Schlüsselwörter

1 Einleitung

Das eigene Auto ist ein fester Bestandteil des Alltags der Gegenwart im globalen Norden. Allein in Deutschland sind mit Stand Januar 2024 49,1 Mio. Personenkraftwagen zugelassen, was einem Motorisierungsgrad von 585 Pkw pro 1000 Einwohner*innen bzw. durchschnittlich fast 1,2 Autos pro Haushalt entspricht (Kraftfahrt-Bundesamt 2024). In Österreich und der Schweiz sind die Zahlen ähnlich mit 566 (Statistik Austria 2024) und 540 (BfS 2024) Pkw pro 1000 Einwohner*innen. Der private Pkw-Bestand ist jedoch räumlich und sozial ungleich verteilt: in ländlichen Regionen und in den wohlhabenden Haushalten sind zwei und mehr Autos keine Seltenheit, während in innerstädtischen Quartieren lebende Personen, die häufig eher jung und kinderlos sind, ebenso wie einkommensarme Haushalte deutlich seltener über ein Auto verfügen (Nobis und Kuhnimhof 2018, S. 35). Im Alltag werden durchschnittlich 57 % aller Wege und drei Viertel der DistanzenFootnote 1 mit dem Auto zurückgelegt, überwiegend als Fahrer*in, seltener als Bei- oder Mitfahrer*in (ebda., S. 3). Die automobil zurückgelegten Distanzen sowie die Zahl der zugelassenen Autos steigen auch nach der COVID-19 Pandemie weiter an, obwohl der spürbare Klimawandel die Notwendigkeit unterstreicht, die Treibhausgasemissionen und damit den fossil motorisierten Verkehr drastisch zu reduzieren. Insgesamt ist der motorisierte Autoverkehr für rund 13 % der Treibhausgasemissionen verantwortlich (UBA 2022b). Bislang zeitigen jedoch weder technologische Effizienzsteigerungen im Bereich der Antriebe, steigende Spritpreise oder Parkraumbewirtschaftungen noch politische Appelle an das Umweltbewusstsein Effekte in Richtung einer Abkehr vom Auto, vielmehr stagnieren die Emissionen aus dem motorisierten Verkehr auf dem Niveau von 1995 (UBA 2022a).

Die Notwendigkeit, den Blick auf die Verkehrspraktiken und insbesondere die Nutzung des Autos zu erweitern, wird von (mobilitäts)soziologischen Arbeiten betont, die herausarbeiten, dass das Auto nicht einfach ein technisches Vehikel zur Distanzüberwindung darstellt, sondern tief in die Gesellschaft und den Alltag der Menschen eingelassen ist (Burkart 1994).

Automobilität als Begriff enthält eine doppelte Bedeutung: Als Wortbildungselement meint ‚Auto‘ ‚ohne fremdes Zutun‘ und bezieht sich auf das menschliche Selbst, beispielsweise in Autobiografie, Autodidaktin, Autonomie oder Autogramm. Anderseits meint ‚Auto‘, dass Gegenstände oder Maschinen die Fähigkeit haben, sich zu bewegen, beispielsweise im Sinn von Automatik oder Automat (Urry 2006, S. 18). Diese doppelte Bedeutung schwingt in Automobilität mit: das autonom steuernde mobile menschliche Subjekt in Verbindung mit einer automatischen Maschine.

Arbeiten der Mobilitätsforschung (Sheller und Urry 2006) legen nahe, dass Praktiken der Verkehrsmittelnutzungen und AlltagsmobilitätFootnote 2 nicht nur funktionalen und rationalen Kriterien folgen und als Ergebnis individueller Entscheidungen zu verstehen sind. Die Verfügung über und die Nutzung des eigenen Autos ist vielmehr Bestandteil und Element der gesellschaftlichen Ordnung und Normalität, eingelassen in Siedlungsstrukturen, Verkehrswege und politische Institutionen, aber auch in kulturelle Bilder, Werbung, Lebensplanungen und Orientierungsmuster. Entsprechend sind die Form und der Umfang der Verkehrspraktiken nicht nur durch Kosten- und Zeiteffizienz erklärbar, sondern auch durch persönliche und kollektive Erfahrungen, Emotionen, Identitäten sowie symbolische und kulturelle Bedeutungen geprägt (u. a. Urry 2004; Paterson 2007; Mattioli et al. 2020; Sattlegger und Rau 2016; Manderscheid 2014). Der Besitz eines eigenen Autos beinhaltet immer auch das Versprechen, jederzeit spontan und selbstgesteuert mobil sein zu können. Entsprechend meint also Automobilität eine spezifische hegemoniale Form der Bewegung und räumlichen Sortierung von Individuen in Gesellschaften des globalen Nordens, die sich im Verlauf des 20. Jahrhunderts entwickelt hat. Sie ist gekennzeichnet durch den privaten Zugang zu den Fahrzeugen, mit denen die Fahrer*innen und Mitfahrer*innen auf dafür öffentlich bereit gestellten Straßen individuellen Zielen und Zwecken sowie individuellen Zeitplänen folgend unterwegs sein können. Diese Einbettung des Autos in die gesellschaftliche Ordnung wird in der Literatur unter anderem mit den Begriffen des „Systems“ (Urry 2004; Kent 2022b) „Regimes“ (Paterson 2007; Kemp et al. 2012) „Dispositiv“ (Manderscheid 2012) oder „Apparatus“ (Packer 2010) gefasst. Die Konzepte heben hervor, dass Verkehrsmittelnutzungen, die Organisation von Wegen und Mobilitätspraktiken eben nicht nur von handelnden Individuen bestimmt werden, sondern immer auch gesellschaftlich und räumlich prä-strukturiert und mit Bedeutung aufgeladen sind. Der Einbezug der gesellschafts-, siedlungsstrukturellen und lebensweltlichen Aspekte in die Analyse der Mobilitätspraktiken ist hilfreich, um die Beharrungskräfte der Automobilität zu verstehen und Ansatzpunkte für eine Verkehrs- und Mobilitätswende (vgl. Manderscheid 2020) zu identifizieren.

