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1 Einleitung

Wenn es um die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen politischer Steuerung und Regulierung der VerkehrspolitikFootnote 1 geht, steht zunächst eine Ausgangsbeobachtung im Raum: Zu erklären ist nicht ein grundlegender Policy-Wandel, sondern die „nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit“ (Blühdorn 2020) der Mobilität und das Beharrungsvermögen des Motorisierten Individualverkehrs (MIV). Die Möglichkeiten und Grenzen der Verkehrspolitik sind nicht abstrakt und statisch zu bestimmen, sondern sie werden auf unterschiedliche Weise definiert. Macht-, Hegemonie-, historisch-materialistische oder diskurstheoretische Perspektiven (z. B. Schwedes 2021; Haas 2023; Manderscheid 2020; Plehwe 1997) setzen hier andere Akzente als institutionen- und akteursorientierte Policy-Analysen oder Policy-Design-Ansätze (für eine politikwissenschaftliche Perspektive: Bandelow et al. 2016; Bandelow und Kundolf 2018; Souris et al. 2023, für eine wirtschaftswissenschaftliche Public Choice-Perspektive: Fichert und Grandjot 2016, für eine soziologische Perspektive: Kesselring 2000; Rammler 2001). Die unterschiedlichen wissenschaftstheoretischen Prämissen der Ansätze in der Verkehrspolitik sind nicht trivial (Sack 2016). Gleichwohl können sie bei konkreten gegenstandsbezogenen Fragestellungen zur Erklärung und Bewertung verkehrspolitischer Maßnahmen integrierend und komplementär herangezogen werden. Die folgenden Erörterungen zu den Möglichkeiten und Grenzen der Mobilitätspolitik gehen in diesem Sinne integrierend vor. Zugleich ist eingangs auf eine wichtige Unterscheidung hinzuweisen, nämlich diejenige zwischen Politik und dem Politischen (Martinsen 2019), also einerseits der reflexiven Policy und Polity im Politikfeld Verkehr durch die Wahl von Instrumenten wie auch durch kollektiv bindende Entscheidungen und andererseits der kontingenten Gestalt- und Wandelbarkeit des Politischen, die etwa gravierende geo-strategische Dynamiken (Kriege und Sanktionen) ebenso beinhaltet wie das agonale „Aufbegehren“ durch unterschiedliche Protestbewegungen. Ein eindrückliches Beispiel waren die „Gilets jaunes“ 2018/19. Der vorliegende Beitrag bezieht sich eher auf Politik und Policy als auf politischen Protest in der Mobilitätspolitik.

Wir gehen in vier Schritten vor. (1) Zunächst skizzieren wir die Eigenschaften des Politikfeldes Verkehr. In diesem Zusammenhang diskutieren wir die Möglichkeiten und Grenzen der politischen Steuerung in diesem Politikfeld. Nach dem Überblick über den strukturierenden Kontext von Verkehrspolitik wenden wir uns (2) den Akteuren und ihren programmatischen Orientierungen zu. Daran schließt sich (3) ein Überblick über Maßnahmen und Instrumente der Steuerung, also über Policy-Design an. In der Konklusion (4) betonen wir, dass Analysen von Verkehrspolitik und mobilitätspolitischen Strategien zwar die Dynamik und Komplexität des strukturierenden Kontextes in Rechnung stellen, aber jeweils analytisch wie strategisch begründete Reduktionen vornehmen müssen. Der zentrale Mehrwert eines multiparadigmatischen Überblicks ist nicht allein das Auffächern des „Angebots“, sondern die Erhöhung des Begründungsaufwandes für die Wahl von analytischen Designs und strategischen Optionen. Zugleich verdeutlicht unser Beitrag, welche Faktoren aus politikwissenschaftlicher Sicht einem grundlegenden Wandel des Politikfeldes Verkehr entgegenwirken.

