Schlüsselwörter

FormalPara Kernaussagen

Zwischen November 2020 und April 2021 wurde im Rahmen der bundesweiten Studie „Hohes Alter in Deutschland“ (D80+) eine repräsentative schriftliche Befragung von mehr als 10.000 Personen ab 80 Jahren zu deren Lebenssituation und Lebensqualität durchgeführt. Die Befragung erfolgte damit unter dem Eindruck der zweiten und dritten Welle der Coronapandemie. Das vorliegende Kapitel beschreibt die gesundheitliche Situation sehr alter Menschen auf Grundlage von exemplarisch ausgewählten objektiven Gesundheitsindikatoren wie der Anzahl von ärztlich behandelten Erkrankungen und Pflegebedürftigkeit sowie der subjektiven Bewertung des Gesundheitszustands. Darüber hinaus wird der Zusammenhang zwischen der Gesundheit der Hochaltrigen und ihrer Lebenszufriedenheit und Autonomie dargestellt.

Die meisten Hochaltrigen sind mit mindestens einer Erkrankung in Behandlung. Die 80-Jährigen und Älteren geben an, im Durchschnitt 4,7 Erkrankungen zu haben. Die 80- bis 84-Jährigen haben im Vergleich zu den höheren Altersgruppen die wenigsten Erkrankungen. Zudem berichten Frauen in allen Altersgruppen mehr Erkrankungen als Männer. Des Weiteren haben die Menschen mit niedriger Bildung mehr Erkrankungen als die Hochaltrigen mit höheren Bildungsabschlüssen. Auch die Pflegeheimbewohner:innen berichten mehr Erkrankungen als die Personen, die in einem Privathaushalt leben.

Fast zwei Drittel der Hochaltrigen haben keinen Pflegebedarf. Erst in der ältesten Population (90+ Jahre) überwiegt die Pflegebedürftigkeit mit 76 %. Frauen berichten häufiger pflegebedürftig zu sein als Männer. Die niedrig gebildeten Hochaltrigen sind häufiger pflegebedürftig als die Menschen mit höherer Bildung. Erwartungsgemäß weisen Heimbewohner:innen höheren Pflegebedarf auf als die in Privathaushalt Lebenden.

Obwohl die Mehrheit der Hochaltrigen mehrfach erkrankt ist, bewertet mehr als die Hälfe ihre Gesundheit als eher gut oder sehr gut. Eine negative Bewertung des Gesundheitszustands dominiert nur bei den 90-jährigen oder älteren Frauen und Pflegeheimbewohner:innen. Jedoch fühlen sich die Hochaltrigen mit niedriger Bildung insgesamt gesundheitlich schlechter als die höher Gebildeten. Auch die Personen, die in Ostdeutschland leben, beschreiben ihre subjektive Gesundheit schlechter als die Hochaltrigen aus Westdeutschland.

Trotz eingeschränkter Gesundheit ist die Mehrheit der 80-Jährigen und Älteren mit ihrem Leben zufrieden und lebt nach ihren eigenen Vorstellungen. Erst stark gesundheitlich beeinträchtigte Personen bewerten ihre Lebenszufriedenheit und ihre Autonomie häufiger negativ. Darüber hinaus berichten besonders hochaltrige Heimbewohner:innen häufig eine niedrige Lebensqualität.

Einleitung

Eine gute Gesundheit war insbesondere während der Coronapandemie ein großer Wunsch vieler Menschen. Doch in der Population der älteren Menschen hatte die eigene Gesundheit bereits vor der Pandemie einen hohen Stellenwert (Böhm et al. 2009). Die Datenerhebung der Studie „Hohes Alter in Deutschland“ (D80+) erfolgte während der zweiten und dritten Welle der Pandemie, die von umfassenden Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung sowie durch die höchsten Infektions- und Todeszahlen bei den Menschen ab 80 Jahren geprägt waren (Hansen et al. 2023). Daher gehen wir in diesem Kapitel davon aus, dass unsere Befunde die Gesundheitssituation der HochaltrigenFootnote 1 in Deutschland in der Coronapandemie abbilden.

In der Vergangenheit wurde Gesundheit häufig aus einer rein medizinischen Perspektive als Abwesenheit von Krankheit angesehen. Heutzutage wird zunehmend eine interdisziplinäre Betrachtung gewählt. Die Weltgesundheitsorganisation definiert Gesundheit als „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur als das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen“ (Weltgesundheitsorganisation 2014, S. 1). Das bedeutet, dass unter Gesundheit sowohl der körperliche Gesundheitszustand als auch das subjektive Gesundheitserleben verstanden werden soll (Motel-Klingebiel et al. 2010). Aus diesem Grund wird im vorliegenden Kapitel die gesundheitliche Lage von hochaltrigen Menschen auf Grundlage von exemplarisch ausgewählten objektiven Gesundheitsindikatoren wie der Anzahl von ärztlich behandelten Erkrankungen und Pflegebedürftigkeit im sozialrechtlichen Sinne sowie der subjektiven Bewertung des Gesundheitszustands betrachtet. Anhand von ärztlich behandelten Erkrankungen wird die körperliche Gesundheit der Hochaltrigen abgebildet. Die Pflegebedürftigkeit bezieht sich auf dauerhafte körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen sowie Einschränkungen der Selbstständigkeit, die als Folgen von körperlichen Erkrankungen auftreten können. Die subjektive Bewertung der Gesundheit stellt die individuelle Wahrnehmung des eigenen Gesundheitszustands dar. Durch diese drei Indikatoren wird daher die körperliche Gesundheit, ihre Folgen und die subjektive Wahrnehmung eigener Gesundheit beschrieben.

Erkrankungen und Multimorbidität

Im Lebensabschnitt des hohen und sehr hohen Alters kommt es zu einer Zunahme von Erkrankungen, insbesondere chronischer Erkrankungen (Maresova et al. 2019). Für Personen über 75 Jahren gibt das Robert Koch-Institut Bluthochdruck, Arthrose und erhöhte Blutfette als die drei häufigsten Erkrankungen von Frauen sowie Bluthochdruck, kardiovaskuläre Erkrankungen und Arthrose als die häufigsten Erkrankungen bei Männern an (Robert Koch-Institut 2015). Mit der höheren Wahrscheinlichkeit von einzelnen Erkrankungen geht eine höhere Wahrscheinlichkeit einher, von mehreren Erkrankungen gleichzeitig betroffen zu sein. Bereits aus der Berliner Altersstudie (BASE) geht hervor, dass hochaltrige Menschen häufig von mehreren chronischen Erkrankungen gleichzeitig betroffen sind (Steinhagen-Thiessen und Borchelt 2010). Das gleichzeitige Vorliegen von mehreren Erkrankungen wird Multimorbidität genannt (Johnston et al. 2019).