2 Gesellschaftliche Ursachen für Verkehr und Mobilität

Die durchschnittlich zurückgelegten Distanzen von Menschen nehmen im Laufe der Geschichte kontinuierlich zu und lagen in Deutschland vor der Pandemie bei 39 km pro Tag (Nobis und Kuhnimhof 2018, S. 3). Die Zunahme der Verkehrsleistungen kann jedoch nur bedingt mit den verfügbaren Verkehrsmitteln und deren zunehmender Geschwindigkeit erklärt werden, denn Wege und Verkehrsmittelnutzungen finden nur selten als Selbstzweck statt. Vielmehr werden im Alltag Wege zurückgelegt, um an einem Ort außerhalb der eigenen Wohnung bzw. in Entfernung zum ursprünglichen Standort etwas zu tun. Die zurückgelegten Distanzen hängen also sowohl mit den Alltagspraktiken, als auch mit den Geographen der Orte dieser Praktiken zusammen.

In der standardisierten Verkehrsforschung werden Wege zusammen mit Wegezwecken abgefragt. Diese Zwecke werden als gegebene Bedürfnisse bzw. Erfordernisse des Alltags verstanden, von denen sich dann Verkehr und Wege ableiten. Je nach Differenzierungsgrad werden bis zu 13 verschiedene Zweck-Kategorien erfasst. Die Standardwegezwecke beinhalten (Erwerbs-)Arbeit, dienstliche Wege, Ausbildung, Einkauf, Erledigungen, Begleitung (z. B. von Kindern) und Freizeit (Gerike 2015). Vor der Pandemie wurden etwa 23 % der Wege und 25 % der Distanzen zurückgelegt, um zur Arbeits- oder Ausbildungsstätte zu gelangen. Zu den arbeitsbezogenen Zwecken kommen außerdem Dienstwege, die 11 % der Wege und 17 % der Distanzen ausmachen. Diese beschäftigungsbezogenen Wege, insbesondere das Pendeln, dominieren die verkehrspolitischen und öffentlichen Debatten, worin sich die gesellschaftliche Bedeutung von Erwerbstätigkeiten spiegelt, die in modernen Gesellschaften bislang typischerweise außerhalb der eigenen Wohnung stattfindet. Ein weniger thematisierter, anteilsmäßig jedoch ähnlich wichtiger Grund, um unterwegs zu sein, ist jedoch die Freizeit mit 28 % der Wege und einem Drittel der Distanzen (Nobis und Kuhnimhof 2018, S. 61). Während der Begriff des Freizeitverkehrs nahelegt, es handle sich um gesellschaftlich nachrangige Wege, zeigen beispielsweise die Arbeiten von Ettema und Schwanen (2012) und Strömblad et al. (2022), dass es bei Freizeitwegen vor allem um soziale Einbindungen und die Aufrechterhaltung von Beziehungsnetzwerken geht (vgl. Larsen et al. 2006). Ein besseres Verständnis von Wegen entsteht also, wenn die Praktiken, mit denen sie zusammenhängen sowie die Orte, die aufgesucht werden, ihre Erreichbarkeit und ihre soziale Bedeutung mit in den Blick genommen werden. Eine solche Perspektive auf Verkehrspraktiken nehmen sozialwissenschaftliche Mobilitätsforschungen ein, die Wege des Alltags insgesamt als Elemente sozialer Beziehungen versteht und nicht nur als Effekt individueller Bedürfnisse. Insbesondere in funktional differenzierten und individualisierten Gesellschaften wird der Alltag in wechselnden sozialen Zusammenhängen und damit korrespondierend an verschiedenen Orten verbracht (vgl. Rammler 2008; Urry 2007). In dieser Sichtweise geht es bei Mobilität also primär um die gesellschaftlichen Relationen und nicht um das Unterwegssein an sich:

„What we really want is to regroup. From the group we’re a part of at breakfast – our family, let’s say – we might want to join a work team, crew, gang, committee, cohort, jury, class, board, panel, etcetera, in time for the start of the workday. Before returning to the group we began with, we might have joined audiences, choirs, class reunions, sports teams, or any of hundreds of possible groupings. Many groupings, of course, involve only two people: a server and a diner, a doctor and a patient, a customer and a shop assistant, or simply two friends.“ (Fleming 2021, S. 221)

Im Zentrum stehen hier nicht im Individuum verankerte Bedürfnisse sondern gesellschaftliche Einbindungen in räumlich verteilte soziale Netzwerke, die über die Bewegungen im Alltag – erstmal unabhängig von der Art des Verkehrsmittels – hergestellt werden. Die räumliche und soziale Differenzierung der Gesellschaften der Gegenwart bedeuten, dass sich die Aktivitäten des Alltags potenziell auf immer weiter auseinander liegende Orte verteilen können als dies in weniger differenzierten und weniger verkehrstechnisierten Gesellschaften zu früheren Zeiten der Fall war (vgl. Rosenbaum 2014, S. 545). Wege und Verkehr im allgemeinen sind also nicht primär eine individuelle Wahl oder eine bewusste Entscheidung, sondern hängen mit der sozialen und räumlichen Struktur der Gesellschaft zusammen. Das bedeutet auch, dass Mobilität in der Gegenwart entsprechend nicht nur eine Möglichkeit, sondern auch eine Notwendigkeit oder einen Zwang darstellt.