2 Politikfeldeigenschaften und die Möglichkeiten der Verkehrspolitik

Das Politikfeld Verkehr ist durch den Zweck definiert, Mobilität und Logistik von Personen und Gütern zu organisieren, d. h. die infrastrukturellen Voraussetzungen zu schaffen und Wege- und Raumnutzungen regulatorisch zu ermöglichen und zu beschränken. Die Eigenschaften des Politikfeldes sind durch eine hohe technologische Komplexität und Prägung durch Infrastrukturen, die Konkurrenz von Verkehrsträgern, die Allgegenwart von Mobilität, deren positive Effekte und negative Externalitäten wie auch durch eine hohe vertikale und horizontale institutionelle Komplexität des Politikfeldes geprägt, d. h. eine ausgeprägte Multi-Level Governance (Europäisierung der föderalen Struktur) und – auf der horizontalen Ebene – eine Vielfalt von Agenturen und Behörden wie Schnittstellen zu anderen Politikfeldern.

Verkehrspolitik ist demzufolge vielfach restringiert und eingebettet (s. a. Ruhrort 2019). Zudem werden die entsprechenden Möglichkeiten und Restriktionen aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Perspektiven je unterschiedlich diskutiert, gewichtet und kombiniert. Der kleinste gemeinsame Nenner ist, dass gestaltende Verkehrspolitik (zu welchen Graden auch immer) möglich ist. Relativ nahe an einem deterministischen Verständnis von Verkehrspolitik ist, erstens, der Blick auf kapitalistische Akkumulation, Produktion, Logistik und Konsumtion. Hier geht es um vorherrschende Akkumulations- und Produktionsmodelle, historisch eindrücklich (und weiterhin wirksam), wenn etwa vom „Fordismus“ gesprochen wurde (Aglietta 1979). Bestimmte Industrien, Technologien, Raummuster oder Produkte setzen die Rahmenbedingungen für die Mobilität. Einzelwirtschaftliche Entscheidungen sind kaum politisch zu regulieren, noch dazu, wenn Standortkonkurrenzen in transnationalen Wertschöpfungsketten wirksam sind. „Neue“ Mobilität wird dann ermöglicht, wenn Oligopolisten auf technische Innovationen (automatisiertes Fahren, Canzler et al. 2019; Canzler und Knie 2023) setzen bzw. es gelingt, Nischeninnovation mit einem Akkumulationsmechanismus zu verbinden. Nischeninnovationen, Ko-Produktion und sozio-technische Regime zwischen Politik, Wissenschaft und Gesellschaft sind, zweitens, das große Thema der Science and Technology Studies (z. B. Geels 2002; Graf 2023). Restringiert wird Politik durch die zum Teil selbst geschaffene Pfadabhängigkeit (z. B. Lock-in-Effekte) von Infrastrukturen und großtechnischen Systemen, wie zum Beispiel eines prohibitiven Kapitaleinsatzes für alternative Netze (Mayntz und Hughes 1988). Technologische Innovationen, aber auch die Rekombination bestehender Infrastrukturnetze, etwa die Sektorenkoppelung im Bereich der E-Mobilität, sind aber durchaus Objekte der politischen Förderung, Standardisierung und politischer wie rechtlicher Regulierung. Wie verhält es sich nun drittens mit Diskursen? Nicht von ungefähr wird in neo-gramscianischen Perspektiven kapitalistische Akkumulation mit der kulturellen Produktion von Leitbildern und Narrativen verbunden (Haas 2023; Manderscheid 2020). Diese beinhalten Deutungsmuster über angemessene Mobilität, alltägliche „Selbstverständlichkeiten“, aber auch die Akzeptanz politischer Regulierung. Sie restringieren dort, wo sie den eingeschlagenen Mobilitätspfad rechtfertigen und reproduzieren. Sie ermöglichen, wo sie in Erzählungen anderer (neuer, innovativer) Mobilität münden bzw. den Raum für die Steuerung durch Überzeugung öffnen. Über Alltagspraktiken sind Diskurse eng mit, viertens, den Mobilitätsstilen sozialer Milieus verknüpft und deren Positionen bei Erwerbsarbeit und (genderdifferenten) Care-Tätigkeiten, deren Gesellungsstile und deren Schutzbedürfnisse angesichts körperlicher Beschränkungen einerseits und gruppenbezogener Menschfeindlichkeit (etwa gegen PoC, LGBTQ, Obdachlose) andererseits.