In der Berliner Altersstudie (Steinhagen-Thiessen und Borchelt 2010) zeigte sich, dass 18,6 % der Männer und 27,1 % der Frauen zwischen 70 und 84 Jahren von fünf oder mehr Erkrankungen betroffen waren. In der Gruppe der Ab-85-Jährigen waren dies sogar 40,9 % (Männer) und 54,3 % (Frauen). Wurde in der BASE-Studie unter Multimorbidität noch das Vorliegen von fünf oder mehr Erkrankungen verstanden, werden in neueren Studien hierfür eher zwei oder drei Erkrankungen definiert. In der Studie Gesundheit in Deutschland aktuell (GEDA) wird Multimorbidität als Vorhandensein von mindestens zwei Erkrankungen umgesetzt. Bei diesem Vorgehen wurden 75,4 % der Frauen und 68 % der Männer zwischen 65 und 74 Jahren als multimorbid eingestuft. Bei einem Alter von 75 oder mehr Jahren erhöhten sich diese Anteile auf 81,7 % (Frauen) und 74,2 % (Männer) (Robert Koch-Institut 2015). Aus dieser alters- und geschlechtsdifferenzierten Darstellung wird bereits ersichtlich, dass Alter und Geschlecht bedeutende Risikofaktoren für Multimorbidität sind (Violan et al. 2014). Multimorbidität steht auch im Zusammenhang mit dem sozioökonomischen Status (Lampert und Hoebel 2019). International weisen Entwicklungen auf eine Zunahme von multimorbiden Menschen hin, die auch auf eine verbesserte Diagnostik und geringere Mortalitätsraten von Schlaganfällen oder Herzinfarkten zurückzuführen ist (Calderón-Larrañaga et al. 2019).

Auswirkungen von Multimorbidität wurden in den systematischen Übersichtsarbeiten von Marengoni et al. (2011) sowie Makovski et al. (2019) zusammengetragen. Multimorbidität geht demnach mit einem funktionalen Abbau, höherer Depressivität und geringerer Lebenszufriedenheit, einer erhöhten Sterblichkeit und einer gesteigerten Inanspruchnahme des Gesundheitssystems einher. Externalen Ressourcen kommt in der Behandlung von chronischen Erkrankungen eine gesteigerte Bedeutung zu (Holzhausen und Scheidt-Nave 2012). Diese Ressourcen sind in der Hochaltrigkeit jedoch Abbauprozessen ausgesetzt. Die Studie D80+ ermöglicht nun Vergleiche innerhalb verschiedener Gruppen der Hochaltrigen und trägt zur Erklärung bei, wie und wann Erkrankungen die Lebensqualität von Hochaltrigen beeinflussen.

Pflegebedürftigkeit

Als zweiter Indikator des objektiven Gesundheitszustands wurde die Pflegebedürftigkeit im Sinne des XI. Sozialgesetzbuches (SGB XI) verwendet. Als pflegebedürftig werden Personen bezeichnet, die auf Dauer körperliche, kognitive oder psychische Krankheiten oder Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit in erheblicher oder höherer Schwere aufweisen (§ 14 Absatz 1 SGB XI). Der Umfang der Pflegebedürftigkeit wird anhand von fünf PflegegradenFootnote 2 festgelegt, indem eine Einschätzung der Selbstständigkeit in Mobilität, Selbstversorgung, Alltagsgestaltung, Behandlung und Therapie sowie kognitiver Fähigkeiten durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen vorgenommen wird. Aus den Pflegestatistiken wird ersichtlich, dass der Anteil an pflegebedürftigen Personen in den letzten Jahren angestiegen ist (Statistisches Bundesamt 2017, 2019, 2020). Nach eigenen Berechnungen, die auf den Daten der Gesundheitsberichterstattung des Bundes (2021) und des Statistischen Bundesamtes (2021b) basieren, waren im Jahr 2019 40,0 % der 80-jährigen oder älteren Personen in Deutschland pflegebedürftig. Zwei Jahre davor lag dieser Anteil bei 36,5 %. Darüber hinaus steigt mit dem Alter der Anteil der Pflegebedürftigen. Im Jahr 2019 waren 26,4 % der 80- bis 85-Jährigen pflegebedürftig. In der Altersgruppe der 85- bis 90-Jährigen lag dieser Anteil bei 49,4 % und bei den Ältesten waren bereits 76,3 % als pflegebedürftig anerkannt. In allen Altersgruppen waren deutlich mehr Frauen als Männer von einer Pflegebedürftigkeit betroffen (Statistisches Bundesamt 2020). Von den Personen mit Pflegebedarf waren den meisten Hochaltrigen im Jahr 2019 Pflegegrad 2 (17,4 %) und Pflegegrad 3 (11,8 %) zugeordnet. Pflegegrad 4 erhielten 5,9 % der 80-Jährigen oder Älteren, bei 2,6 % wurde Pflegegrad 1 und bei 2,2 % Pflegegrad 5 anerkannt.

Der Zusammenhang zwischen der Pflegebedürftigkeit nach SGB XI und weiteren soziodemografischen Merkmalen wurde bislang in Deutschland nur vereinzelt untersucht (Lampert und Hoebel 2019). Die wenigen Befunde zeigen, dass höheres Alter, Multimorbidität, niedrige berufliche Stellung oder niedriges Einkommen das Risiko für Pflegebedürftigkeit erhöhen (Borchert 2008; Borchert und Rothgang 2008; Unger et al. 2015). Die D80+-Daten ermöglichen weitere Zusammenhänge mit verschiedenen Facetten der Lebensqualität der Hochaltrigen in Deutschland zu untersuchen und diese auf nationaler Ebene zu vergleichen.

Da sich das Konzept der Pflegebedürftigkeit auf das SGB XI und damit auf die Bundesrepublik bezieht, gibt es zur Pflegebedürftigkeit in diesem Sinn keine internationalen Studien. In der internationalen Forschung wird häufig das verwandte Konstrukt der funktionalen Gesundheit verwendet. Forschungsergebnisse zur funktionalen Gesundheit hochaltriger Menschen stimmen mit den Ergebnissen zur Pflegebedürftigkeit weitgehend überein (d’Orsi et al. 2014; Freedman et al. 2002; Palese et al. 2016). Darüber hinaus weisen Studien darauf hin, dass Frauen häufiger von funktionalen Einschränkungen betroffen sind als Männer (d’Orsi et al. 2014; van Houwelingen et al. 2014). Dieser Zusammenhang wurde ebenfalls in der Auswertung des Deutschen Alterssurveys (DEAS) bei 40-jährigen und älteren Personen beobachtet (Spuling et al. 2019; Wolff et al. 2017). In der wissenschaftlichen Literatur besteht Konsens darüber, dass funktionale Beeinträchtigung zur Verschlechterung der Lebensqualität beiträgt (Liu et al. 2020; Sánchez-García et al. 2019; Schilling et al. 2013).