3 Individualisierung, Modernisierung und Mobilität

In der soziologischen Diskussion werden räumliche Mobilität und Verkehr auch in den Kontext von Modernisierung und Individualisierung gestellt (vgl. Canzler 2000; Manderscheid 2022; Rammler 2008). Damit ist eine Entwicklung gemeint, in der sich die Individuen tendenziell weniger an traditionellen Bindungen wie Familie, Religionsgemeinschaft, Herkunftsregion, sozialer Schicht oder Nachbarschaft ausrichten, sondern sich ihre Orientierungen im Verlauf ihres Lebens immer wieder neu selbst suchen. Dieser Prozess der Individualisierung, die Herauslösung von Individuen aus gegebenen sozialen und räumlichen Bindungen und die Pluralisierung der Lebensformen, wird in der Soziologie schon früh von Georg Simmel, Émile Durkheim oder Ferdinand Tönnies für den Beginn des 20. Jahrhunderts beobachtet und als Kennzeichen der Modernisierung, Industrialisierung und Urbanisierung verstanden. Der britische Soziologe Anthony Giddens beschreibt diese „Entbettung“ als Erfahrung der Menschen, dass die Wirklichkeit ein zu entfaltender Gestaltungsraum sei, der über die Gegenwart und den lokalen Ort hinausreiche (Giddens 1995, 33 ff.). Der Soziologe Ulrich Beck (1986) konstatiert einen weiteren Schub dieser Entwicklung und spricht von der „Zweiten Moderne“, die in den 1970er-Jahren ihren Ausgangspunkt nimmt. Insbesondere durch residenzielle Mobilität, also Wohnungsumzüge, und abnehmende Ortsbindungen diversifizieren sich die sozialen Kontakte räumlich. Im Rahmen von Ausbildung, Studium und von Arbeitsverhältnissen sowie im Kontext von Freizeitaktivitäten und Reisen werden Kontakte zu Menschen an verschiedenen Orten geknüpft. Norbert Elias (1999) beschreibt allgemeiner die Geschichte moderner Gesellschaften als einen Prozess der Verlängerung der „Interdependenzketten“, d. h. der Einbindung des Einzelnen in überlokale, regionale und globale ökonomische Prozesse, politische Zusammenhänge und soziale Bezüge. Die Aufrechterhaltung dieser Beziehungen führt dann wiederum zu räumlicher Mobilität und Verkehr. Diesen Zusammenhang bezeichnet Stefan Rammler (2011, S. 37 f.) als „Wahlverwandtschaft zwischen moderner Gesellschaftsentwicklung und Mobilitätswachstum“ (vgl. Manderscheid 2022).

Soziale Netzwerke haben sich nicht nur im Vergleich zu früher räumlich immer weiter ausgedehnt, sondern entstehen jeweils im individuellen Lebenslauf beispielsweise durch den Wegzug nahestehender Personen, durch eigene Umzüge aus Beziehungs-, Ausbildungs- oder Arbeitsplatzgründen, durch temporäre Aufenthalte im Ausland oder Reisen. Solche geografisch ausgedehnten sozialen Netzwerke werden sowohl mittels Kommunikationstechnologien (Post, Telefon, Email, Social Media, Textnachrichten), als auch durch wiederkehrende physische Treffen vor Ort gepflegt und aufrechterhalten. Die Möglichkeit dieser ausgedehnten sozialen Beziehungen basiert entsprechend auf dem Vorhandensein von und dem Zugang zu gebauten Infrastrukturen der Kommunikation und des Verkehrs. Die Räumlichkeit sozialer Netzwerke und Verkehrsinfrastrukturen können also als ko-emergent verstanden werden (vgl. Wellman 1979). Dabei ist zu berücksichtigen, dass Infrastrukturen, und die im weiteren interessierenden Verkehrsinfrastrukturen, sich jedoch nicht einfach naturwüchsig oder nach Maßgabe der effizientesten Organisation entwickeln. Genauso wenig sind Verkehrsinfrastrukturen neutrale Gegebenheiten, sondern geformt in politischen Aushandlungsprozessen und dadurch immer auch durch gesellschaftliche Machtbeziehungen. An dieser Stelle lässt sich eine materielle Dimension von Automobilität herausarbeiten.