Kapitalismus, Raumstrukturen, Technologieentwicklung, Diskurse und Milieus mit ihren Mobilitätspräferenzen strukturieren Mobilität und Verkehrspolitik. Deren Möglichkeiten und Grenzen sind jedoch, fünftens, durch Macht- und Kompetenzanordnungen innerhalb des Funktionssystems der Politik geprägt. Dazu gehört im Rahmen der Europäischen Union, dass die Verkehrspolitik ein ausgesprochen europäisiertes Politikfeld geworden ist, weil Verkehrs- und Transportinfrastrukturen als Voraussetzung des Europäischen Binnenmarktes gesehen werden (Héritier et al. 2001; Plehwe 1997). Je nach Legislativakt (Verordnungen, Richtlinien, Empfehlungen) ist Raum für eine „eigene“ sub-europäische Mobilitätspolitik gegeben. Diese institutionelle Strukturierung durch übergeordnete Ebenen wiederholt sich im deutschen Föderalismus durch Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern (GG Art. 70–91e) bzw. die föderale Finanzstruktur (GG Art. 104a–115) und für die Städte, Kreise und Gemeinden wiederum durch die Kommunalverfassungen. Die finanziellen Möglichkeiten der Länder für eigene mobilitätsorientierte Förderprogramme sind von der jeweiligen Finanzkraft abhängig. Die Quoren für die Einleitung von Radwegeentscheidungen differieren je nach Bundesland. Zudem differieren Schwerpunktsetzungen und politische Handlungsbereitschaft. So wurde die durch Änderung von Bundesrecht eröffnete Option der Erhöhung der Bewohnerparkgebühren von den Ländern zu unterschiedlichen Zeitpunkten und von einigen gar nicht umgesetzt. Zu den institutionellen Komplexitäten gesellt sich eine hohe Zahl von Behörden und Agenturen für die Organisation und Regulierung der Infrastrukturnetze (Flyvbjerg 2007; Fink und Koch 2016; Döhler 2019; Koch et al. 2023; Sack 2023).

Sechstens sind die Möglichkeiten und Grenzen politischer Regulierung der Verkehrspolitik durch Entwicklungen in anderen Politikfeldern bestimmt. Dazu gehört prominent die Raumplanungs-, Siedlungs- und Wohnungsbaupolitik. Diese strukturiert die Wegeplanungen zwischen Arbeits-, Wohn-, Einkaufs- und Freizeitorten sozialer Netzwerke ebenso wie die Güterlogistik zwischen Gewerbegebieten, Autobahnen und Innenstädten. Die Energiepolitik bestimmt mit dem (räumlich unterschiedlichen Angebot) die Möglichkeiten und Grenzen der Dekarbonisierung des Verkehrs. Die Familien- und Sozialpolitik wirkt durch Ganztagsangebote bei Kitas, Schulen, aber auch in der Altenpflege auf eine Alltagslogistik, in der Care-Aktivitäten und Erwerbsarbeit Bewegungsprofile (in einer ausgesprochen gender-differenten Weise) bestimmen.

Schließlich und siebtens weisen Politikfelder bestimmte etablierte Governance-Regimes auf, d. h. etablierte Muster der Handlungskoordinierungen durch Wettbewerb, Hierarchie, Gemeinschaft und Verhandlung. Diese Governance-Regime sind mehr als die Kompetenzverteilung in einem Regierungssystem (Lijphart 2012), weil sie a.) auf eine Gesamtheit der kompetenten Organisationen im Feld (etwa Bundesnetzagentur, DB, Verkehrsbehörden) ebenso abstellen wie auf b.) etablierte Muster der Koordination, die nicht zwingend legislativ abgesichert sind, wie etwa regelmäßige Konsultationen, Verhandlungen oder Auftragsvergaben. Und mitunter – wie beim „Dieselgate“ (2015) offenbar wurde – wird von formaler Hierarchie (Kontrolle durch das Kraftfahrzeugbundesamt) auf informelle Gemeinschaft (Corpsgeist deutscher Automobilingenieure) umgestellt. Ein solcher Corpsgeist steht in keinem Gesetz, ist aber dennoch eine ermöglichende und begrenzende Handlungskoordination in der Verkehrspolitik.