Subjektive Gesundheit

Als Indikator der subjektiven Gesundheit wurde die Bewertung des eigenen Gesundheitszustands verwendet, wobei Menschen selbst einschätzen, wie sie sich gesundheitlich fühlen und ob sie durch ihre Erkrankung(en) eingeschränkt sind. Der subjektiven Gesundheitsbewertung wird im Alter in Abgrenzung zu rein objektiven Gesundheitsindikatoren (u. a. medizinischen Diagnosen) eine besondere Bedeutung beigemessen, vor allem aufgrund ihrer hohen Vorhersagekraft für Mortalität (Berger et al. 2015; Chavan et al. 2021; Jylhä 2009). In der Literatur wird die subjektive Gesundheit der gesundheitsbezogenen Lebensqualität gleichgesetzt (Bullinger und Kirchberger 1998). Zudem konnte eine zunehmende Diskrepanz von objektiven Gesundheitsindikatoren und subjektiver Gesundheitsbewertung im höheren Alter nachgewiesen werden (Wettstein et al. 2016), d. h. Menschen bewerten ihre subjektive Gesundheit besser als es aufgrund der objektiven Indikatoren erwartbar wäre. Dieser konstante Befund wird in der Gerontologie als Gesundheitsparadox bezeichnet (Wettstein et al. 2016), der durch hohe Resilienz gegenüber gesundheitlichen Verlusten im sehr hohen Alter erklärt wird.

Betrachtet man die Befunde des DEAS, zeigt sich, dass im Jahr 2014 insgesamt mehr als die Hälfte der 40-Jährigen und Älteren ihren Gesundheitszustand als gut oder sehr gut bewerteten (Spuling et al. 2017). Mit steigendem Alter verschlechterte sich zwar die Bewertung (Spuling et al. 2017, 2019; Wurm et al. 2009), jedoch berichteten immer noch mehr als 40 % der 75-Jährigen und Älteren im Jahr 2003 (Wurm et al. 2009) sowie der 70-Jährigen und Älteren im Jahr 2014 (Spuling et al. 2017) einen guten oder sehr guten Gesundheitszustand. Während keine Geschlechterunterschiede festgestellt werden konnten (Spuling et al. 2017, 2019), schätzten Personen mit einem höheren Bildungsabschluss ihre Gesundheit besser ein als Personen mit einer niedrigen Bildung (Spuling et al. 2017). Ähnliche Ergebnisse wurden in der GEDA-Studie des Robert Koch-Institutes berichtet (Lampert et al. 2013).

In den internationalen Studien konnten die in der Population der älteren Menschen beobachteten Zusammenhänge bestätigt werden. So wurde ebenfalls berichtet, dass sich die Wahrscheinlichkeit für eine schlechte subjektive Bewertung des Gesundheitszustands mit höherem Alter (Golini und Egidi 2016; Prus 2011; Silva 2014) sowie mit niedrigerem sozioökonomischem Status erhöht (Golini und Egidi 2016; Kuosmanen et al. 2016; Prus 2011; Trachte et al. 2016). Hinsichtlich des Geschlechtes zeigen die Studien außerhalb Deutschlands überwiegend, dass Frauen eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, ihre subjektive Gesundheit schlechter zu bewerten (Golini und Egidi 2016; Millán-Calenti et al. 2012; Prus 2011; Trachte et al. 2016). Allerdings kamen zwei Studien zu dem Schluss, dass Männer signifikant häufiger einen schlechten Gesundheitszustand berichteten (Kuosmanen et al. 2016; Schneider et al. 2021).

Ziel

Auf der Grundlage einer repräsentativen Stichprobe wird im vorliegenden Kapitel beschrieben, inwiefern sehr alte Menschen in Deutschland von typischen altersassoziierten Erkrankungen und Pflegebedürftigkeit betroffen sind und wie sie ihren Gesundheitszustand subjektiv erleben. Darüber hinaus werden Auswirkungen der objektiven und subjektiven Gesundheitsindikatoren auf die Lebenszufriedenheit und das Empfinden von Autonomie dargestellt.

Ergebnisse

Die Ergebnisse dieses Berichtes basieren auf den Daten der schriftlichen Befragung (n = 10.372) mit folgenden Fallzahlen für die dargestellten Subgruppen hochaltriger Menschen in Deutschland: Männer (n = 3932, 37,9 %), Frauen (n = 6440, 62,1 %); 80–84 Jahre (n = 6123, 59 %), 85–89 Jahre (n = 2793, 26,9 %), 90 Jahre und älter (n = 1456, 14,1 %); Bildung hoch (n = 1682, 16,8 %), mittel (n = 5935, 59,2 %), niedrig (n = 2402, 24,0 %); Privathaushalt (n = 9324, 89,9 %), Heim (n = 1048, 10,1 %); West (n = 8095, 78 %), Ost (n = 2277, 22 %).

Erkrankungen und Multimorbidität

98 % der 80-Jährigen und Älteren berichten von mindestens einer behandelten eigenen Erkrankung. Die Hochaltrigen geben an, im Durchschnitt 4,7 Erkrankungen zu haben. Die 80- bis 84-Jährigen haben weniger Erkrankungen als die Hochaltrigen der beiden ältesten Altersgruppen. Zudem berichten Frauen in allen Altersgruppen mehr Erkrankungen als Männer. Des Weiteren haben die Menschen mit niedriger Bildung mehr Erkrankungen als die Hochaltrigen mit höheren Bildungsabschlüssen. Auch die Pflegeheimbewohner:innen berichten mehr Erkrankungen als die Personen, die in einem Privathaushalt leben.

Die Befragten wurden gebeten Angaben dazu zu machen, mit welchen Erkrankungen sie aktuell in ärztlicher Behandlung sind. Hierzu wurde ihnen eine Liste von 22 Erkrankungen und Störungsbildern vorgelegt, in der sie mit „ja“ oder „nein“ antworten konnten, und ob sie diesbezüglich aktuell behandelt werden. Die Anzahl der Ja-Angaben wurde summiert und als Anzahl der behandelten Erkrankungen abgebildet.