4 Verkehrsinfrastrukturen und materielle Automobilität

Die Hegemonie des Autos als dominantes Verkehrsmittel im Alltag lässt sich nicht ausreichend mit dessen Attraktivität erklären. Als technisches Artefakt konnte das Auto historisch erst innerhalb einer entsprechend gestalteten räumlichen Umwelt gesellschaftlich Bedeutung gewinnen. Das heißt zunächst, dass Straßen und Verkehrswege planerisch auf den Autoverkehr ausgerichtet wurden, dass also der Straßenbelag entsprechend gestaltet und der Straßenraum von anderen Nutzungen befreit wurde. Beide Kriterien führten zu einer historisch umstrittenen Unterordnung anderer Nutzungen unter den motorisierten Individualverkehr (vgl. Norton 2008). Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren Straßen öffentliche Räume, in denen Kinder spielten, Menschen und Dinge standen oder in verschiedene Richtungen unterwegs waren und die nicht ausschließlich dem fließenden Verkehr vorbehalten waren (vgl. Bonham 2006; Muchow und Muchow 2012). Die Zahl der durch Zusammenstöße mit Autos verletzten oder getöteten Personen, insbesondere Kinder, führte beispielsweise in den USA zu massiven Protesten und regelmäßigen Demonstrationen (Norton 2008). In England durften Autos bis 1896 nur im Schritttempo und mit vorausgehender Warnperson mit roter Flagge fahren (Burkart 1994, S. 222; Flink 1988). Dass dem Auto im weiteren Verlauf der Verkehrsgeschichte die Vorfahrt eingeräumt wurde, muss, so zeigen verschiedene Arbeiten zur Geschichte der Automobilität (Kuhm 1995; Norton 2008; Paterson 2007; Peters 2006) als Ergebnis aktiver Einflussnahme von verschiedenen Interessensgruppen zu Beginn des 20. Jahrhunderts gesehen werden, die die Umgestaltung der städtischen Straßenräume zu Autoverkehrsstraßen aktiv und strategisch vorantrieben (vgl. Wolf 1992). So lässt sich beispielsweise nachzeichnen, dass der Rückbau des öffentlichen Schienenverkehrs, der lange das dominante Verkehrsmittel in den Städten darstellte, primär Ergebnis politischer Entscheidungen und nicht das Bedienen der tatsächlichen Nachfrage war. Beispielsweise entschied der Berliner Senat Anfang der 1960er-Jahre, die Straßenbahn in Westberlin, mit der zu diesem Zeitpunkt mehr Menschen als mit allen anderen Verkehrsmitteln zusammen befördert wurden, abzuschaffen, noch bevor Autos zum Massenverkehrsmittel geworden waren (Knie 2006, S. 51). In Hamburg, das eines der größten Straßenbahnnetze in Deutschland hatte, wurde die letzte Linie 1978 stillgelegt. Diese politischen Entscheidungen waren das Ergebnis einer Antizipation einer automobilen Zukunft, die damit genau dieser Zukunft die Straßen gebahnt haben. Mit anderen Worten wurde die Hegemonie des Autoverkehrs der Gegenwart durch das Handeln der öffentlichen Verkehrsplanung und -politik in der Vergangenheit aktiv mit hergestellt und durch den Unterhalt und die Weiterentwicklung der Verkehrsinfrastrukturen fortwährend aktualisiert.

Das Funktionieren des Verkehrs wird zudem durch die Straßenverkehrsordnung (StVO) und das Straßenverkehrsgesetz (StVG) gesichert, die die Nutzungen der Verkehrswege und die hierarchischen Beziehungen der Fahrzeuge untereinander regelt und den flüssigen Verkehr des Auto- und Lastwagenverkehrs über andere Verkehrsarten und Ziele setzt. Diese rechtliche Absicherung steht gegenwärtig regelmäßig politischen Plänen einer Neuordnung des Straßenverkehrs im Weg. Aber auch Bauvorschriften für Wohnungen, die die Bereitstellung von Parkplätzen vorschreiben, stabilisieren weiterhin die automobile Hegemonie (vgl. Taylor 2021). Zur materiellen Dimension von Automobilität können neben Fahrzeugen, Straßen und Parkplätzen auch weitere Infrastrukturen wie Tankstellen, Motels, Drive-Ins etc. hinzugezählt werden. Noch grundsätzlicher sind die Siedlungsstrukturen, wie sie in den letzten hundert Jahren geplant und gebaut wurden, als Teil der automobilen Materialität zu verstehen. Extreme Beispiele sind viele US-amerikanischen Städte, die quasi nur mit dem Auto bewohnbar sind, da andere Möglichkeiten der Fortbewegung nicht vorgesehen und aufgrund der Straßengestaltung ohne Fuß- oder Fahrradwege praktisch kaum durchführbar sind. Aber auch europäische Städte wurden und werden – in unterschiedlichem Ausmaß – für den Autoverkehr und um das Auto herum geplant und organisiert. Fuß-, Fahrrad- und öffentliche Verkehrswege sind, abgesehen von Ausnahmen (beispielsweise Venedig), als ergänzend und flächenmäßig deutlich nachgeordnet und zweitrangig angelegt. Einfamilienhaussiedlungen am Stadtrand oder in ländlichen Gegenden mit Gartenflächen, die durch eine im Verhältnis zur Innenstadt geringe Bewohner*innendichte und geringe Ausstattung mit Infrastrukturen des täglichen Bedarfs aufweisen, gehen vom Auto als Hauptverkehrsmittel der Bewohner*innen aus. Die mit dem Auto entstandene Möglichkeit, Wohnen im Grünen mit den Angeboten der Stadt zu verbinden, führen in ihrer massenhaften Wahrnehmung zum Zwang, mit dem Auto zu leben.Footnote 3