3 Akteure und programmatische Orientierung

3.1 Akteure

Insofern Verkehrspolitik dadurch bestimmt ist, dass sie Mobilität zu gewährleisten hat und diese gesellschaftlich ubiquitär ist, erstreckt sich das Feld der Akteure eben auch über viele unterschiedliche Bereiche. Die produzierende Seite wird durch Großunternehmen wie etwa Siemens, VW AG, Bosch oder die DB AG ebenso abgedeckt wie durch Fahrradwerkstätten, der Transport durch die großen logistischen Unternehmen wie etwa Schenker, Kühne und Nagel, Amazon oder Pizzabringdienste. Auch Groß- und Einzelhandel sind von dieser Logistik abhängig. Die unterschiedlichen Unternehmensinteressen werden individuell oder kollektiv artikuliert, etwa im Verband der Automobilindustrie oder im Verband deutscher Verkehrsunternehmen. Die jeweiligen Beschäftigten sind in Gewerkschaften (z. B. der IGM) organisiert. Verbraucher:innen und Nutzer:innen artikulieren ihre Interessen etwa über den ADAC, ProBahn oder den ADFC. Für den öffentlichen Verkehr sind die kommunalen Verkehrsunternehmen, Verkehrsverbünde und Aufgabenträger eine wichtige Akteursgruppe, die den Kommunen und Landkreisen zugeordnet werden kann. Jedoch zeigen gerade in Ballungsräumen Verkehrsverbünde aufgrund ihrer Größe ein gewisses Maß an programmatischer und operativer Eigenständigkeit.

Das Politikfeld Verkehr, in dem Mobilitätspolitik vor allem angesiedelt ist, offenbart also eine Vielzahl unterschiedlicher Akteure mit unterschiedlichen Funktionen für die gesellschaftliche Mobilität (Produktion, Handel, Logistik, Infrastruktur, Planung, Mobilitätsnutzung). Das Politikfeld wird zudem durch seine europäisierte und föderale Mehrebenstruktur unübersichtlich. Wesentliche politische Entscheidungen und Regulierungen erfolgen in der Europäischen Union (Plehwe 1997; Bandelow et al. 2014; Sack 2016), Bund und Länder haben ebenfalls je eigene Planungskompetenzen und Verwaltungskapazitäten (Schwedes und Ruhrort 2016); auch in den Städten, Kreisen und Gemeinden wird um die Verkehrspolitik gerungen. Auf Seiten der Exekutive sind es eben nicht allein die Ministerien, die einen wesentlichen Einfluss auf die Mobilitätspolitik haben, sondern auch Agenturen (für die Schieneninfrastruktur etwa die BNetzAG, für den Bundesfernstraßenbau die Autobahn AG, Sack 2023) und Behörden (nicht zuletzt auf Landesebene auch Straßenbaubetriebe wie Straßen.NRW oder Hessen Mobil). Politische Parteien und Interessengruppen sind größtenteils ebenfalls entlang dieser Mehrebenenstruktur organisiert. Zudem operieren Wissensnetzwerke von staatlichen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren in funktional getrennten gesellschaftlichen Teilsystemen (etwa Wirtschaft, Wissenschaft, Politik) und über unterschiedliche gebietskörperschaftliche Ebenen und ökonomisch-sozialen Räume hinweg (Straßheim et al. 2023). Allein schon der Blick auf diese strukturellen Konstellationen verdeutlicht, warum die angesichts von Klimaschutz- und Gesundheitszielen vielfach angemahnte Transformation der Verkehrspolitik nicht das notwendige „Momentum“ zu entwickeln scheint (vgl. Ruhrort 2019, S. 1; Ruhrort 2023).

Nicht zuletzt sind zivilgesellschaftliche Akteure und soziale Bewegungen zu berücksichtigen, die sich auf unterschiedlichen Ebenen anlassbezogen organisieren. Das Spektrum reicht von Klimaprotesten im Kontext von Infrastrukturplanungen bis zu den Radentscheiden auf kommunaler Ebene. Verkehrspolitik hat ein zunehmendes Mobilisierungs- und Konfliktpotenzial. Eine Untersuchung der handlungsleitenden Frames (im Sinne von Snow 2013) oder der political opportunity structures (im Sinne von Meyer 2004) liegt für den Verkehrsbereich unseres Wissens nicht vor.