Die drei häufigsten angegebenen behandelten Erkrankungen der Hochaltrigen sind Bluthochdruck (65,1 %), Gelenk- oder Knochenerkrankungen (55 %) und Rückenschmerzen (44,6 %). Frauen sind von allen drei Erkrankungen häufiger betroffen als Männer, wobei die Geschlechterunterschiede beim Bluthochdruck (M: 61,2 % vs. F: 67,5 %, p < 0,001) geringer sind als bei den Gelenks- oder Knochenerkrankungen (M: 40,9 % vs. F: 63,6 %, p < 0,001) und Rückenschmerzen (M: 38,2 % vs. F: 48,6 %, p < 0,001) (s. Tab. 1). Diese Geschlechterunterschiede sind statistisch signifikant.

Tab. 1 Häufigkeiten von behandelten Erkrankungen nach Geschlecht

Im Durchschnitt haben die Hochaltrigen 4,7 Erkrankungen, die ärztlich behandelt werden. 2,2 % der Befragten geben an, keine Erkrankungsbehandlung zu haben und 7,6 % der Teilnehmer:innen haben nur eine Erkrankung (s. Abb. 1). Mit den Daten der D80+-Studie werden, im Verständnis der GEDA-Studie (2 oder mehr Erkrankungen), demnach 90,2 % der Menschen ab 80 Jahren als multimorbid eingestuft. Im Verständnis der Berliner Altersstudie (5 oder mehr Erkrankungen) sind 48,3 % dieser Studienpopulation multimorbid. Damit ist in dieser Studie ein größerer Anteil der Population multimorbid als in den jüngeren Populationen der GEDA-Studie (Robert Koch-Institut 2015) sowie der Berliner Altersstudie (Steinhagen-Thiessen und Borchelt 2010).

Abb. 1
figure 1

Häufigkeiten von Erkrankungen

In allen Altersgruppen geben Frauen mehr Erkrankungen an als Männer (s. Abb. 2). Zudem zeigen sich Unterschiede zwischen der jüngsten Altersgruppe und den beiden älteren Gruppen. Die 80- bis 84-Jährigen geben signifikant weniger Erkrankungen an (p < 0,001), zwischen den beiden ältesten Gruppen können diese Unterschiede nicht nachgewiesen werden (p = 0,747).

Abb. 2
figure 2

Durchschnittliche Erkrankungsraten nach Alter und Geschlecht

Unterschiede in der Häufigkeit der Erkrankungen zeigen sich auch zwischen den verschiedenen Bildungsniveaus (s. Abb. 3). In der Gruppe mit den niedrigsten Bildungsabschlüssen werden durchschnittlich 5,0 Krankheiten behandelt, Personen mit mittleren Bildungsabschlüssen berichten 4,6 und Hochaltrige mit den höchsten Bildungsabschlüssen 4,4 Krankheiten (p < 0,001). Dieser Unterschied kann nicht nur auf Geschlechterunterschiede in der Bildung zurückgeführt werden, denn auch nach statistischer Kontrolle für Alter und Geschlecht bleibt der Effekt der Bildung signifikant.

Abb. 3
figure 3

Durchschnittliche Erkrankungsraten nach Bildung

Erwartungsgemäß werden in der Heimbevölkerung deutlich mehr Erkrankungen berichtet als bei Personen, die in einem Privathaushalt wohnen (Heim: 5,4 Erkrankungen; Privathaushalt: 4,7 Erkrankungen, p < 0,001). Ein kleinerer Unterschied zeigt sich zwischen den westlichen und östlichen Bundesländern: In Westdeutschland haben hochaltrige Menschen statistisch signifikant weniger Erkrankungen als in Ostdeutschland (West: 4,7; Ost: 4,9 Krankheiten, p = 0,002).

Pflegebedürftigkeit

63 % der Hochaltrigen berichten, nicht pflegebedürftig zu sein. Erst in der ältesten Population (90+ Jahre) überwiegt die Pflegebedürftigkeit mit 76 %. Frauen berichten häufiger pflegebedürftig zu sein als Männer. Die niedrig gebildeten Hochaltrigen sind häufiger pflegebedürftig als die Menschen mit höherer Bildung. Erwartungsgemäß weisen Heimbewohner:innen höheren Pflegebedarf auf als die in Privathaushalten Lebenden.

Die Pflegebedürftigkeit wurde durch die Frage „Welcher Pflegegrad oder welche Pflegestufe liegt bei Ihnen vor?“ ermittelt. Die Antwortkategorien reichen von „kein Pflegegrad/keine Pflegestufe“ bis „Pflegegrad 5 (Pflegestufe 3 mit eingeschränkter Alltagskompetenz oder Pflegestufe 3 mit Härtefall)“. Als „nicht pflegebedürftig“ werden Personen betrachtet, die angeben, keinen Pflegegrad oder keine Pflegestufe zu haben. Alle Personen, bei denen der Pflegegrad 1 bis Pflegegrad 5 vorliegt, wurden als „pflegebedürftig“ definiert. Die Verteilung der Pflegegrade in der Studienpopulation (s. Abb. 4) ist vergleichbar mit der Gesamtpopulation der 80-Jährigen und Älteren in Deutschland.Footnote 3

Abb. 4
figure 4

Verteilung von Pflegegraden nach Alter und Geschlecht

37,2 % der Hochaltrigen berichten, pflegebedürftig zu sein. Mit zunehmendem Alter steigt der Anteil an Hochaltrigen, bei denen eine Pflegebedürftigkeit vorliegt. Während in der Altersgruppe der 80–84-Jährigen 23,5 % pflegebedürftig sind, verdoppelt sich der Anteil der Pflegebedürftigen bei den 85–89-Jährigen (46,2 %) und ist mehr als verdreifacht (76,0 %) bei den ältesten Personen (90+ Jahre). Insgesamt steigt der Anteil der Hochaltrigen mit dem Pflegegrad 3, 4 und 5 über die Altersgruppen hinweg. Die Altersunterschiede sind statistisch bedeutsam (p < 0,001).

Ähnlich wie in der amtlichen Statistik (60,1 %) geben im Rahmen der D80+-Studie 62,8 % der hochaltrigen Teilnehmer:innen an, im Sinne des SGB XI nicht pflegebedürftig zu sein (s. Abb. 4). Mit Blick auf die Geschlechterunterschiede zeigt sich, dass deutlich mehr Männer als Frauen (M: 73,8 % vs. F: 56,1 %, p < 0,001) keinen Pflegebedarf haben, dies ist ebenfalls mit der amtlichen StatistikFootnote 4 vergleichbar. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern ist in allen Altersgruppen statistisch signifikant (bei allen Altersgruppen: p < 0,001).