„Man kann sich die Gesellschaft auch wie einen ‚Streckenplan‘ vorstellen, auf dem eine unentwirrbare, aber gleichwohl nicht kontingente Fülle von Verbindungen räumlich miteinander verflochten ist. Verkehrswege – Straßen – und Fahrzeuge – Automobile – besitzen darin nicht allein Ermöglichungs-, sondern auch Aufforderungscharakter für die vergesellschafteten Individuen, die im Verkehrssystem vergegenständlichten Verbindungen zu nutzen.“ (Kuhm 1997, S. 10)

In der Automobilgesellschaft stabilisieren die gebaute Umwelt, die Verkehrswege zusammen mit den Regularien und der Politik die Ausrichtung auf das Auto. Um im Alltag an der Gesellschaft teilzuhaben bestehen also, je nach Siedlungsstruktur, Quartier und Wohnort, Notwendigkeiten, größere Distanzen zurückzulegen. Während gerade in innerstädtischen Quartieren inzwischen eine Vielzahl alternativer Verkehrsmöglichkeiten zur Verfügung stehen – ÖPNV, Aktivverkehr, Sharing-Fahrzeuge – reduzieren sie sich am Stadtrand und in ländlichen Räumen immer noch fast ausschließlich auf das private Auto. Aber nicht nur in der materiellen Struktur der Gesellschaften der Gegenwart ist das Auto verankert, auch in den gesellschaftlichen Vorstellungswelten und Wissensvorräten bestehen vielfältige positive Konnotationen und Selbstverständlichkeiten der Automobilität.

5 Mobilität und Freiheit – automobiles Wissen

In den Wissensbeständen moderner Industriegesellschaften und deren Nachfolgerinnen, den postindustrielle Gesellschaften der Zweiten Moderne (Beck 1986), ist eine positive Bedeutung von Mobilität allgemein fest verankert. Mit Wissensbeständen sind die mit Gegenständen und Aktivitäten mittransportierten geteilten Bedeutungen und selbstverständliche Begründungen gemeint, die häufig implizit bleiben oder als selbstevident bzw. natürlich angesehen werden.

Mobilität steht beispielsweise für Fortschritt, nicht nur in technischer Hinsicht, sondern auch gesellschaftlich und individuell. Beweglichkeit, Flexibilität und Veränderungsbereitschaft gelten individuell und gesellschaftlich als Bedingung für die Sicherung des Erreichten, das Weiterkommen und noch grundsätzlicher, für das soziale und wirtschaftliche Überleben. Für die Individuen stellt sich bildlich und praktisch das Leben als Weg dar, auf dem es um ein Weiterkommen geht, darum, Ziele zu erreichen oder auch Dinge hinter sich zu bringen. Wie Tim Cresswell schreibt: „We are always trying to get somewhere. No one wants to be stuck or bogged down“ (Cresswell 2010, S. 21). Analog finden sich in Politik und Wirtschaft viele Verweise auf die Notwendigkeit von Bewegung, Veränderung und Entwicklung bei gleichzeitigen Warnungen vor Stillstand, Bewahrung und Zurückbleiben. Mobilität ist dabei eng verbunden mit linearer Zeitlichkeit und einer Ausrichtung auf die Zukunft. Dass diese positive Konnotation von Mobilität jedoch kontingent ist, wird im historischen Vergleich deutlich: In vormoderne Gesellschaften mit einem zyklischen Zeitbegriff stand Mobilität für den Ausschluss aus territorial verankerten Gemeinschaften. Nur wenige Menschen wie Adlige, Kirchenvertreter, Pilger, Händler,Footnote 4 Heiler*innen, Tagelöhner*innen und Fahrende waren mobil (Bonß und Kesselring 2001, S. 182). Gleichzeitig war die Sozialstruktur der vormodernen Gesellschaften kaum durchlässig und soziale Positionen waren qua Geburt vorgegeben (Rammler 2008, S. 60).

In den Gesellschaften der Gegenwart wird das private Auto quasi als Inbegriff einer selbstgesteuerten Freiheit und individuellen Flexibilität gesehen. Diese Verknüpfung zeigt sich unter anderem in der Werbung, beispielsweise in einer menschenleeren Landschaft oder vor einem offenen Horizont (vgl. Conley 2016).Footnote 5 Aber auch in der Kulturproduktion tauchen diese Narrative auf, beispielsweise in Roadmovies oder in der Popmusik. In ähnlicher Weise wird in der wiederkehrenden politischen Diskussion um Geschwindigkeitsbeschränkungen auf Autobahnen in Deutschland von Gegner*innen das Argument einer illegitimen Einschränkung der Freiheit (auf individuelle Beschleunigung und Geschwindigkeit) vorgebracht.