3.2 Programme und Überzeugungen

Ein Konzept, um die Vielfalt der Akteure im Politikfeld zu überblicken, ist das „Advocacy Coalition Framework“ (Jenkins-Smith et al. 2018; Weible et al. 2020).Footnote 2 Dieses versucht in Kern die Akteursvielfalt dadurch zu ordnen, dass Akteure entlang ihrer programmatischen Ausrichtung zu Befürworter-Koalitionen zusammengefasst werden. Der „Kitt“ dieser Koalitionen sind grundlegende Wertüberzeugungen („deep core beliefs“), politikfeldspezifische Überzeugungen („policy core beliefs“) und eher instrumentelle Orientierungen („secondary beliefs“). Unbenommen der Kritik an der analytischen Leistungsfähigkeit des Ansatzes ist er für unsere Zwecke (Navigieren in der Akteursvielfalt des Politikfeldes Verkehr) hilfreich. Es bedarf jedoch einer spezifischen Ergänzung durch verkehrspolitische Programmatiken („policy core beliefs“).Footnote 3

Eine entsprechende Typologie hat O. Schwedes vorgelegt (Schwedes 2018, S. 4–13, s. a. Thiele et al. 2018). Hier wird innerhalb des Nachhaltigkeitsdreiecks zwischen einer ökonomischen, sozialen und ökologischen Orientierung unterschieden. In diesem lassen sich anhand der „Ausprägungen des integrierenden Nachhaltigkeitsdreiecks“ (Schwedes 2018, S. 4) Akteure wiederum graduell und differenziert anordnen, etwa im Sinne einer rein ökologisch, vorwiegend ökologisch, ökonomisch-ökologisch oder sozial-ökologisch ausgerichteten Verkehrspolitik. Schwedes sortiert hier Unternehmen, Interessengruppen, Stiftungen und Think Tanks in nachvollziehbarer Weise an, sodass Befürworter-Koalitionen sichtbar werden. Ob kongruente Policy-Präferenzen sich dann bei konkreten verkehrspolitischen Entscheidungen in Form einer Befürworter-Koalitionen artikulieren, ist eine empirische Frage.

Auch Parteien lassen sich (zumindest teilweise) diesem Nachhaltigkeitsdreieck zuordnen. Die Parteienforschung stellt diesbezüglich – und dies ist auch für die Verkehrspolitik zu konstatieren – die Bedeutung der Parteiendifferenz für politische Entscheidungen zwar nicht grundsätzlich in Frage, aber relativiert sie (Wenzelburger und Zohlnhöfer 2015). Diese Relativierung geht auch darauf zurück, dass Parteien aus wählertaktischen Gründen zur „Mitte“ tendieren, das heißt für programmatische Präferenzen in der Verkehrspolitik, dass Klimawandel, Dekarbonisierung und die Hinwendung zur E-Mobilität mittlerweile weithin anerkannt sind und die Konflikte sich eher bei der Wahl konkreter Maßnahmen zeigen. Insofern lässt sich also ein bestimmtes Spektrum von Parteien in dem programmatischen Nachhaltigkeitsdreieck verorten. Die Grenzen sind aber auch offenkundig: Das rechtsextreme/-populistische Parteien- und Bewegungsspektrum stellt sich programmatisch gegen jede Nachhaltigkeitspolitik, damit werden beispielsweise die AfD, aber auch neurechte Stiftungen nicht erfasst. Für alle Akteure gilt, dass eine Differenz zwischen programmatischem „talk“ und tatsächlicher „action“ eher die Regel als die Ausnahme sind. Schließlich ist zu konstatieren, dass verkehrspolitische Programme mit lebensweltlichen Mobilitätsstilen korrespondieren (können), die dazu führen, dass einzelne Maßnahmen symbolisch und identitätspolitisch aufgeladen sind und dadurch Gegnerschaften im Politikfeld zu finden sind, deren Intensität über das Konfliktniveau programmatischer Differenzen hinausgeht.Footnote 4

4 Regulierung und Instrumente

Bei der Nutzung von Instrumenten in der Verkehrspolitik ist ein Vorschlag, zwischen einem liberal-wettbewerblichen und einem distributiv-hierarchischen Ansatz zu unterscheiden (vgl. Fichert und Grandjot 2016, S. 152). Ersterer setzt auf Deregulierung, Anreize durch Bepreisung und Angebote, letzter auf koordinierende Planung wie auch die finanzielle Förderung von Technologien, Transportträgern und Personengruppen. Eine zweite bekannte Unterscheidung ist mittlerweile diejenige zwischen Push- und Pull-Maßnahmen (z. B. Gertz und Holz-Rau 2020), denen sich bestimmte Steuerungsprinzipien zuordnen lassen (Braun und Giraud 2014; Wenzelburger und Zohlnhöfer 2015, Tab. 1).