Zieht man das Bildungsniveau in Betracht, zeigen sich ebenfalls signifikante Unterschiede (p < 0,001). So berichten drei Viertel (75,4 %) der Hochaltrigen mit einem hohen Bildungsabschluss, nicht pflegebedürftig zu sein. Bei 64,7 % der Personen mit mittlerem Bildungsniveau liegt kein Pflegegrad und keine Pflegestufe vor, während die Hälfte (50,3 %) der Teilnehmer:innen mit niedriger Bildung berichtet, keinen Pflegegrad zu haben (s. Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Verteilung von Pflegegraden nach Bildung und Wohnform

Die Verteilung der Pflegegrade in der Heimbevölkerung ist ebenfalls vergleichbar mit der Verteilung der gesamten hochaltrigen Population in Deutschland, die in der vollstationären DauerpflegeFootnote 5 versorgt wird. Erwartungsgemäß ist der Anteil der nicht pflegebedürftigen Hochaltrigen deutlich höher unter den Personen, die in Privathaushalten leben (69,4 %). In der Heimbevölkerung liegt dieser Anteil bei 5,8 %. Die meisten Heimbewohner:innen geben an, Pflegegrad 2 bis 5 zu haben (s. Abb. 5). Bei den Personen, die in einem Privathaushalt leben, überwiegt der Pflegegrad 2 und 3. Diese Unterschiede sind statistisch signifikant (p < 0,001).

In Bezug auf die Verteilung der Pflegegrade zeigt sich kein statistisch bedeutsamer Unterschied zwischen den Hochaltrigen, die in West- und Ostdeutschland leben (p = 0,593). So geben 62,8 % der Befragten aus Westdeutschland und 63,0 % aus Ostdeutschland an, keinen Pflegebedarf zu haben. Zu ähnlich hohen Anteilen liegt Pflegegrad 1 (West: 5,4 %; Ost: 6,2 %), Pflegegrad 2 (West: 13,9 %; Ost: 13,5 %), Pflegegrad 3 (West: 11,6 %; Ost: 12,2 %), Pflegegrad 4 (West: 4,7 %; Ost: 3,6 %) sowie Pflegegrad 5 (West: 1,6 %; Ost: 1,6 %) vor. In der gesamten hochaltrigen Population wurde eine vergleichbare Verteilung in den BundesgebietenFootnote 6 identifiziert.

Subjektive Gesundheitseinschätzung

Mehr als die Hälfte der hochaltrigen Menschen bewertet ihre Gesundheit als eher gut oder sehr gut. Eine negative Bewertung des Gesundheitszustands dominiert nur bei den 90-jährigen und älteren Frauen und bei Pflegeheimbewohner:innen. Jedoch fühlen sich die Hochaltrigen mit niedrigerer Bildung insgesamt gesundheitlich schlechter als die höher Gebildeten. Auch die Personen, die in Ostdeutschland leben, beschreiben ihre subjektive Gesundheit schlechter als die Hochaltrigen aus den westlichen Bundesländern.

Die subjektive Einschätzung des eigenen Gesundheitszustands erfolgte durch die Beantwortung der Frage „Wie würden Sie Ihren Gesundheitszustand in den letzten 4 Wochen im Allgemeinen beschreiben?“, die aus dem SF-36: Fragebogen zum Gesundheitszustand (Bullinger und Kirchberger 1998) übernommen wurde. Die Studienteilnehmer:innen konnten ihren Zustand auf einer vierstufigen Skala von „1 = sehr schlecht“ bis „4 = sehr gut“ bewerten.

Ähnlich wie bei der 40-jährigen und älteren Bevölkerung (Spuling et al. 2017) zeigen die Ergebnisse des schriftlichen Fragebogens der D80+-Studie, dass mehr als die Hälfte (61,2 %) der hochaltrigen Menschen in Deutschland ihre Gesundheit als eher gut oder sehr gut bewertet (s. Abb. 6). Zwischen den Altersgruppen und den Geschlechtern sind statistisch signifikante Unterschiede zu beobachten. So schätzen Frauen häufiger ihren Gesundheitszustand als sehr schlecht oder eher schlecht ein als Männer (F: 41,6 % vs. M: 34,1 %, p < 0,001). Die Geschlechterunterschiede sind auch in der Altersgruppe der 80–84-Jährigen (F: 35,8 % vs. M: 30,0 %, p < 0,001) sowie bei den Ältesten statistisch relevant (F: 53,2 % vs. M: 44,1 %, p < 0,001). Darüber hinaus sinkt mit zunehmendem Alter statistisch bedeutsam der Anteil an Hochaltrigen, die ihre Gesundheit als eher gut oder sehr gut bewerten (p < 0,001).

Abb. 6
figure 6

Subjektive Gesundheitseinschätzung nach Alter und Geschlecht

Die subjektive Bewertung des Gesundheitszustands der Ab-80-Jährigen unterscheidet sich statistisch signifikant ebenfalls in Bezug auf das Bildungsniveau (p < 0,001). So schätzen mehr als zwei Drittel (69,5 %) der hochgebildeten Hochaltrigen ihre Gesundheit als eher gut oder sehr gut ein, während 61,3 % der Personen mit mittlerem und 55,4 % der Hochaltrigen mit niedrigem Bildungsniveau ihre Gesundheit positiv beschreiben (s. Abb. 7).

Abb. 7
figure 7

Subjektive Gesundheitseinschätzung nach Bildung, Wohnform und Region

Die Ergebnisse der D80+-Studie zeigen erwartungsgemäß, dass die in einem Heim lebenden Hochaltrigen ihre Gesundheit signifikant schlechter bewerten als die in Privathaushalten lebenden Teilnehmer:innen. So beschreibt mehr als die Hälfte (55,9 %) der Heimbewohner:innen ihren Gesundheitszustand als sehr schlecht oder eher schlecht (s. Abb. 7). Bei den in Privathaushalten lebenden Hochaltrigen überwiegt die positive Einschätzung (63,2 %).

Die Hochaltrigen, die in Westdeutschland leben, schätzen ihre Gesundheit statistisch signifikant besser ein als die Hochaltrigen aus östlichen Bundesländern (p = 0,008). So geben 62,2 % der Personen aus Westdeutschland und nur 57,9 % der Personen aus Ostdeutschland an, einen eher guten oder sehr guten Gesundheitszustand zu haben (s. Abb. 7).