Neben Freiheit ist jedoch in Bezug auf das Auto auch Sicherheit ein zentrales Motiv. Das Durchqueren von Räumen im Auto verspricht gerade den Bevölkerungsgruppen, die als schutzbedürftig angesehen werden – Frauen, Alten und Kindern –, einen Schutzraum oder auch einen „Reizschutzpanzer“ (Rammler 2001, S. 56; Schwedes et al. 2021, S. 7) innerhalb einer potenziell als gefährlich wahrgenommenen verkehrlichen und städtischen Welt. Während der Corona-Pandemie kam der Schutz vor möglicherweise virenverbreitenden Menschen hinzu. Besonders augenfällig ist die Sicherheitsdimension bei den SUVs, den Sport Utility Vehicles, einer Mischung aus Geländewagen und Limousine. Der Anteil der SUVs an den in Deutschland neuzugelassenen Autos rangiert zwischen 20 und 25 % (Brandt 2021) und verzeichnet immer noch Wachstumsraten. Der Innenraum dieser Fahrzeuge wirkt wie eine Art Gegenentwurf zu einer als feindlich wahrgenommenen Umgebung. Aber auch kleinere Autos werden als geschützte Cocoons (vgl. Urry 2006; Wells und Xenias 2015), als Wohnraum auf Rädern dargestellt und vermarktet – beheiz- und klimatisierbar, das Design der Sitze kann bei Neuwagen dem persönlichen Geschmack entsprechend gewählt werden, hochwertige Musik- und Unterhaltungselektronik gehören zur Standardausstattung und für Kinder gibt es integrierte Bildschirme für das Abspielen von Filmen, Fenster lassen sich elektrisch öffnen und schließen und das Licht individuell anpassen. Gleichzeitig sorgen technisches Equipment wie Airbags, Anschnallgurte und immer häufiger diverse automatisierte Sensoren für ein sicheres Fahrverhalten des Autos (Sachs 1984, S. 152–161; Hildebrand und Sheller 2018).

Diese gesellschaftlichen Bedeutungen des Autos sind spezifizierte und differenzierte Elemente der Alltagswissensbestände der Subjekte. Man kann diese im Sinne eines generativen Prinzips des von Bourdieu entwickelte Habituskonzeptes (Bourdieu 1997; Krais und Gebauer 2002) verstehen, das Denken, Wahrnehmungen und Praktiken strukturiert. Diese (auto-)mobilen Wertigkeiten bilden den Rahmen des Normalen, des Vorstellbaren und des Machbaren. Weert Canzler bezeichnet die verinnerlichte Selbstverständlichkeit der Automobilität in der Gesellschaft der Gegenwart als „das Auto im Kopf“ (Canzler 2000). Dieses schlägt sich beispielsweise in kollektiv geteilten und immer wieder wiederholten Begründungen für die Wahl des Autos als Verkehrsmittel nieder. Diese kollektiven Selbstverständlichkeiten bezeichnet Malene Freudendal-Pedersen (2007) als „structural stories“. Deren Funktion besteht darin, alltägliche Entscheidungen mit dem Verweis auf offensichtliches Wissen zu begründen. Zu solchen Structural Stories der Automobilität gehört, dass man ein Auto brauche, wenn man Kinder hat und dass der öffentliche Personenverkehr prinzipiell unzuverlässig sei. Dieses automobile Kollektiv- und Alltagswissen ist größtenteils ein vorreflexives, vorbewusstes und verinnerlichtes Wissen, das, weil es nur bedingt für Argumente zugänglich ist und selten mit belastbaren Daten geprüft wird, schwer veränderbar ist. Hingegen wird es fortwährend bestätigt durch die selektive Wahrnehmung und Erinnerung von Erlebnissen, wie sie sich beispielsweise in abendfüllenden Anekdoten von chaotischen Verspätungen auf Bahnreisen zeigen.

6 (Auto)Mobile Identitäten und Subjektivierungen

Die Art und Weise, wie Menschen unterwegs sind, welches Verkehrsmittel sie wählen und wohin sie sich bewegen, ist eng mit ihrer Identität bzw. gesellschaftlichen Subjektivierungen (vgl. Keller et al. 2012; Opitz 2014) verwoben. Die Figur des automobilen und selbstgesteuert mobilen Subjekts ist eingelassen in die real-existierende kapitalistische Wirtschafts- und Vergesellschaftungsform – Menschen werden hier als einzelne Individuen adressiert, die sich selbst steuern, ihre Möglichkeiten wahrnehmen und unabhängig von anderen bildlich und geografisch ihren eigenen Weg gehen. Identitäten und Formen der Subjektivierung sind dabei unterschiedlich eng mit Automobilität als Verkehrsmittel verknüpft. Dabei ist weder von einer beliebig wählbaren noch irgendwie natürlichen Zuordnung von Identitäten und Verkehrsmitteln auszugehen, es handelt sich vielmehr um eine Dimension einer prinzipiell kontingenten, gesellschaftlich stabilisierten symbolischen Ordnung der Lebensstile, die individuell verinnerlicht und kollektiv für selbstverständlich gehalten wird (vgl. Bourdieu 1993; vgl. u. a. Götz et al. 2016; Klinger und Lanzendorf 2016; Mögele und Rau 2020).

Die tiefe Verankerung des Automobils in den Gesellschaften der Gegenwart lässt sich auch daran ersehen, dass lange Zeit allgemein und auf dem Land immer noch der Erwerb des Führerscheins und damit die Erlaubnis und Fähigkeit, sich selbstgesteuert in der Gesellschaft zu bewegen, quasi selbstverständlich und bedeutungsvoll am Beginn des Erwachsenseins stand bzw. steht. Zum Autofahren gehören neben der Steuerung des Fahrzeugs auch Kompetenzen wie der Umgang mit Risiken in der Planung von Fahrten und ein entsprechendes Zeitmanagement. Dabei handelt es sich nicht nur um Kompetenzen für die Teilnahme am Autoverkehr, sondern um grundsätzliche Techniken in der Selbstführung moderner Subjekte (Bröckling 2000; Elias 1999).