Tab. 1 Push- und Pull-Maßnahmen in der Verkehrspolitik

Die Literatur zu Policy-Design und -Packages (Scheer et al. 2022; Zimmermann 2023) erweitert die Perspektive auf die Gestaltung von Verkehr und die Instrumentenwahl. Das Konzept des Policy-Designs orientiert sich an bestimmten Komponenten der verkehrspolitischen Steuerung. Während Schneider und Ingram in einem breiteren Zugang eine ganze Reihe von Elementen des Policy-Designs unterscheiden (1994), die auch Regelsysteme sowie die Konstruktion von Zielen und Zielgruppen berücksichtigen, ist im Mainstream der Implementationsforschung eine Einteilung der Maßnahmen gemäß ihrer Wirkprinzipien üblich. Dabei werden häufig in Anlehnung an Hood (1986) vier Gruppen von Instrumenten unterschieden (Howlett 2019; Hood und Margetts 2007). Für die folgende Darstellung wird im Sinne von Howlett nicht nur auf die Möglichkeit der Verhaltensänderung durch Steuerungsmedien wie Recht, Geld oder Persuasion abgehoben, sondern ein breiteres Portfolio an Elementen berücksichtigt, das auch die Steuerungsfähigkeit der Kommune in den Blick nimmt (Zimmermann 2023).

Regulative und restriktive Maßnahmen: Dies betrifft i. d. R. Gesetze oder Verordnungen, mit denen ein Gesetzgeber Individuen, Organisationen oder nachgeordnete Ebenen der Implementation (Kommunen, Landkreise) reguliert oder entsprechende Bedingungen für einen verändertes Verhalten schafft. Es kann sich dabei um regulierte Wettbewerbe bei der Vergabe von ÖPNV Dienstleistungen handeln oder aber auch ganz profan um Fahrverbote oder Geschwindigkeitsbegrenzungen.

Finanzielle Maßnahmen: Diese basieren in ihrer Wirkung auf Anreizen, die eine Verhaltensänderung belohnen oder Förderprogramme und Zuschüsse, die die Umsetzung verkehrspolitisch wünschenswerter Maßnahmen erleichtern (wenn nicht erst ermöglichen). Auch das weite Feld der Abgaben (Parken, Nutzungsgebühren für Autobahnen, City-Maut) und Steuererleichterungen ist hier einzuordnen.

Information und Wissen, Persuasion: Neben Aufklärungs- und Überzeugungsstrategien und Kampagnen wird in jüngeren Veröffentlichungen auch das Nudging thematisiert (Graf 2019). In einem weiteren Verständnis können Umfragen (Haushaltsbefragungen) sowie der Zugang zu Daten für Bürger (open data), Monitoring und Evaluation, wie überhaupt die Verwendung von Indikatoren zu diesem Interventionsbereich gezählt werden. Obwohl fast in allen Konzeptionen zum Policy-Design Evaluation, Wirkungskontrolle und Monitoring Erwähnung finden, wird dieser Aspekt der reflexiven Politikentwicklung selten als eigenständiges Element gesehen.

Organisatorische Maßnahmen beziehen sich auf verwaltungsinterne Veränderungen, neue Aufgabenzuschnitte von Behörden oder Dienststellen, die instrumentelle Bildung von Netzwerken, Review-Gremien oder Koordinationsrunden oder die Schaffung von Agenturen der Implementation. Als Konsequenz verlagert sich die Politikentwicklung in Organisationsfelder. Städtenetzwerke können als organisatorische Mittel verstanden werden. Auch Mobilitätsbeauftragte (Schwedes 2021) gehören dazu.