Zusammenhang zwischen Gesundheit und Lebensqualität

Trotz eingeschränkter Gesundheit berichtet die Mehrheit der 80-Jährigen und Älteren, insgesamt mit ihrem Leben zufrieden zu sein und es nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Erst gesundheitlich sehr beeinträchtigte Personen bewerten ihre Lebenszufriedenheit und Autonomie häufiger negativ. Darüber hinaus geben besonders hochaltrige Heimbewohner:innen an, eine niedrigere Lebensqualität zu haben.

Häufig berichten ältere Menschen eine hohe Lebenszufriedenheit, obwohl ihre körperliche Gesundheit nach objektiven Maßen deutlich eingeschränkt ist. Daher wurde abschließend analysiert, wie sich die Zufriedenheit sehr alter Menschen nach objektivem sowie subjektivem Gesundheitszustand unterscheidet und in welchem Zusammenhang diese Maße stehen. Für die Bewertung der Zufriedenheit wurde die Frage „Alles in allem, wie zufrieden sind Sie gegenwärtig mit Ihrem Leben?“ verwendet, die auf einer 11-stufigen Skala (0 = vollkommen unzufrieden bis 10 = vollkommen zufrieden) erhoben wurde. Insgesamt haben die 80-jährigen und älteren Menschen in Deutschland ihre Lebenszufriedenheit ziemlich hoch bewertet (im Durchschnitt mit 7,2 Punkten).

In Abb. 8, 9 und 10 wird dargestellt, wie sich die durchschnittliche Bewertung der allgemeinen Zufriedenheit anhand der drei Gesundheitsindikatoren unterscheidet. Aus den Diagrammen wird deutlich, dass die Lebenszufriedenheit der Ab-80-Jährigen mit einer Verschlechterung des objektiven sowie subjektiven Gesundheitszustands abnimmt. Dennoch schätzen die Hochaltrigen ihre Lebenszufriedenheit überwiegend positiv ein. Erst sehr alte Personen, die eine Pflegebedürftigkeit mit Grad 5 aufweisen beziehungsweise ihren Gesundheitszustand als sehr schlecht beschreiben, bewerten ihre Lebenszufriedenheit leicht negativ im Schnitt mit knapp 5 Punkten. Für die Anzahl der Erkrankungen lässt sich ein ähnlicher Trend feststellen: Mit mehr Erkrankungen sinkt die Lebenszufriedenheit. Alle Unterschiede sind statistisch bedeutsam (p < 0,001).

Abb. 8
figure 8

Durchschnittliche Bewertung der Zufriedenheit und Anzahl behandelter Erkrankungen nach Wohnform

Abb. 9
figure 9

Durchschnittliche Bewertung der Zufriedenheit und Verteilung von Pflegegraden nach Wohnform

Abb. 10
figure 10

Durchschnittliche Bewertung der Zufriedenheit und subjektive Gesundheitseinschätzung nach Wohnform

Der Zusammenhang der Gesundheitsindikatoren mit der Lebenszufriedenheit wurde über ein multiples Vorhersagemodell überprüft. Erwartungsgemäß ist die Lebenszufriedenheit der Hochaltrigen vom Niveau aller Gesundheitsindikatoren abhängig. Die Bewertung der Lebenszufriedenheit sinkt mit steigendem Pflegegrad (p < 0,001) sowie mit der steigenden Anzahl von ärztlich behandelten Krankheiten (p = 0,002). Ähnlich sieht es mit Blick auf die subjektive Gesundheit aus. Eine schlechtere Bewertung des eigenen Gesundheitszustands verringert die Lebenszufriedenheit (p < 0,001). Darüber hinaus ist die Lebenszufriedenheit von Geschlecht, Wohnform und Region abhängig. Frauen, Pflegeheimbewohner:innen sowie in Ostdeutschland lebende Personen schätzen ihre Lebenszufriedenheit schlechter ein.

Neben der Lebenszufriedenheit wird auch die erlebte Autonomie als wichtiger Aspekt von Lebensqualität gesehen. In der Studie wurden die Teilnehmer:innen gefragt „Gestalten sie ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen?“ und konnten in 4 Stufen zwischen „1 = trifft gar nicht zu“ bis „4 = trifft genau zu“ antworten. Im Durchschnitt bewerten hochaltrige Menschen ihre Autonomie mit 3,3 Punkten. Abb. 11, 12 und 13 stellen dar, wie sich die durchschnittliche Bewertung der Autonomie anhand der drei Gesundheitsindikatoren unterscheidet. Wie aus den Grafiken hervorgeht, verringert sich das Autonomieerleben der 80-Jährigen und Älteren bei einer schlechteren Bewertung des objektiven sowie des subjektiven Gesundheitszustands.

Abb. 11
figure 11

Durchschnittliche Bewertung der Autonomie und Anzahl behandelten Erkrankungen nach Wohnform

Abb. 12
figure 12

Durchschnittliche Bewertung der Autonomie und Verteilung von Pflegegraden nach Wohnform

Abb. 13
figure 13

Durchschnittliche Bewertung der Autonomie und subjektive Gesundheitseinschätzung nach Wohnform

Durch das multiple Vorhersagemodell kann bestätigt werden, dass alle drei untersuchten Gesundheitsindikatoren im Zusammenhang zur erlebten Autonomie stehen. Je gesünder die Hochaltrigen sind, desto höher bewerten sie auch ihre Autonomie. Das beschriebene Zufriedenheitsparadoxon hoher Zufriedenheit bei gleichzeitig eingeschränkter Gesundheit ist auch in den Angaben zur Autonomie zu finden. Auch bei merklichen gesundheitlichen Einschränkungen (Pflegegrad 3) wird die Autonomie durchschnittlich über 2,5 Punkte bewertet, was dem Mittelpunkt der Skala entspricht. Menschen in Pflegeheimen bewerten ihre Autonomie geringer. Zudem zeigt sich für die Pflegeheimbewohner:innen ein signifikant stärkerer Zusammenhang von den Gesundheitsvariablen der subjektiven Gesundheit (p = 0,037) und dem Pflegebedarf (p = 0,035) mit Autonomie als bei den Personen, die in einem Privathaushalt leben. Weiterhin tragen eine geringere Bildung, ein höherer Pflegegrad, männliches Geschlecht und eine schlechtere subjektive Gesundheitseinschätzung zu einer schlechteren Bewertung der Autonomie bei.

