung von Rintamäki (2007) bestätigt. Die moderaten Abnahmen der Körperkerntemperatur im Kühllager lassen den Schluss zu, dass die erhöhte metabolische Wärmeproduktion durch das körperlich schwere Kommissionieren der Warenpakete ausreicht, um den wohl eher geringen Wärmeverlust in der kühlen Umgebung weitestgehend auszugleichen. Damit werden auch die Annahmen von Kluth et al. (2008; 2008/2009) bestätigt, wonach die aus der Arbeitsbelastung heraus produzierte Muskelwärme aus Sicht des Kälteschutzes als vorteilhaft anzusehen ist. Im −24 °C kalten Tiefkühllager kam es aber, trotz der eingesetzten Kälteschutzkleidung und der wärmeproduzierenden körperlich schweren Arbeit, zu signifikanten Abnahmen der Körperkerntemperatur, die selbst in den 20-minütigen Aufwärmpausen nicht mehr gänzlich kompensiert werden konnten. Es ist daher anzunehmen, dass der Körper des arbeitenden Menschen täglich merklich auskühlt. Das geht nicht nur mit einer durch die subjektive Befragung bestätigten Kälteempfindung und somit einer gewissen Unbehaglichkeit einher. Vielmehr muss bei der ergonomischen Arbeitsplatzgestaltung auch das Risiko arbeitsbedingter Folgeerkrankungen (siehe u. a. Hassi et al. 2005; Mäkinen 2007) auf ein kleinstmögliches Maß reduziert werden.
5 Schlussfolgerungen
Die Ergebnisse der Feldstudie zeigen, dass der hohen physischen Belastung und Beanspruchung durch die Superposition von körperlich schwerer Arbeit und gleichzeitiger Klimabelastung durch eine adäquate Arbeitsplatzgestaltung zwingend Rechnung getragen werden muss. Die Untersuchungsergebnisse von Penzkofer (2013) und Groos (2018) lassen den Schluss zu, dass bei der Arbeitsplatzgestaltung des Kältekommissionierers eine Differenzierung nach Alter und Geschlecht nicht notwendig ist. Vielmehr scheint die Leistungsfähigkeit und somit auch die Arbeitsfähigkeit durch eine individuelle und betriebliche Gesundheitsförderung kurz- und langfristig positiv beeinflussbar zu sein (vgl. Leino-Arjas et al. 2004). Eine Erhöhung der physischen Leistungsfähigkeit fördert nach Maeda et al. (2005) zudem die Toleranz gegenüber Kälte. Neben der Förderung der individuellen körperlichen Konstitution ist dennoch eine Anpassung und verbindliche Regelung der Arbeitszeit-Pausenzeit-Regime für unterschiedliche Kältebereiche zwingend notwendig (Groos et al. 2018b). Des Weiteren sollten Unternehmen bei der Auswahl der Kälteschutzkleidung qualitative Aspekte rein ökonomischen Überlegungen vorziehen. Denn ein mangelhafter Kälteschutz kann oftmals kurzfristig in Erkältungskrankheiten resultieren und langfristig zu vielfältigen Erkrankungen der Atemwege und des Muskel-Skelett-Systems führen, was wiederum mit hohen Ausfallzeiten und somit Krankheitskosten verbunden ist.
Im Sinne des präventiven Gesundheitsschutzes, und damit des Erhalts der Arbeitsfähigkeit und der Minimierung der betrieblichen Kosten sowie bei einer Sicherstellung der Arbeitsprozesseffizienz, ist abschließend für den Arbeitsplatz des Kältekommissionierers zu empfehlen, die individuelle Gesundheit zu fördern, die Arbeits- und Pausenzeiten anzupassen und die Kälteschutzkleidung zu optimieren.
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Groos, S., Penzkofer, M., Strasser, H. et al. Kommissionieren in Kälte – eine Superposition aus körperlich schwerer Arbeit und Klimabelastung. Z. Arb. Wiss. 75, 227–235 (2021). https://doi.org/10.1007/s41449-021-00267-6
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