Während also durchaus ein „Werkzeugkasten“ verkehrspolitischer Instrumente vorliegt, stellt sich immer auch Frage nach dem angemessenen Mix, also dem Zusammenwirken der Maßnahmen und Instrumente. Policykohärenz ist dann gegeben, wenn sich diese komplementär ergänzen, im besten Fall einen Verstärkungseffekt mit sich bringen, etwa wenn räumliche Restriktionen und Tempolimits mit Angeboten für neue Wege und Transportmittel einhergehen. Zu beobachten sind jedoch dysfunktionale Effekte, etwa wenn zeitaufwendige Verhandlungs- und Koordinationsprozesse für intermodale Angebote dadurch obsolet werden, weil gleichzeitig Wettbewerbs- und Vergabeverfahren (von anderen Gebietskörperschaften) installiert werden, durch die sich grundsätzliche finanzielle Bedingungen verändern (Sack 2011).

5 Fazit

Die Möglichkeiten und Grenzen der Steuerung der Verkehrspolitik ergeben sich aus einer vielgestaltigen Strukturierung von Mobilität einerseits und dem Arsenal an Instrumenten programmatischer Akteure andererseits. Allerdings werden Bedingungen und strategische Spielräume von Verkehrspolitik aus unterschiedlichen politikwissenschaftlichen Perspektiven a.) inhaltlich je unterschiedlich thematisiert und b.) die Ermöglichung von Politik graduell jeweils anders abgestuft. Wir haben uns im vorliegenden Beitrag nicht für einen spezifischen politikwissenschaftlichen Ansatz entschieden.

Dem wäre entgegen zu halten, dass ein „anything goes“ unbefriedigend bleiben könnte. Das ist aber nicht unsere Position. Verkehrspolitik ist (ebenso wie ihre Funktion der Mobilitätsgewährleistung) vielfach strukturell wie institutionell eingebettet, wird von unterschiedlichen Akteuren vorangetrieben und weist einen hochgradig diversifizierten Instrumentenkasten auf. Damit sind politische Spielräume gegeben. Der zentrale Mehrwert eines multiparadigmatischen Überblicks zu Institutionen wie auch Akteuren und Instrumenten ist das Auffächern des analytischen „Angebots“ und damit die Öffnung der wissenschaftlichen wie auch politischen Perspektiven. Damit lassen sich nicht nur Beharrungsfaktoren identifizieren, sondern auch mögliche Quellen des Wandels in der Verkehrspolitik. Wir beobachten eine recht dynamische Vervielfältigung des Akteursspektrums, etwa auf der kommunalen Ebene, aber auch auf der Ebene regionenübergreifender, interorganisatorischer Netzwerke. Damit können neue Optionen für Koalitionsbildungen erschlossen werden, wobei dies auch neue Diskurskoalitionen und damit Möglichkeiten der transformationspolitischen Umdeutung einschließt. Begünstigt wird die auch durch eine wachsende Politisierung, die mit vorher nicht gekannten Möglichkeiten der Profilierung durch Verkehrspolitik einhergeht.

Für analytische Forschungsdesigns wie auch verkehrspolitische Strategien öffnet diese multiparadigmatische Perspektive den Blick für konzeptuell wie empirisch vielfältig ansetzende, an den jeweiligen konkreten Problemlagen orientierte Untersuchungen und Strategien. Sie ermöglicht diesen, sich jeweils neu auszurichten und durch die wechselseitige Befruchtung von Ansätzen auch solche Perspektiven auszuloten, bei denen anhand des konkreten Untersuchungsgegenstands die Einflüsse strukturierender Kontexte, Machtartikulationen und Instrumentenkonstellationen analytisch kombiniert werden (Sil 2000). Multiperspektivität stützt zudem (auch in Abgrenzung zu mobilitätsorientierter Identitätspolitik) deliberative Formate der Wissensproduktion (Bandelow et al. 2023). Pragmatisch sind bei der Wahl von analytischen Designs und strategischen Optionen Entscheidungen zu treffen und Komplexität zu reduzieren. Ein multiparadigmatischer Überblick soll dies nicht unmöglich machen, sondern mit der Öffnung des Blicks lediglich den Begründungsaufwand für die Wahl erhöhen und damit die Reflexivität in der Verkehrspolitik steigern. Damit ist der Ausgangspunkt benannt für alle analytischen wie auch praktisch-politischen Bemühungen, die Erfolgsbedingungen für eine Transformation der Verkehrspolitik zu erschließen.