Fazit

Im vorliegenden Kapitel werden Befunde zur gesundheitlichen Lage der hochaltrigen Menschen vorgestellt, die im Rahmen der Studie „Hohes Alter in Deutschland“ während der Coronapandemie (Ende 2020/Anfang 2021) erhoben wurden. Im Kapitel „Wahrgenommene Auswirkungen der Coronapandemie auf die Lebenssituation älterer Menschen“ wird gezeigt, dass die Mehrheit der Studienteilnehmer:innen berichtet, dass die Pandemie überhaupt nicht oder nur ein wenig ihre Gesundheit beeinflusst hat (Hansen et al. 2023). Allerdings zeigen weitere Analysen, dass mit dem steigenden Ausmaß pandemiebedingter Verschlechterung der Gesundheit die Lebenszufriedenheit der Hochaltrigen sinkt (Hansen et al. 2023). Die Autor:innen berichten, dass dieser Effekt umso stärker ist, je gesunder sich die 80-Jähringen und Älteren einschätzen. Die in diesem Kapitel dargestellte gesundheitliche Situation der Hochaltrigen ist von der Coronapandemie beeinflusst und ist daher vor diesem Hintergrund zu interpretieren.

Mit Blick auf die gesundheitliche Lage der Hochaltrigen in der Coronapandemie zeigt sich, dass obwohl die meisten 80-Jährigen und Älteren mehrere Erkrankungen haben, nur ein Drittel der Personen dauerhaft in Mobilität, Kognition und Selbstständigkeit so eingeschränkt ist, dass eine Pflegebedürftigkeit besteht. Auch die subjektive Wahrnehmung des eigenen Gesundheitszustands wird von den Studienteilnehmer:innen überwiegend positiv bewertet, indem mehr als die Hälfte der Personen ihre Gesundheit als eher gut oder sogar sehr gut einschätzt. Jedoch können bedeutsame Unterschiede in Bezug auf die objektiven sowie subjektiven Gesundheitsindikatoren in verschiedenen Bevölkerungsgruppen wie Personen im hohen und höchsten Alter, Frauen und Männer, Menschen mit unterschiedlichem Bildungsniveau, in Privathaushalten Lebenden und Heimbewohner:innen oder in West- und Ostdeutschland Lebenden beobachtet werden. Darüber hinaus zeigen unsere Befunde, dass der objektive sowie subjektiv erlebte Gesundheitszustand der Hochaltrigen mit der Bewertung der Lebensqualität im Zusammenhang steht.

Demografische Ungleichheiten in der Gesundheit im hohen Alter

Übereinstimmend mit bisherigen Forschungsbefunden (Freedman et al. 2002; Spuling et al. 2017, 2019; Violan et al. 2014) kann bei der hochaltrigen Population bestätigt werden, dass die objektive sowie subjektive Gesundheit mit steigendem Alter abnimmt. Bei den meisten Befragten werden mehrere Erkrankungen behandelt und etwa ein Drittel ist im Sinne des SGB XI pflegebedürftig. Betrachtet man das subjektive Gesundheitserleben, berichtet ähnlich wie in der jüngeren Population (Spuling et al. 2017) mehr als die Hälfte der Studienteilnehmer:innen, sich gesundheitlich eher gut oder sehr gut zu fühlen. Der Anteil von Hochaltrigen, die ihre Gesundheit positiv bewerten, nimmt zwar ebenfalls über die Altersgruppen hinweg ab, jedoch überwiegt bei der Mehrheit eine positive Bewertung. Interessanterweise beschrieben die im Jahr 2003 75- bis 84-Jährigen sowie die im Jahr 2014 70- bis 85-jährigen DEAS-Teilnehmer:innen ihre Gesundheit gleichermaßen positiv wie die älteste Population in D80+ (Spuling et al. 2017; Wurm et al. 2009). Einerseits lässt sich dieser Befund dadurch erklären, dass die DEAS-Befragten die Möglichkeit hatten, ihre Gesundheit als mittelmäßig zu bewerten. Im Gegensatz dazu war diese Option in dem Fragebogen der D80+-Studie nicht vorgesehen; die D80+-Teilnehmer:innen konnten ihre Gesundheit entweder positiv (sehr gut oder eher gut) oder negativ (eher schlecht oder sehr schlecht) beschreiben. Anderseits könnte dies ein Hinweis für das Gesundheitsparadoxon im späten Lebensalter sein, das dadurch erklärt wird, dass sehr alte Menschen die Fähigkeit haben, sich an die zunehmenden gesundheitlichen Verluste anzupassen so dass die subjektive Gesundheitsbewertung stabil bleibt (Wettstein et al. 2016).

Bereits aus dem DEAS bekannte Angaben zur gesundheitlichen Ungleichheit zwischen den Geschlechtern finden sich auch in der Hochaltrigkeit. Wurde im DEAS gezeigt, dass Frauen größere funktionale Einschränkungen haben und diese Ungleichheit im Lebensverlauf zunimmt (Menning und Hoffmann 2009; Spuling et al. 2019), zeigt die D80+-Studie nun, dass diese funktionalen Unterschiede sich auch in häufigeren und höheren Pflegegraden von Frauen äußern. Ungleichheit zwischen den Geschlechtern wird in der Häufigkeit spezifischer Erkrankungen (z. B. Gelenk- oder Knochenerkrankungen und Schilddrüsenerkrankungen) sowie auch in der Gesamtzahl von Erkrankungen beobachtet. Darüber hinaus fühlen sich die hochaltrigen Männer gesundheitlich deutlich besser als die hochaltrigen Frauen. In den jüngeren Altersgruppen konnten in Bezug auf die subjektive Gesundheit keine Unterschiede beobachtet werden (Spuling et al. 2017, 2019). Da diese Unterschiede auch auf biologische Mechanismen zurückzuführen sind, ist davon auszugehen, dass sie auch kommende Kohorten gleichermaßen betreffen.