Die Konstitutionen der modernen, automobilen Identitäten und Selbstverhältnisse kann dabei abgegrenzt werden von anderen mobilen Figuren wie Fußgänger*innen, Radfahrer*innen oder ÖPNV-Nutzer*innen. Die Verwobenheit von Identitäten, Lebensstilen, Selbst- und Fremdzuschreibungen mit Formen der Verkehrsteilnahme lässt sich fast schon klischeehaft mit Figuren wie studentische Radfahrer*innen, junge, urbane, klimabewusste Familien mit Lastenfahrrad, Oldtimer-Fahrer*innen oder Business-Reisende in der ersten Klasse des ICEs illustrieren. Insbesondere in den urbanen Zentren finden sich in der sogenannten Creative Class hochmobile Lebensstile, die innerstädtisch mit Singlespeed und Falträdern sowie interurban mit Hochgeschwindigkeitszügen und Flugzeugen, vor allem aber mit digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien stärker verwoben sind als mit privaten Autos (vgl. Mancinelli 2020; Manderscheid 2012, S. 166 f.).

Obwohl autoalternative Formen der Verkehrsteilnahme gerade in innerstädtischen Milieus häufig die primäre Form der Fortbewegung darstellen, bildet das automobile Subjekt im Sinne der Auto-Kompetenz und der Selbststeuerung nach wie vor die gesellschaftliche Normalität. Immer noch sind andere Verkehrsteilnehmer*innen in Politik und Planung fast durchweg dem automobilen Subjekt nachgeordnet und auf speziell gekennzeichnete Flächen der Straße verwiesen. Doch kann die Emotionalität in Diskussionen um Parkplätze, Radwege und Geschwindigkeitsbegrenzungen auch als Ausdruck eines teilweisen Infragestellens dieser Selbstverständlichkeiten gesehen werden.

7 Verkehrspraktiken und Automobilität

Das hier dargestellte Automobilitäts-Dispositiv wird fortwährend aktualisiert und reproduziert in den alltäglichen Verkehrspraktiken der Individuen, die immer noch zu großen Anteilen mit dem eigenen Auto unterwegs sind. Nur durch die andauernde Befahrung der Straßen und automobilen Infrastrukturen durch Autos, durch die Affizierung, Unterscheidung und Hierarchisierung von Fortbewegungsarten, die Reproduktion und Aktualisierung des automobilen Wissens, erhält sich Automobilität als normale Fortbewegungsart der Gegenwart.

Dabei ist jedoch noch einmal zu betonen, dass Menschen im Alltag selten Auto fahren, um Auto zu fahren, sondern dies vielmehr Teil von Alltagspraktiken ist. Praktiken werden in den aktuellen Praxistheorien als Routinen beschrieben, die über Zeit und Raum stabil sind (Shove und Pantzar 2016, S. 95). Obwohl die einzelne Ausführung einer Praktik sehr individuell sein kann, ist für andere an der Anordnung von Dingen und Bedeutungen innerhalb eines gegebenen Kontextes erkennbar, dass es sich um eine spezifische soziale Praktik – beispielsweise Frühstücken, Einkaufen oder Studieren – handelt. Das Zurücklegen von Wegen wird in dieser Perspektive auch als eine verstreute Praktik („dispersed practice“ – im Gegensatz zu integrativen Praktiken („integrative practices“, Schatzki 1996, S. 98)) verstanden (vgl. Shove 2002; Cass und Faulconbridge 2017; Selzer und Lanzendorf 2022; Kent 2022c). Verstreute Praktiken sind also Mikroaktivitäten, die alltäglich und im Kontext von sehr verschiedenen anderen Praktiken in verschiedenen Bereichen des sozialen Lebens zu finden sind. Ihre Bedeutung, Funktion und affektive Aufladung ist in diesem Zusammenhang zu sehen (Schatzki 1996, S. 91; Cass und Faulconbridge 2017, S. 100 f.; Kent 2015). Autofahren kann beispielsweise ein Element von Erwerbstätigkeit sein und in diesem Zusammenhang als geschützter raumzeitlicher Übergang zwischen Arbeit und Privatleben fungieren, der beispielsweise mit Musik den eigenen Vorstellungen entsprechend gestaltet wird. Diese affektive Dimension des automobilen Pendelns geht über die Überwindung einer räumlichen Distanz in einer bestimmten Zeit hinaus und begründet das emotionalisierte Festhalten an dieser Fortbewegungsart trotz hoher Kosten, schädlicher Emissionen und verfügbarer ähnlich schneller alternativer Verkehrsmittel.