Soziale Ungleichheiten in der Gesundheit im hohen Alter

National (Lampert et al. 2013; Lampert und Hoebel 2019; Spuling et al. 2017) sowie international (d’Orsi et al. 2014; Kuosmanen et al. 2016; Trachte et al. 2016) dokumentierte sozioökonomische Ungleichheiten in der Gesundheit können auch in der Studienpopulation der D80+-Studie nachgewiesen werden. Die Datenauswertungen zeigen, dass die Hochaltrigen mit niedriger Bildung deutlich mehr Erkrankungen haben, häufiger von Pflegebedürftigkeit betroffen sind und häufiger einen sehr schlechten oder eher schlechten Gesundheitszustand berichten als die 80-Jährigen und Älteren mit höherem Bildungsniveau. Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass die Anpassungsfähigkeit der Hochaltrigen an die gesundheitlichen Verluste von verfügbaren Ressourcen abhängig ist. Personen mit höherer Bildung können sich beispielsweise aufgrund des damit, in der Regel, verbundenen höheren Einkommens häufiger Unterstützung durch unterschiedliche technische Hilfsmittel, Haushaltshilfe oder Wohnraumanpassungen leisten (Spuling et al. 2017). Darüber hinaus wurde gezeigt, dass neben finanziellen Ressourcen auch soziale Eingebundenheit oder Wohnumgebung in Bezug auf Gesundheit eine wichtige Rolle spielen. So zeigen zum Beispiel die Ergebnisse der Heinz Nixdorf Recall Studie, dass eine schlechtere Gesundheitseinschätzung der Personen mit niedrigem sozioökonomischen Status, mit geringer sozialer Unterstützung und wenigen stabilen sozialen Netzwerken verbunden ist (Vonneilich et al. 2012). Zimmermann et al. (2021) berichteten, dass hochaltrige Menschen, die in schlechteren Wohnlagen Nordrhein-Westfalens wohnten, häufiger von körperlicher Gebrechlichkeit betroffen waren als Personen, die in besseren Wohnlagen lebten. Die wissenschaftliche Literatur zeigt, dass eine Einschränkung der körperlichen Aktivität außerhalb der Wohnung aufgrund von ungünstigen Bedingungen, wie wenigen Grünflächen in der nahen Wohnumgebung, zur Verschlechterung des Gesundheitszustands führen kann (Yu et al. 2018).

Erwartungsgemäß bestätigen die Ergebnisse der D80+-Studie, dass hochaltrige Menschen, die in einem Pflegeheim leben, einen deutlich schlechteren Gesundheitszustand haben als die in Privathaushalten Lebenden. Die Ab-80-jährigen Pflegeheimbewohner:innen haben deutlich mehr Erkrankungen, einen höheren Pflegebedarf und fühlen sich auch gesundheitlich schlechter. Die meisten älteren Menschen wünschen sich, so lange wie möglich in einem Privathaushalt leben zu bleiben. Unsere Befunde können dahingehend interpretiert werden, dass ein Umzug in eine Pflegeeinrichtung meistens erst dann in Frage kommt, wenn eine Person aufgrund von mehrfachen gesundheitlichen Beeinträchtigungen einen hohen Pflegebedarf hat (Braunseis et al. 2012; Luppa et al. 2010).

Ähnlich wie in den jüngeren Altersgruppen (Robert Koch-Institut 2009) zeigt sich, dass auch in der hochaltrigen Population bedeutsame regionale gesundheitliche Unterschiede zu finden sind. So geben Ab-80-jährige Personen aus den neuen Bundesländern an, mehr Erkrankungen zu haben als die Hochaltrigen in den alten Bundesländern. Dies gilt auch für die subjektive Gesundheitsbewertung. Aus dem Bericht des Robert Koch-Instituts (2009) geht hervor, dass diese Unterschiede auch durch ungünstigere sozioökonomische Lebensverhältnisse und höheres Risikoverhalten (z. B. Übergewicht, Alkoholkonsum) der Population in Ostdeutschland begründet werden können.

Zusammenhänge von Gesundheit mit Zufriedenheit und Autonomieerleben im hohen Alter

Eine hohe Zufriedenheit und ein hohes Autonomieempfinden sind im hohen Alter auch bei leichten gesundheitlichen Einschränkungen möglich. Jedoch zeigen die Ergebnisse der D80+-Studie in Übereinstimmung mit bisherigen Forschungsbefunden (Brijoux et al. 2021; Liu et al. 2020; Prus 2011; Schilling et al. 2013), dass erhöhter Pflegebedarf, Multimorbidität sowie schlechtes subjektives Gesundheitserleben mit einer Reduktion der Lebensqualität einhergehen. So werden bei geringen gesundheitlichen Einschränkungen im Durchschnitt hohe Ausprägungen von Zufriedenheit und Autonomie erreicht. Bei starken gesundheitlichen Beeinträchtigungen war dies seltener der Fall. Besonders kritisch ist dies bei den Befragten, die in Pflegeheimen wohnen. In der hochaltrigen Heimpopulation wirkt sich der objektive sowie subjektive Gesundheitszustand stärker auf die Gestaltung des Lebens nach eigenen Vorstellungen aus als bei den in Privathaushalten wohnendenden 80-Jährigen und Älteren.

Politische Implikationen

Auf die dargelegten Befunde kann der Gesetzgeber auf vielfältige Weisen reagieren. Die gezeigten Unterschiede in der Gesundheit hinsichtlich des Geschlechts zeigen den Bedarf von geschlechtsspezifischen Maßnahmen auf. Diese sollten darauf ausgelegt werden, die Geschlechterunterschiede im hohen Alter sowie auch im Lebensverlauf widerfahrene Ungleichheiten, die sich beim Eintritt ins hohe Alter verstärken können, auszugleichen. Zur Reduktion von regionalen und bildungsbedingten Gesundheitsdifferenzen kann zielgruppenorientierte Ressourcenförderung beitragen. Dementsprechend könnten besonders sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen beispielsweise von leicht verständlichen Maßnahmen zur Förderung von Gesundheitskompetenz und präventivem Gesundheitsverhalten profitieren. Darüber hinaus könnten niederschwellige Beratungsangebote zur kostengünstigen Wohnraumanpassungen sowie Förderung sozialer Teilhabe der älteren Menschen durch Unterstützung von sozialen Aktivitäten in der unmittelbaren Wohnumgebung helfen, die sozioökonomischen Ungleichheiten in der Gesundheit auszugleichen. Die Analysen zeigen zudem, dass insbesondere bei Pflegeheimbewohner:innen gesundheitliche Einschränkungen mit einer stärkeren Minderung der Lebensqualität einhergehen. Um die Lebenszufriedenheit und das Autonomieempfinden der Heimpopulation zu erhalten bzw. zu steigern, ist es erforderlich, die Rahmenbedingungen in der Pflege zu verbessern. Dazu könnte zum Beispiel eine höhere Personalausstattung bei höheren Pflegegraden sowie der Einsatz von personenzentrierten Pflegekonzepten, Biografiearbeit und Bezugspflege beitragen. Davon könnten letztendlich auch kommende Generationen der Heimbevölkerung profitieren, in der ein höherer Anteil an Migrantinnen und Migranten zu erwarten ist. Aus der Literatur ist ersichtlich, dass diese Bevölkerungsgruppe eigene Zugangswege in das Versorgungssystem benötigt (Schäfer et al. 2015). Die meisten Arbeitsmigranten haben das 80. Lebensjahr noch nicht erreicht und konnten daher in dieser Studie noch nicht vollständig repräsentiert werden.