Auto-, Fahrrad- oder Bahnfahren kann also, je nachdem, ob es ein Element von Pendeln, Freizeit oder Care-Arbeit ist, individuell unterschiedlich erlebt und aufgeladen sein. Zudem ist die Einbettung der Verkehrsmittelnutzung in eine Praktik unterschiedlich eng. Wie beispielsweise Mattioli et al. (2016) zeigen, sind Begleitwege im Kontext der Care-Arbeit besonders eng mit Autonutzung verbunden (auch: Manderscheid 2019). Hierzu gehören Bringen und Holen von Kindern von Kita, Schule und Freizeiteinrichtungen (vgl. Kent 2022a). Um dies zu verstehen, können verschiedene Dimensionen herangezogen werden. Zunächst ist die materielle Siedlungs- und Verkehrsstruktur zu betrachten, innerhalb derer Wohnung und Ziele verortet sind. Die affektive Aufladung der Praktiken der „Elterntaxis“ speist sich beispielsweise aus verschiedenen Subjektivitäten, unter anderem aus Vorstellungen von guter Elternschaft (vgl. Knauf 2019), dem Bedürfnis, das Kind in einer gefährlichen Umwelt schützen zu wollen, sowie der Zeit, die Eltern(teil) und Kind im Privatraum des Autos ungestört zusammen sein können (Kullman 2014). Darüber hinaus erlaubt diese Praktik möglicherweise einem in Vollzeit erwerbstätigen Elternteil, sich ebenfalls an der Care-Arbeit zu beteiligen dadurch, dass der Weg zur Schule mit dem eigenen Arbeitsweg verbunden wird. Die aus diesen vielfältigen Aspekten entstehende gesellschaftliche Normalität, dass Kinder mit dem Auto gebracht und geholt werden, stabilisiert diese Praktik der Elterntaxis. Gleichzeitig vermittelt sie selbst eine gesellschaftliche Normalität, d. h. hier werden Erfahrungen und das gesellschaftliche Wissen reproduziert, wie etwas gemacht wird.

Allerdings findet in vielen Großstädten derzeit die alternative Praxis des Transportierens von kleineren Kindern mit Lastenrädern gegenwärtig zunehmend Verbreitung. Das heißt, auch hier lassen sich gegenwärtig alternative Mobilitätspraktiken beobachten, die möglicherweise dabei sind, aus einer Nische herauszutreten und weitere Praktiker*innen zu rekrutieren (vgl. Shove und Pantzar 2016; Geels et al. 2012).

In den immer noch dominierenden automobilen Praktiken werden die dargestellten Elemente des Automobilitäts-Dispositivs verbunden: Verkehrsinfra- und Siedlungsstrukturen zusammen mit den individuellen sozialen Netzwerken bzw. gesellschaftlichen Einbindungen geben die Geographen des Alltags, also die Orte und Beziehungen vor, die wiederkehrend aufgesucht werden. Hinzu kommen eine Vielzahl weiterer Wissensvorräte, Subjektivierungen, materielle und soziale Strukturen aus anderen Feldern des Sozialen, wie dem Familien-, dem Erwerbsleben oder anderen Bereichen der Vergesellschaftung. Aus diesen komplexen materiellen, strukturellen und symbolischen Verbindungen in Alltagspraktiken lassen sich Verkehrsmittel, insbesondere das Auto, nicht folgenlos herauslösen. Eine sozial-ökologische Verkehrswende hätte hingegen weitreichende Implikationen auf die weitere Alltagsorganisation, das Selbstverständnis, Konsumpraktiken, Vorstellungen über das „gute Leben“ und gesellschaftlich erforderliche Kompetenzen der Individuen.

Für die Politik ebenso wie für die wissenschaftliche Forschung zur Verkehrswende bedeuten diese Überlegungen, dass der Autoverkehr breiter problematisiert werden muss. Die Hegemonie des Automobils ist nicht hinreichend als Summe individueller Entscheidungen zu verstehen, sondern Teil der gesellschaftlichen Normalität, d. h. der gebauten Umwelt und der sozialen Strukturen, der gesellschaftlichen Wissensvorräte, der Subjektivierungen und Identitäten sowie auf der der Praktiken des Alltags. Ein praktikenspezifisches Aufbrechen dieser Hegemonie muss jeweils all diese Elemente systematisch einbeziehen. Einige alternative Praktiken rekrutieren gegenwärtig bereits in zunehmendem Umfang neue Träger*innen, was durch Veränderungen der Verkehrsinfrastrukturen (Radwege), neue Zugänge (49 € Ticket, On-Demand Fahrzeuge, Ride-Hailing Systeme) und Fahrzeuge (Lastenräder, E-Bikes) ermöglicht wurde. Rein technische Ansätze werden für eine Antriebswende ebensowenig zur notwendigen Reduktion der Emissionen beitragen wie eine alleinige Verantwortungsübertragung der Veränderung von Verkehrspraktiken auf die Individuen, wenn die gesellschaftliche Ordnung in ihren skizzierten Aspekten nicht ebenfalls verändert wird. Neben den materiellen Dimensionen wären dafür auch die gesellschaftlichen Wissensbestände, Orientierungen ebenso wie Identitäten und Subjektivierungen einer kritischen Reflexion und Re-Formierung zu unterziehen.

„It is a problem of the 20th century, when powerful high carbon path dependent systems were set in place, locked in through various economic and social institutions. And as the century unfolded those lock-ins meant that the world was left a high and growing carbon legacy. Electricity, the steel-and-petroleum car, and suburban living and associated consumption are three of those locked-in legacies. The 20th century is reaping its revenge upon the 21st century and massively limiting the choices and opportunities available within the new century. And to slow down, let alone reverse, increasing carbon emissions and temperatures requires the reorganization of social life, nothing more and nothing less.“ (Urry 2009, S. 88 f.)